Herzog spricht in diesem Zusammenhang von Mentalität, eben Einstellungssache. Auf der einen Seite war er jeden Samstag dankbar, für die Einsätze bei der U21 genauso wie natürlich in der ersten Mannschaft – Hauptsache, mittendrin, statt nicht dabei. Und auf der anderen Seite ebenso dankbar, wieder einen Schritt zurückzugehen, als krönenden Wochenendabschluss sonntags für die U18 die Schuhe schnüren zu dürfen. Hier war alles möglich, hier konnte er jetzt aus sich selbst spielen, mit Freude, Leichtigkeit und Selbstvertrauen. Während heutzutage der eine oder andere Profi sicherlich über eine vermeintliche Degradierung ins Jugendteam die Nase rümpfen würde, war es für ihn ein reiner Glücksfall.
Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich nur sagen: Du musst halt vom Kopf her die Einstellung haben, wennst jetzt runterkommst in die U18 und denkst: Na, des ist jetzt a Wahnsinn, jetzt muss i in der U18 spielen. Für mich war es anderes, weil ich halt mit weniger Druck hab spielen können, weil ich gewusst hab, bei den Profis darf ich nicht viele Fehler machen, nicht dribbeln, so auf die Art, und unten hab ich halt mein Spiel gespielt mit meinen Stärken: Tempodribblings, Torschüsse, Elfmeter, Freistöße. Wirst ja nicht glauben, dass ich mich bei den Profis zum Freistoß hingestellt hätte – am Anfang mein ich. Das war für meine Entwicklung sehr gut. (Andreas Herzog)
Es ist erstaunlich: Was einen Andreas Herzog noch vor 30 Jahren zu einem absoluten Ausnahmeathleten hat werden lassen, wäre heute unter Sportwissenschaftlern oder Diagnostikern wohl absolut verpönt. Gemeint ist das permanente Wechselspiel zwischen den Extremen – hier in die Grenzbereiche führen und darüber hinaus, dort das bereits Gelernte in einem anderen Umfeld mit Leichtigkeit abrufen können. Experten sprechen hier von aktivem Lernen – kein oberflächliches Training, vielmehr ein Lernen, geprägt durch extreme Intensität, klare Zielsetzung und dem Streben danach, über die Grenzen des gegenwärtigen Könnens hinauszuwachsen.
Albert Einstein sagte einmal: „Man muss ein Gespür dafür entwickeln, was man mit größter Anstrengung gerade noch erreichen kann.“ Die Betonung liegt hier auf „gerade noch“ – und ob bewusst oder unbewusst, der Jungprofi Herzog muss sich in seiner Zeit zwischen der U18, U21 und der ersten Mannschaft immer genau diese Frage gestellt haben. So bestimmte er die Grenzen seines gegenwärtigen Könnens und zielte auch ein bisschen darüber hinaus. Das Resultat: Arbeit in kleinen Schritten, raus aus der Komfortzone, Schwächen in Stärken verwandeln, selbstbewusster werden. Die logische Konsequenz: ein Angebot in Blau und Gelb.
KAPITEL 7:
JONGLIEREN AUF DEM NEBENPLATZ – VON UNGLÄUBIGEN UND GLÄUBIGEN
RAPID WIEN 1986–1992
Irgendwann hatte es sich einfach so eingespielt: Wenn wir mit Andi zusammensitzen durften, lief auch eine Tonbandaufnahme mit. Zu interessant, kurios, fachlich hervorragend oder einfach humorvoll waren seine Gedanken, Geschichten und Ansichten für uns, nichts sollte verloren gehen. Zudem bereicherten die Aufnahmen die eher tristen Abende in der Zeit des ewigen Lockdowns rund um den Jahreswechsel 2020/21. Wir holten uns sozusagen ein Stück Wiener Kaffeehauskultur in die eigenen vier Wände – verbunden mit einem Achtel Zweigelt, der einen oder anderen von Andreas Herzog so geliebten Süßspeise und manchmal und je nach Stimmungslage zu späterer Stunde mit Elisabeth T. Spiras „Alltagsgeschichten“ – tiefste Wiener Seele eben. Kann sein, dass dies für den echten Wiener ein Stück weit überspitzt sein mag. Bei uns lösten solche Stunden und hier insbesondere die Mitschnitte und herrlichen Geschichten rund um unseren Protagonisten immer wieder positive Emotionen aus.
Überhaupt ist das ja so eine Sache mit dem „guten Gefühl“ – denn genau darauf kam Andreas Herzog immer dann zu sprechen, wenn es um neue Wege ging. Je tiefer wir in die Aufnahmen hineinhörten, desto klarer wurde uns diese Tatsache. Sobald er von einem „guten Gefühl“ im Vorfeld einer Entscheidung gesprochen hatte, war es im Nachhinein auch die richtige Entscheidung. Womit wir wieder bei der an anderer Stelle schon erwähnten hohen Kunst intuitiver Entscheidungskraft wären – und einer erkenntnisreichen WhatsApp an Herzerl.
Servus, Andi, man hört immer wieder heraus aus all den Mitschnitten: „Da hatte ich ein gutes Gefühl.“ Sagst du immer wieder mal. Wie bei Dokupil und Vienna. So gesehen musst du dich immer nur auf deine Intuition verlassen – und bei einem guten Gefühl lagst/liegst du richtig .
PS: Dokupil sagte übrigens mal: „Das Geld war für mich nie wichtig. Was wirklich zählt, ist die Aufgabe.“
Herzliche Grüße aus Dortmund, C
(Claus-Peter Niem)
Hallo, Claus, ja, es ist ja irgendwie logisch, wenn du ein gutes Gefühl hast, dann passt das Drumherum auch anscheinend immer, und für mich war halt schon immer wichtig, dass ich mich wo wohlfühl, und wenn ich irgendwo akzeptiert worden bin und einfach geglaubt hab, dass ich mein Ding machen kann, dass ich mit meinen Stärken spielen kann, dann war das wahrscheinlich auch vorher schon so eine Art Bauchgefühl, dass ich da richtig hinpasse und dass mir der Trainer auch das Vertrauen gibt und auch die Stärken in mir sieht, dass ich die für seine Mannschaft richtig einsetzen kann .
(Andreas Herzog)
Genau dieses Vertrauen spürte Andreas Herzog von Anfang an bei Ernst Dokupil, seinem späteren Trainer bei der Vienna. Wir erinnern uns: Unser Jungprofi pendelte in Hütteldorf auf beeindruckende Art und Weise ständig hin und her – von der U18 zur U21 bis in die Kampfmannschaft hinein und wieder zurück. Sein Antrieb: dabei sein zu dürfen. Während viele Ausnahmetalente, die in ganz jungen Jahren schon einmal mit den ganz Großen kicken durften, bei einem vermeintlichen Schritt zurück eher die Nase rümpfen, so gesehen zu schnell abheben und häufig noch schneller wieder auf dem Boden der Tatsachen landen (oder eine Bruchlandung hinlegen), war es für seine Entwicklung von entscheidendem Vorteil. Denn: Er lernte das Fliegen Schritt für Schritt – starten, abheben, Flughöhe erreichen und halten!
Natürlich, auch ein Ausnahmetalent wie Herzog wollte den nächsten Schritt machen. Und so gerne er auch hin und her pendelte, so sehr brannte er auch darauf, im Hanappi-Stadion sein ganzes Können unter Beweis zu stellen. Doch da er bei Otto Barić, dem er übrigens in seiner Karriere noch öfter begegnen sollte, nur selten von Beginn an in der ersten Mannschaft zum Einsatz kam, machte er sich im Winter 1987 auf in den 19. Gemeindebezirk. Bei einem Hallenturnier war er wieder einmal auf einen seiner alten Unterstützer gestoßen: Ernst Dokupil. Diesen kannte er bereits aus seinen Kindertagen.
Dann ist eben der Ernst Dokupil, Vienna-Trainer, beim Stadthallenturnier in Wien zu mir gekommen und hat gesagt: „Willst nicht zur Vienna kommen?“ Und ich war sofort Feuer und Flamme. (Andreas Herzog)
Andis Vater Anton schien von der Idee seines Sohnes weniger begeistert zu sein. Intensive Diskussionen waren die Folge.
„Papa, i geh zur Vienna.“
„Naa, wieso, bleib bei Rapid.“
„Naa, mit Dokupil hab ich ein sehr, sehr gutes Gefühl, der kennt mich schon von früher.“
Und des war dann der Durchbruch bei mir, die Vienna. (Andreas Herzog)
Interessant an dieser Stelle die Frage an Herzog, ob es sich um eine „Hin-zu-“ oder eine „Weg-von-Motivation“ handelte, als er sich im Frühjahr 1987 den Blau-Gelben aus dem Nobelviertel Döbling anschloss. Damals spielte der Klub mit dem einstmals größten Stadion Wiens und bis dato schon sechs gewonnenen österreichischen Meisterschaften und diversen Cupsiegen noch erfolgreich in der ersten Liga auf, während die Vienna heute einen hoffentlich nicht mehr allzu lang andauernden Dornröschenschlaf in der Wiener Regionalliga Ost fristet – so jedenfalls der sehnliche Wunsch Andreas Herzogs.
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