»Paris« ist die Geschichte einer Frau, die am Leben nicht zerbricht, sondern durch Tiefschläge lernt, wie stark sie wirklich ist. Einer Frau, die erkennt, dass das Glück vorbeizieht, wenn man sich nicht getraut, die Tür zu öffnen. Zu dieser Erkenntnis gelangt sie, als sie – ganz allein – nach Paris reist und vor dem Inbegriff ihrer Träume, dem Eiffelturm, steht. Wieder zu Hause in Stans, und eine magische Begegnung später, realisiert Judith dann, dass Paris überall sein kann – sogar auf dem Stanserhorn.
© René Lang
Blanca Imboden, geb. 1962, war Sekretärin, Sängerin und Seilbähnlerin. Letzteres nicht nur auf dem Stoos, sondern eben auch auf dem Stanserhorn, wo sie viel Inspiration zu diesem Buch gefunden hat. Heute lebt sie ihren Traumberuf: Schriftstellerin. Wenn sie nicht gerade in den Bergen unterwegs ist oder auf Lesetour durch die Schweiz reist, tut sie das, was ihr das Liebste ist: Sie setzt sich hin und schreibt. Meist Romane, immer wieder mal Kolumnen und ab und zu auch eine Kurzgeschichte. Für Wörterseh schrieb Blanca Imboden zahlreiche Bestseller. Die erfolgreichsten: »Wandern ist doof – Ein Kreuzworträtsel mit Folgen«, »heimelig – Warum Nelly aus dem Altersheim spazierte und nie mehr wiederkam« und »Rigi – Ein fröhlicher Roman über traurige Menschen«. Die Autorin, die im Schwyzer Talkessel aufgewachsen und verwurzelt ist, lebt heute in Malters LU. blancaimboden.ch
Liebe Leserin, lieber Leser
In meinem Roman »Arosa«, der 2018 erschienen ist, spielte die Schriftstellerin Liz Lenzlinger eine Hauptrolle. Sie hatte nur einen einzigen erfolgreichen Roman geschrieben, und zwar »Paris« – ein Weltbestseller, übersetzt, verfilmt und mehrfach preisgekrönt. Danach fühlte sich Liz blockiert und leer. Erst in Arosa fand sie ihre Schreibfreude wieder. Diese Geschichte war natürlich gänzlich frei erfunden.
Aber – ich habe wunderbare Leserinnen und Leser.
Richtig treue Seelen.
Immer wieder verlangten sie in Buchhandlungen nach dem imaginären Buch oder riefen beim Verlag an, um sich zu erkundigen, wo man denn Blanca Imbodens Roman »Paris« kaufen könne.
»Paris«, von mir??
Nach der gefühlt tausendsten Nachfrage wollte mein Verlag wissen, ob ich mir schon einmal überlegt habe, tatsächlich einen Roman mit dem Titel »Paris« zu schreiben.
Et voilà! Ich habe es getan.
So findet frau Inspiration nicht nur in Arosa, sondern manchmal auch im Kreis der eigenen Leserschaft. Vielen Dank dafür!
Mitten im Schreibprozess kam Corona – und blockierte mich wochenlang. Normalerweise baue ich nämlich gern das aktuelle Zeitgeschehen in meine Geschichten ein. Aber wie sollte ich zum Beispiel über Fernweh, Reisen und Seilbahnen schreiben, wo doch grad alles verboten war? Das Coronavirus hatte mich zwar nicht erwischt, aber meine Romanidee niedergestreckt.
Ich war tieftraurig – bis mir eine gute Seele den Rat gab, das Corona-Thema einfach völlig aus meiner Geschichte herauszuhalten. Darüber könne man schließlich sonst überall genug lesen und hören. Ich denke, das war eine gute Entscheidung.
Amicalement,
Blanca
PS Noch eine kleine Warnung vorab: »
« ist eigentlich eine Mogelpackung. Das Buch enthält zwar immerhin 180-mal das Wort Paris, spielt aber in erster Linie rund ums Stanserhorn.
1 Jeder war schon in Paris
»Hau ab! Weg von den Geleisen!«
Ich bremse.
Ich hupe.
Ich schreie.
Will sie sich umbringen?
Ich winke, fuchtle mit den Armen und gebe alle möglichen Geräusche von mir, aber weder Zischen, Schnalzen noch Klatschen haben die gewünschte Wirkung. Hoffentlich filmt mich keiner, denn ich gestikuliere wie eine Irre. Schließlich muss ich meine Bahn tatsächlich anhalten und aussteigen, um die kleine Katze höchstpersönlich von den Schienen wegzutragen. Sie wirkt ziemlich verstört. Ich habe das kleine Tigerchen noch nie gesehen. Vielleicht ist es neu hier in Stans und der Standseilbahn noch nie begegnet. Ich stelle das Tier hinter dem Zaun wieder auf seine vier Pfoten und gebe ihm einen kleinen Klaps auf den Hintern. Schnell klettere ich wieder in den Führerstand. Jede Minute ist kostbar. Bevor ich wieder starten kann, brüllt es schon aus dem Funkgerät: »Wagen 1 – von Kälti, antworten! Wagen 1 – von Kälti!«
Der Maschinist will wissen, warum die Bahn steht. Ich erkläre es ihm.
»Wegen einer Katze? Judith! Wie oft soll ich es sagen: Die gehen doch immer selber weg. Immer!«
Simons Stimme überschlägt sich fast.
»Diese aber nicht. Ehrenwort. Es war ein Katzenkind, ein winziges, ein total verstörtes«, verteidige ich mich.
Resigniert antwortet er: »Na dann … solange du nicht verstört bist …«
Simon beendet den Funkverkehr. Ich sehe vor meinem inneren Auge sein Kopfschütteln. Damit kann ich leben. Ich bin die Fahrerin und habe die Verantwortung. Ich muss entscheiden. Und Simon ärgert sich schnell. Noch schneller beruhigt er sich zum Glück wieder. Eigentlich hat er ein sonniges Gemüt. Er vergisst das nur ab und zu, vor allem dann, wenn er zeitlich unter Druck steht. Heute stehen wir alle unter Druck, weil die Touristen Schlange stehen. Hochbetrieb. Wir haben sogar unsere Leute vom Boarding-Team aufgeboten, weil so viele Gäste im Internet Sitzplätze reserviert haben. Sie können nun an einem separaten Schalter einchecken.
Seit fünf Jahren stehe ich vorn auf dem Führerstand der alten Standseilbahn am Stanserhorn. Diese hat schon über hundertfünfundzwanzig Jahre auf dem Buckel. Dagegen bin ich mit meinen fünfundfünfzig Jahren ein echter Jungspund.
Heute ist ideales Arbeitswetter. Es ist warm und sonnig. Nur ein zarter Wind umspielt mein Gesicht beim Fahren. Herrlich.
Heute fahre ich viel.
Bergauf und bergab.
Alle zehn Minuten wechsle ich die Fahrtrichtung.
Mindestens.
In der Mittelstation Kälti steigen die Gäste aus meinem Holzzüglein in die moderne Cabrioseilbahn um, die ich natürlich auch bediene, je nach Schicht.
Rauf und runter, froh und munter
So fuhr ich gestern schon, so fahr ich heut.
Dieses alte deutsche Schunkellied – ich habe es nur ein wenig umgetextet – könnte glatt ein Bähnler-Song sein.
Ja, ich singe oft vor mich hin beim Arbeiten. Das sagt doch schon einiges aus über meinen Arbeitsplatz und die Arbeitsatmosphäre hier beim Stanserhorn. Wir arbeiten gern. Aber natürlich singe ich nur, wenn ich allein auf dem Führerstand bin. Wenn viel los ist, nehme ich vorn bei jeder Fahrt drei Personen mit. Gerade sind in der Talstation in Stans wieder neununddreißig Personen zugestiegen. Drei Japaner stehen neben mir. Ich könnte sogar singen – die würden das gar nicht merken. Sie sind total darauf konzentriert, ihre Reise für die Ewigkeit festzuhalten. Der junge Mann neben mir treibt es auf die Spitze: In einer Hand hält er ein Tablet und filmt, mit der anderen umklammert er sein Handy, um gleichzeitig zu fotografieren. Das grenzt an eine akrobatische Meisterleistung, da es ja ziemlich rüttelt und schüttelt, wenn man hier steht. Ich selbst halte mich während der Fahrt auch immer am Geländer fest. Meine Passagiere dokumentieren alles minutiös: jeden Stein, jede Kuh, jedes Unkraut am Wegesrand. Manchmal frage ich mich, wer diese ganzen Filme jemals anschauen wird, anschauen muss oder darf. Wissen meine Gäste am Ende ihrer Reise noch, wo sie was gefilmt haben? Diese Gruppe kommt zum Beispiel direkt aus Mailand und fährt später noch nach München weiter.
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