»Waren wir früher auch so respektlose Rüpel?«, fragt der Präsident. Wir nicken alle, und dann überfällt uns die Erkenntnis, dass bei unseren Leistungen irgendwie die Luft raus ist. Das fängt damit an, dass wir uns kaum noch für Radrennen interessieren, dass der alte Hans den »Eschborn-Frankfurt City-Loop« für eine Flugschule gehalten hat und endet damit, dass wir immer milder in die Pedale treten. Kurz: So geht’s nicht weiter. Der ganze Mist mit In-Würde-altern muss aufhören. Radfahren muss ein Härtebeweis bleiben, sonst können wir gleich alle in Brägels Golfclub wechseln. Brägel regt an, künftig mit Pfefferspray auf Tour zu gehen und freche Wadenschnösel einfach aus dem Sattel zu pusten. Klingt gut, wird aber wegen der Probleme bei Gegenwind verworfen. Elektroschocker und Gaspistolen verstoßen gegen den Ethik-Code des Radclubs und sind daher auch keine Lösung.
Der Präsi berichtet von einem neuartigen Zusatzantrieb, der unsichtbar ins Sattelrohr eingebaut wird und auf Knopfdruck 100 Watt zusätzlich bringt, die zur Abwehr einer Jugend-forscht-Attacke allemal reichen müssten. Das hellt unsere Laune spürbar auf. Unsichtbare 100 Watt – bis auf den alten Hans würde uns das alle für ein paar Minuten in den 300-Watt-Bereich blasen und den Gegner ins Sauerstoffzelt. Geil. Wir wollen gerade den Präsident mit der Klärung der Frage beauftragen, ob es dieses für Mountainbikes entwickelte Wunderding auch für Rennräder gibt, als Brägel plötzlich sagt: »Hey Leute, das ist doch Betrug.« Da schau her. Jetzt redet plötzlich ein Kerl von Moral, der alle Internet-Apotheken dieser Welt nach EPO absucht, bei jeder Ausfahrt »gaaaaanz locker« ruft, bevor er antritt und kein Problem damit hat, 19,8 der letzten 20 Kilometer am Hinterrad zu lutschen, um dann vorbeizuziehen. »Wo ist das Problem?«, ölt der alte Hans, »du bescheißt doch eh immer.«
So schnell gibt Brägel aber nicht auf. »Ich habe kein Problem, diesen bornierten Schnösel mithilfe eines High-Tech-Motörchens abzuledern, aber wir wissen dann ja auch intern nicht mehr, warum einer so schnell ist, wie er ist. Kapiert?« Schweigen. Abgesehen davon, dass man sich bei uns nie wirklich sicher sein kann, dass einer nichts genommen hat, hat so ein unsichtbarer Watt-Booster schon eine neue Qualität. »Wenn ich schneller als irgendeiner von euch am Berg bin, glaubt mir das keiner mehr«, sagt Brägel. »Das kann ja auch gar nicht sein«, kontert der Präsi, »dazu brauchst du schon ein Golfwägelchen.« Wir lachen herzlich, aber Brägels nächstes Argument sitzt dann doch. »Das gilt für alle und vor allem immer. Egal, wie hart ihr trainiert, jeder Sieg wird angezweifelt, wie bei den Profis auch. Wollt ihr das?«
Natürlich nicht. Wir einigen uns darauf, den Kampf gegen den weichen Tritt mannhaft aufzunehmen. Also endlich mehr zu trainieren, vor allem härter und konsequenter. Jungschnösel werden sich spätestens in vier Wochen wieder warm anziehen müssen, wenn sie attackieren. Drei Tage später stand dann übrigens auch Brägels Bilanz gegen Caisse d’Epargne 1:1. Er hat das Rad des Schwätzers vor einem Biergarten entdeckt, die Ventile rausgeschraubt und ihm einen abgestandenen Rest Hefe hell auf den Sattel gekippt. Alles wird gut.
ALTER SCHÜTZT … VOR GAR NIX
MIT DEN JAHREN MAL EIN PAAR TRITTE LOCKER LASSEN? UIUIUI, GANZ SCHWIERIG …
2008 bis 2012
»Nachlassen ist das Schlimmste«, sagte der ehemalige Radprofi Erik Zabel an seinem 30. Geburtstag im Jahre 2000 und schaute dabei so traurig wie ein hungriger Beagle vor dem leeren Futternapf. Danach ist er noch acht Jahre Rennen gefahren, und das nicht schlecht. Im Juli 2010 will Jens Voigt noch einmal die Tour de France unter die Räder nehmen. Im September wird er 39 Jahre alt. Und da gibt es noch den Herrn Armstrong aus Amerika, der die Tour in diesem Sommer sogar gewinnen will, was zumindest nicht ganz ausgeschlossen ist. Und der Texaner ist genau einen Tag jünger als »Vogte«. Warum das hier steht? Weil es eine Entwicklung ist, die dem Radclub mehr und mehr Sorgen macht. An Jahren sind die Herren Berufsfahrer gar nicht so weit entfernt von uns (den alten Hans ausgenommen). Aber während wir bei langen Steigungen mittlerweile oft auf 39x28 runterschalten, fahren diese Profi-Geronten noch die Tour im 40er-Schnitt. Zwar haben die mutmaßlich ganz andere Drogen in der Blutbahn als wir, aber trotzdem.
»Diese Leistungs-Opas sind langsam lästig«, faucht Brägel am Stammtisch und erzählt, dass er zu Hause Ärger bekommt, wenn er sich samstags nach dem Training mit Hinweis auf sein hohes Alter aufs Sofa fläzt, statt im Garten Erdbeeren zu harken oder Jan-Miguels Rad zu reparieren. Neulich habe er sich mit Hinweis auf Rückenschmerzen geweigert, den Römertopf aus dem oberen Küchenregal zu holen. Da habe Viola zu ihm gesagt: »Der Armstrong fährt klaglos die Tour und du liegst hier rum. Und das mit dem Topf, das schafft ja selbst Jopi Heesters locker.« Der alte Hans fragt, in welchem Team Heesters fahre, aber keiner hört zu. Ist schon wahr: Das Verlängern der Jugend bis Mitte 60 führt zu so manchem Problem. Während Menschen Anfang 50 früher in der Straßenbahn noch ein Sitzplatz angeboten wurde, musst du heute in diesem Alter Trondheim–Oslo unter 22 Stunden fahren, sonst hängen dich die 70-Jährigen ab. Bei der wöchentlichen Wampenschau in der Sauna muss man zweieinhalb Stunden die Luft anhalten – in einem Alter, über das man früher gesagt hätte: Ein Mann ohne Bauch ist ein Krüppel. »Und das Schlimmste ist«, sagt der Präsident, »meine Frau will, dass ich mir die Haare färbe.« Das sei ja das Wenigste, knarzt der alte Hans: »Sieht ja eh keiner.« Für den Gag gibt’s ein Hefe hell von Brägel.
Das Problem aber bleibt – wollen wir wirklich noch zulegen, obwohl unser Haltbarkeitsdatum langsam abläuft, oder darf’s dann auch mal etwas ruhiger sein? Brägel schlägt vor, künftig samstags in drei Leistungsgruppen zu fahren. Die sollen »Speed«, »Medium« und »Easy riding« heißen; das ist wohl Brägels Fortbildung neulich geschuldet, bei der selbst klare deutsche Worte durch englische ersetzt wurden, weil’s besser soundet. Am Samstag scharen sich aber fast alle bei »Speed«. Bei »Medium« steht gar keiner, und bei »Easy riding« nur der Präsident, der sagt, er möge kein blutiges Fleisch. Wir winken ihn zu uns und fahren los. Der Versuch ging völlig schief, gefahren wurde wie immer: link. Also so lange wie möglich an einem guten Hinterrad. Natürlich auch mit hinterhältigen Attacken und Treten bis zur Kotzgrenze am letzten Berg. Hinterher waren sich alle einig, dass man ja auch nicht freiwillig in eine schwache Gruppe gehen könne. »Wie sieht denn das aus«, sagt der alte Hans. »Genau das ist das Problem«, antwortet Brägel, »wenn nicht mal unser altes Wrack ruhiger fahren will, geht natürlich auch kein anderer hin.« Nach etwa zehnminütigem Tumult ist klar, dass wir noch lange nicht bereit sind, im Sattel unser Alter zu akzeptieren. Lieber tot als Zweiter – das gilt ewig.
Wenn das also nicht geht, müssen wir uns zumindest länger erholen, um annähernd altersgerecht Radsport zu treiben. Wir beschließen daher, die Trainingsrunden effektiv um fünf Kilometer durch eine Abkürzung zu kürzen, für die Berechnung des Schnitts belassen wir es aber bei der alten Streckenlänge. Dadurch erreichen wir den angestrebten Durchschnitt mit weniger Anstrengung. »Aber das ist doch Betrug«, mosert der Präsident. »Möglich«, sagt Brägel, »aber es macht ein gutes Gefühl und überhaupt – was ist im Radsport schon sauber.« Da hat er auch wieder Recht. Wenn man bedenkt, wie granatenmäßig normalerweise bei den Jahreskilometern gelogen wird, ist das Schnitt-Tuning fast zu vernachlässigen. Zur weiteren altersgerechten Schonung beschließen wir außerdem noch, das dritte Kettenblatt zuzulassen. Die montägliche Gymnastik wird dafür in einen weiteren Stammtisch umgewandelt.
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