Zwei Tage später treffen wir uns wieder und gewinnen weitere 13 Sekunden dazu. Supersupi, dummerweise wachsen dem alten Hans büschelweise Haare aus der Nase und den Ohren, einer klagt über Pickel, ein anderer über unruhigen Schlaf. Keiner sagt allerdings was dazu, ob seiner Frau zu Hause etwas aufgefallen ist, aber das wäre ein ganz anderes Thema. Bei mir schiebt sich im übrigen das Kinn so seltsam nach vorn. Schau an, der Schumacher, denke ich, auch so ein Schummler. Am Ende der Testwoche haben wir gut eine Minute gewonnen, den Schnitt von 26,21 auf 26,34 gesteigert. SENSATIONELL. Ernüchternd ist allerdings der Fakt, dass gedopt die gleichen vorn sind wie ungedopt. Aber, mein Gott, wir sind schneller! Allerdings berichtet plötzlich einer, dass ihm das Pflaster gestern ganz leicht abgegangen sei und er befürchtet, nun ja (Sie hören ja nicht auf zu lesen), dass da etwas kleiner geworden sei. Ehrlich gesagt, geht mir das ähnlich, ich schiebe es allerdings auf die herbstliche Kühle. Denkste. Der alte Hans, der Fach-Doper, räumt schließlich leise ein, dass bei äußerlicher Zugabe von Testosteron die interne Produktion gedrosselt wird. »Und was heißt das konkret?«, frage ich ärgerlich. »Schrumpfhoden«, nuschelt der alte Hans. Betroffenes Schweigen, nur Brägel und der Präsident lächeln selig.
Fünf Minuten später ist klar, dass der Radclub bis ans Ende der Zeitrechnung für sauberen, dopingfreien Sport stehen wird. Ab sofort keine Manipulationen mehr, nur noch Müsli, Training, Disziplin. Und Pflaster gibt es nur zur Wundversorgung nach Stürzen. Das ist sicher.
OFFENER BRIEF
DER RADCLUB MACHT MOBIL – UND ERLÄSST REGELN FÜR BRÄGEL. OB DAS GUT GEHT?
2008 bis 20212
Brägel hat sich in den Skiurlaub verabschiedet. Das ist natürlich auszuhalten, allerdings fehlt er uns am Stammtisch, weil wir zurzeit alles selbst bezahlen müssen. Dafür ist es ruhiger, weil uns der Lapp nicht alle naslang mit seinen seltsamen Ideen nerven kann. Und damit das so bleibt, beschließen wir auf Initiative des Präsidenten, einen Brief an Brägel zu schreiben. Darin listen wir ihm eine Art Fahrplan für die nächste Saison auf, an den er sich zu halten hat. Den Brief soll er am ersten Stammtisch bekommen, nachdem er wieder da ist. Wir trinken noch ein Hefe hell, dann schreiben wir:
Lieber Brägel ,
schön, dass du wieder da bist. Während du das liest, bestellt der alte Hans eine Runde auf deine Rechnung – es sei denn, du hebst jetzt die Hand. Nicht? Gut, also Prost. Wir möchten dich herzlich bitten, im nächsten Radjahr folgende Dinge zu beachten:
1.Radpflege: Wir werden dir künftig nicht mehr helfen, wenn du mit deinem Panzer-Hochdruckreiniger den Umwerfer vom Rahmen schießt oder Speichen knickst. Es wäre auch besser, die alte Flasche Terpentin endlich wegzuwerfen, bevor du wieder die Bremsgummis damit einreibst, damit sie schön glänzen. Und hoffentlich hast du nicht vergessen, dass es dich vergangenen Sommer sauber auf den Asphalt gehauen hat, weil du dein Lenkerband mit einer Lasur für Holztische zum Glänzen gebracht hast. Sah gut aus, war aber ziemlich rutschig. Also: Radpflege nur mit geeigneten Mitteln aus dem Fachhandel, die zudem biologisch abbaubar sein sollten .
2.Ernährungswahn: Verschone uns nächstes Jahr mit deinen Diätideen. Wir haben gehört, dass du seit einiger Zeit mit einer sehr dunklen Brille rumläufst, weil du in TOUR gelesen hast, dass Mäuse, denen man die Dunkelheit entzieht, mehr fressen und fetter sind als die anderen. Lieber Brägel, du bist keine Maus, und nur weil du jetzt eine Schweißerbrille trägst, wirst du auch nicht schlanker .
3.Trainingssteuerung: Bitte sage uns nicht dauernd, wann wir locker oder volle Lotte zu treten haben. Deine Ansagen haben wenig mit Trainingslehre und viel mit deiner Form zu tun. Wenn du gute Beine hast, fahren wir Mitte Februar Bergsprints, wenn du teigig trittst, im Juli Grundlage. Also: Nächstes Jahr fährt jeder so, wie es ihm passt .
4.Rad-Etikette: Wir möchten noch einmal darauf hinweisen, dass manche von uns auch weiterhin keine weißen Radschuhe möchten und auch nicht über die Gründe dieser Entscheidung diskutieren wollen. Wenn du selbst aber weiter wie Bettini im Swinger-Club aussehen möchtest – bitte. Wir nicht, zumindest nicht alle. Der alte Hans würde deine weißen Schuhe aber nehmen, falls du wieder schwarze kaufst .
5.Tacho-Tuning: Wir wissen seit 2001, dass es dir gelungen ist, die Geheimnisse der Reset-Taste deines Radcomputers zu entschlüsseln. Seither stellst du die Jahreskilometer gern mal nach, damit’s besser aussieht. Wir haben uns entschlossen, dir zu sagen, dass wir a) dein schamloses Treiben durchschauen und b) wir es selbst auch tun. Und zwar schon viel länger als du .
6.Körperpflege: Versuche nie mehr, uns für das Massageöl zu begeistern, das du angeblich aus einem Hochtal des Himalaja importierst. Das Zeug ist klebrig, teuer, zieht Mücken an und riecht, als würde man die Fladen einer magenkranken Kuh auf heißem Stein rösten. Da du im Training meist weit hinten fährst, darfst du gerne stinken wie ein Muli. Aber lass uns damit in Ruhe .
Und noch was: Wenn du dir künftig die Beine rasierst, dann nimm wenigstens eine Klinge, die nicht schon zum Marschgepäck deines Uropas im Ersten Weltkrieg gehörte. Einige von uns können kein Blut sehen. Das war’s schon. Nix für ungut und Prost ,
Dein Radclub .
Wir sind zufrieden – in zwei Wochen bekommt er das Papier. Doch was schreiben wir ihm nächstes Jahr, wenn er sich daran hält?
UM DIE EHRE
OKAY, MAN MUSS SICH ALS RADLER NICHT ALLES GEFALLEN LASSEN. ABER MIT WELCHEN MITTELN DARF MAN SICH WEHREN? DER RADCLUB GERÄT SCHWER INS GRÜBELN …
2008 bis 2012
Heiß ist es draußen. Sommer. So haben wir’s gern. Es rollt doch gleich viel leichter mit Sonne in den Speichen. Brägel aber sitzt griesgrämig auf der Terrasse des Clubheims und schlürft lustlos an seinem Hefe hell. Nachdem wir ihn mit seiner neuen Golfleidenschaft ein wenig beleidigt haben (»Hat der Herr ein Handicap mit dem Handicap?«) erzählt er uns von seiner jüngsten Trainingsrunde (auf dem Rad). Am Ende sind wir uns ausnahmsweise alle mal einig: So geht’s nun wirklich nicht.
Also, das war so: Brägelchen fuhr entspannt durch leicht welliges Gelände. Von hinten kam einer rasch näher, aber Brägel hat ja mittlerweile das altersmilde Stadium erreicht, in dem er klar Überlegene passieren lässt, ohne sich bis zur Kotzgrenze in deren Windschatten zu quälen. Der andere fährt aber nicht vorbei, sondern klemmt sich grußlos an Brägels Hinterrad. Brägel dreht sich um und sagt: »Hallo.« Der andere schweigt, Brägel taxiert: Gut 15 Jahre jünger, kein Helm, verspiegelte Angeber-Brille, edles Rad und dazu das Klamotten-Arrangement von Caisse d’Epargne und zwar komplett, also mit passenden Handschuhen und Socken, was man auch nicht so oft sieht. Brägel versucht’s noch einmal. »Tach, wo geht’s hin?« Der andere schweigt, zuckt nicht einmal mit dem Mundwinkel. Doch dann setzt sich der Schweiger plötzlich neben Brägel, grinst und sagt: »Hör mal, was machst du hier eigentlich? Radfahren? Nicht wirklich, oder?« Und bevor Brägel ihm seine Pumpe über den Schädel ziehen kann, tritt der Kerl derart brutal an, dass der verdutzte Brägel nicht den Hauch einer Chance hat, seinen Windschatten zu erreichen, was er jetzt schon gern getan hätte.
Читать дальше