3. Sekundärrechtlicher Klimaschutzrechtsakt ohne Schutzverstärkerklausel
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Wenn und insoweit klimaschutzrechtliche Sekundärrechtsakte der EU keine Schutzverstärkerklausel beinhalten, ist für die Zulässigkeit nationaler Alleingänge danach zu differenzieren, ob die Klimaschutzmaßnahme auf die EU-Umweltkompetenzen oder auf die EU-Binnenmarktkompetenzen gestützt wurde.
a) Auf Umweltkompetenzen gestützter Sekundärrechtsakt
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Stützt sich ein Unionsrechtsakt zum Klimaschutz auf Art. 192 AEUV, kann Deutschland unter Berufung auf Art. 193 Satz 1 AEUV auch in eigentlich harmonisierten Regelungsbereichen stärkere Schutzmaßnahmen beibehalten oder ergreifen. Damit nimmt Art. 193 AEUV für den Fall, dass nationale Schutzmaßnahmen über das unionsrechtlich festgelegte Schutzniveau hinausgehen und dessen Schutz verstärken, die sich aus dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts ergebende Sperrwirkung für nationales Recht zurück. Auch solche schutzverstärkenden Maßnahmen der Mitgliedstaaten müssen gem. Art. 193 Satz 2 AEUV allerdings mit dem Vertrag vereinbar sein. Insbesondere müssen sie auch hier mit der Warenverkehrsfreiheit vereinbarsein. Insoweit gelten dann wieder die gleichen Grundsätze wie im nicht harmonisierten Bereich.[281]
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Art. 193 Satz 3 AEUV verpflichtet die Mitgliedstaaten, schutzverstärkende Maßnahmen der Europäischen Kommission zu notifizieren. Dieser Notifizierungspflichtder Mitgliedstaaten stehen allerdings keine weitergehenden Rechte der Kommission gegenüber. Insbesondere hängt, anders als bei der sogleich dargestellten Abweichung von Harmonisierungsmaßnahmen im Binnenmarkt, die Wirksamkeit der unilateralen Klimaschutzmaßnahme nicht von der Billigung der Kommission ab.[282]
b) Auf Binnenmarktkompetenzen gestützter Sekundärrechtsakt
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Auf Art. 114 Abs. 1 AEUV werden Klimaschutzmaßnahmen gestützt, die eine Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten mit dem Ziel einer Verwirklichung des Binnenmarktes vornehmen. Gemäß Art. 26 AEUV ist der Binnenmarkt ein Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapitel gemäß den Bestimmungen der Verträge gewährleistet ist.
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Potenzieller Gegenstand von Harmonisierungsmaßnahmen auf Grundlage von Art. 114 AEUV im Umweltschutzbereich sind vor allem produktbezogene Klimaschutzstandards wie etwa die Einhaltung bestimmter CO2-Emissionsstandards.
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Will Deutschland trotz Erlass einer solchen klimaschutzrechtlichen Harmonisierungsmaßnahme eine weitergehende nationale Umweltschutzmaßnahme beibehalten, so ist es gem. Art. 114 Abs. 4 AEUVverpflichtet, diese Bestimmungen sowie die Gründe für ihre Beibehaltungder Kommission mitzuteilen.
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Gleiches gilt gem. Art. 114 Abs. 5 AEUVfür den Fall, dass ein Mitgliedstaat eine weitergehende nationale Klimaschutzmaßnahme neu einführen will, nachdem eine Harmonisierungsmaßnahme erlassen wurde. In solchen Konstellationen etabliert Art. 114 Abs. 5 AEUV zudem weitergehende materiell-rechtliche Hürden: Die nationale Maßnahme muss sich auf neue wissenschaftliche Erkenntnissestützen und ein spezifisches Problem des Mitgliedstaatsbetreffen. Diese Hürde dürfte im Bereich Klimaschutz wohl nur schwer überwindbar sein, denn die Erderwärmung ist ein globales und kein spezifisches Problem Deutschlands.[283]
D. Vorgaben des Europäischen Beihilferechts
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In der Klimaschutzpolitik wird sehr viel mit Subventionengearbeitet. So gibt es etwa die EEG-Förderung für erneuerbaren Energie, wodurch die Energiewende fortgeführt werden soll. Es gibt nach dem Kraftwärme-Kopplungsgesetz Fördermittel für den Ausbau der klimafreundlichen Kraft-Wärme-Kopplung. § 19 Abs. 2 Stromnetzentgeltverordnung enthält reduzierte Netzentgelte, wenn bestimmte netzstabilisierende Lastprofile eingehalten werden. Teilnehmer am EU-ETS bekommen Begünstigungen, um Carbon Leakage entgegen zu wirken. Dasselbe gilt für das neue deutsche Brennstoffemissionshandelsgesetz. Stromkostenintensive Unternehmen erhalten im Rahmen der Besonderen Ausgleichsregelung eine erhebliche Reduzierung der EEG-Umlage zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit sowie zahlreiche Vergünstigungen bei der Energie- und Stromsteuer.
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Kurzum wird in der nationalen Klimaschutzpolitik mit zahlreichen Subventionen im weitesten Sinne gearbeitet. Staatliche Beihilfen sind aber nach Art. 107 f. AEUV grundsätzlich verbotenund nur im Ausnahmefall erlaubt. Wird dagegen verstoßen, droht den ehemals begünstigten Unternehmen eine Rückabwicklung weit zurück in die Vergangenheit, bei der das EU-Recht sogar Insolvenzen in Kauf nimmt.[284] Solche Vergünstigungen müssen daher mit der Wettbewerbsaufsicht der Kommission abgestimmt werden, wenn sie rechtssicher sein sollen. So standen daher auch noch einige Neuerungen durch das EEG 2021 unter beihilferechtlichem Genehmigungsvorbehalt.[285]
II. Grundzüge des Beihilfeverbots
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Die inhaltlichen Vorgaben für nationale staatliche Beihilfen enthält Art. 107 AEUV. Dort wird in Absatz 1 zunächst als Grundsatz das Verbot jeglicher staatlicher Beihilfen auf nationaler Ebene[286] festgelegt. Unter Beihilfen versteht Art. 107 AEUV alle staatlichen oder aus staatlichen Mitteln gewährten Beihilfengleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen. Diese sind mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Der Begriff ist also denkbar weit und kann daher vom Grundsatz alle oben dargestellten klimapolitisch motivierten Vergünstigungen in Deutschland erfassen.[287]
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Vergünstigungen im Rahmen der Energie- und Stromsteuererfüllen unproblematisch den Begriff der staatlichen Beihilfe, weil hier der Staat auf staatliche Einnahmen verzichtet und somit den betroffenen Unternehmen ein Vorteil aus staatlichen Mitteln zugutekommt.
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Lange Zeit war umstritten, ob auch privatrechtlich organisierte Umlagesystemewie der Fördermechanismus des EEG und die Ausnahmen davon nach der Besonderen Ausgleichsregelung staatliche Beihilfen darstellen. Die Europäische Kommission und das EuG hatten dies noch bejaht, der EuGH es aber letztlich verneint.[288] Zwar sei der Fördermechanismus selbst stark staatlich überformt, indem die Finanzströme gesetzlich genau vorgeschrieben sind. Letztlich geschieht das aber mit den Akteuren Anlagenbetreiber, Netzbetreiber, EVU und Letztverbraucher durch Privatpersonenund mit Geldbeträgen, auf die der Staat keinen Zugriff hat. Daher verneinte der EuGH beim EEG das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe mit der Folge, dass das EEG nicht mehr an den Vorgaben von Art. 107 AEUV gemessen werden muss. Der nationale Gesetzgeber hatte hier also große phasenweise Freiheit erlangt.[289] Allerdings hat sich das zumindest beim EEG schon wieder geändert, da die Einnahmen aus dem neuen nationalen Emissionshandel dem EEG KontoZzugute kommen sollen und damit das EEG Fördersystem wohl doch als aus staatlichen Mitteln bestehend angesehen werden muss.
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Diese Sichtweise wird man auch auf andere ähnlich organisierte Umlagesystemewie die KWKG-Umlage oder auch die Netzentgelte anwenden können. Auch hier handelt es sich um zwar staatlich überformte, aber letztlich von Privatrechtssubjekten durchgeführte Umlagesysteme, bei denen der Staat ebenfalls keinen Einfluss auf die umverteilten Mittel hat. Deshalb spricht viel dafür, dass auch die KWK-Förderung und die Erhebung der Netzentgelte inklusive der dort festgelegten Reduktionen für die Industrie nicht mehr am EU-Beihilferecht gemessen werden müssen.
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