Coaching ist eine Gesprächsform, die unter vier Augen im beruflichen Kontext stattfindet. Es ist Nachdenken über sich selbst, über die eigene Tätigkeit, wie und warum man das tut, was man tut. Wichtige Faktoren dafür sind Vertraulichkeit, ein überschaubar mittelfristiger Zeitraum, und – paradoxerweise – Ergebnisorientierung in einem offenen Prozess. Themen sind häufig die eigenen Bilder über die Welt da draußen, Mikropolitik, Schnittstellenproblematiken, Interessenskonstellationen und eigene Kommunikations- und Handlungsmuster.
Darüber hinaus geschieht Coaching in der Einbettung in einen organisationalen Kontext. Deshalb muss im Coaching, neben der Betrachtung des Coachee, auch die Rolle des Coach sowie die Ebenen des Teams und der Organisation mit gedacht und betrachtet werden.
Für das Handeln im Coaching bedeutet das:
• Die Aufmerksamkeit der Wahrnehmung zu konzentrieren und zu erweitern. Die Zone zwischen ›hier und noch nicht dort‹ aufmerksam zu achten, damit Neues entstehen kann; eine Frage von Kontakt und Halten des ›Noch-Nicht‹.
• Die Geschichten der Klienten erweitern oder mit anderen Bedeutungen versehen helfen, um Ausgänge aus vermeintlich verschlossenen Räumen zu ermöglichen.
• Unterschiede zu benennen. Linien zu ziehen, zwischen fremden und eigenen Räumen des Denkens und Erlebens und damit den Möglichkeitsraum radikal zu öffnen. Zu prüfen, ob Denken und Handeln zueinander passen und stimmig sind, die der anderen – und die eigenen.
4. Coaching – Räume erkunden:
Blick auf ein abgeschlossenes Coaching
Abb. 1: Übergang gestalten von Theorie zu Praxis: Wie kann die Verschiedenartigkeit der Zugänge das Coaching anregen und bereichern?
Skizzen / Facetten eines Coaching-Prozesses
Startpunkt für das Coaching war der Anruf des Personalleiters eines mittelständischen Unternehmens. Mit zwei anderen internationalen Gesellschaften hatten sie vor zwei Jahren eine eigenständige GmbH gegründet. Der erste CEO dieser GmbH sei vor vier Monaten ausgeschieden und der neue habe Coachingbedarf, sein Zeitmanagement sei nicht brauchbar für die Umsetzung seiner vielfältigen Anforderungen.
Im ersten Telefonat mit Herrn Teubner (Name geändert) standen das gegenseitige Kennenlernen, die Beschreibung der Ausgangssituation und der Zielsetzung und die Vorgehensweise im Vordergrund. Meine ersten »Bilder«:
• Ein ausgleichender und an Beziehung orientierter CEO, der tief in allen operativen Themen involviert ist.
• Er sieht seine Aufgabe in einem reibungslosen Gestalten der Abläufe und täglichen Erfordernisse.
• Strategische Belange sind eher zweitrangig.
• Konsequente Marktbeobachtung und aktive Akquisitionen sind eher nicht in seinem Blickfeld.
• Die Rolle CEO füllt er mit dem Verständnis »wir sind alle in einer Fußballmannschaft« aus.
• Er beschreibt die Kompetenzen seiner Mitarbeiter als wenig ausgeprägt, verbunden mit einem hohem Lernbedarf.
Sein Ziel: »Ich möchte die Organisation meiner Arbeitsabläufe so effizient und effektiv gestalten, dass ich nicht ständig mit kurzfristigen Organisationsanforderungen beschäftigt bin.«
Coaching sollte zudem auch die vorhandenen Spannungen in der Organisation abbauen, die durch unklare Aufgaben- und Verantwortungsverteilung und Rivalitäten entstanden sind. Vor dem Hintergrund der bisherig beschriebenen Organisationsmodelle klang das wie »Reparaturbetrieb Coaching«: Hilf mir, meine Werkstatt aufzuräumen und eine gute Struktur und brauchbare Prozesse aufzusetzen, dann wird alles gut.
Die ersten Stunden waren geprägt von Aufnahme und Analyse der Ausgangssituation: Berufliche Stationen und Funktionen, biographische Linien, Marktsituation und Kunden der Gesellschaft, Organisation, Struktur und Prozesse innerhalb des Unternehmens, Erwartungen der Anteilseigner, operative und strategische Anforderungen, Erwartungen an Mitarbeiter, Delegation und Kontrolle.
Sichtbar wurden unklare Strukturen und unklare Verantwortlichkeiten – ähnlich der Pionierphase von Unternehmen: Wir machen alles gemeinsam und Unterschiede sind für uns nicht vorhanden. Der Preis dafür ist die Intransparenz von Abläufen und Verantwortlichkeiten.
Die erste Krise trat auf, als sichtbar wurde, dass der Aufbau einer klar gegliederten und steuerbaren Struktur notwendig wurde.
Der CEO war auf diesen Schritt nicht vorbereitet, er kam mit seiner ausgleichenden, beziehungsorientierten Neigung schwer mit der nötigen Einführung von Strukturen und Differenzierungen zurecht. Die Neigung, alles selber zu machen – »die nötige Kompetenz ist in der Organisation eh nicht vorhanden« –, führte zu einem übervollen Terminplan und ständigen Rücksprachen mit allen Mitarbeitern.
Erste Schritte waren nun zum einen das Organisieren eines handlungsfähigen Organisationskörpers und zum anderen, die strukturellen Notwendigkeiten nicht als persönliche Schwächen oder Niederlagen zu definieren.
Radikal war die Herausforderung zur Veränderung: Von wichtig zu sein aufgrund der menschlichen Beziehungen in einem »kuscheligen« Nest, hin zu einem differenzierten Feld, indem der CEO den strukturellen Rahmen hält und ansonsten in seiner Funktion als Schnittstelle zur »Außenwelt« unterwegs ist.
Mit einer rein funktionalen Betrachtung wäre jetzt das Coaching beendet und vermutlich sehr nützlich gewesen. Herr Teubner ging den nächsten Schritt.
Parallel zum Coaching-Prozess entstanden bei seinen Kunden hohe Anforderungen in Bezug auf neue Aufträge, Schnelligkeit und Güte der Leistungen. Parallel dazu brachen bei den Anteilseignern turbulente Auseinandersetzungen über Ziel, Ausrichtung und Strategie der Gesellschaft auf.
Herr Teubner sah die Turbulenzen, konnte sie nicht einordnen und sich in Beziehung setzen zu machtorientierten Handlungsmustern und für sich eigenständige Verhaltensweisen für diese Arena zu entwickeln.
Im inneren Werte-Kanon war Macht negativ konnotiert und für ausgleichende Beziehungsgestaltung ungeeignet. Die Arbeit an den Glaubenssätzen, verbunden mit vielen Experimenten in der Außenwelt, führten zu einem neuen, positiv besetzten Bild bei Herrn Teubner: »Mit Freude gestaltet mein innerer Löwe mit.« Die Folge waren vielfältige Diskussionen und Auseinandersetzungen mit Kunden und Anteilseignern, bei denen auch die Kompetenz des CEO infrage gestellt wurde. Politische Rücksichtnahmen verhinderten seine Entlassung und boten ihm die Chance, seine Position und sein Auftreten zu stärken. Die Zeit für Herrn Teubner war geprägt von viel Unsicherheit und ständig neuen Anforderungen. Coaching war für ihn eine unterstützende Ressource mit der Möglichkeit zu reflektieren, zu üben und aufzutanken.
In den Raum der systemischen Betrachtung
In diesem Abschnitt des Coachings waren drei Gedanken tragend:
1. Was wird von den Kunden und Anteilseignern beobachtet und mit welchen Bewertungen versehen?
2. Welche strukturellen Bedingungen tragen zu welchem Verhaltensmuster bei?
3. Welche Muster wiederholt die Organisation bei Irritation von außen?
1. Die Distanz und Meta-Ebene zu nutzen, um die wechselseitigen Kommunikations- und Zuschreibungsmuster zu identifizieren, war erstmal ungewohnt und herausfordernd. Ein markanter Einschnitt war eine Präsentation vor dem Aufsichtsrat, indem sich beide Seiten nicht verstanden fühlten. Der Aufsichtsrat empfand die Information als unpräzise, ausgleichend und nicht zielführend. Der CEO verstand nicht, warum seine Absichten nicht positiv ankamen. In der Reflexion stellte sich heraus: Beide Seiten schrieben dem anderen kritische Aspekte aus gänzlich anderen Perspektiven zu; der Aufsichtsrat unterstellte mangelnde Zielorientierung und wenig Erfolgshunger und belegte das mit dem Verhalten des CEO. Umgekehrt versah Herr Teubner seine Ausführungen mit vielen Beziehungsangeboten und war enttäuscht, dass seine Botschaften keinen Beifall hervorriefen: »Die verstehen mich nicht«. ›Stimmt‹ war das Ergebnis der Reflexion im Coaching, verbunden mit alternativen Ideen zur Gestaltung der Kommunikation.
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