Rolf Arnold - Erziehung durch Beziehung

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Kinder- und Schulstube prägen uns – und die Erziehung der eigenen Kinder dazu. Wir tun deshalb gut daran, Erziehungslamentos und Rezepthoffnungen aufzugeben und uns stattdessen mit uns selbst auseinanderzusetzen. Dieses Buch handelt von dem, was wir bewirken, wenn wir nichts bewirken, sondern uns lediglich treu bleiben : eine echte Beziehung zum Kind und damit das, was Erziehung sein sollte, nämlich eine Unterstützung nachwachsender Menschen auf ihrem Weg zur selbstverantwortlichen Lebensgestaltung.

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Rolf Arnold Erziehung durch Beziehung Plädoyer für einen Unterschied ISBN - фото 1

Rolf Arnold

Erziehung durch Beziehung

Plädoyer für einen Unterschied

ISBN Print: 978-3-0355-0309-8

ISBN E-Book: 978-3-0355-0690-7

1. Auflage 2016

Alle Rechte vorbehalten

© 2016 hep verlag ag, Bern

www.hep-verlag.com

Inhalt

1 Am Anfang war die Erziehung

2 Wenn Sie ein Kind erziehen, fragen Sie sich, was Sie erwarten und woher Ihre Vorstellungen kommen! Oder: Die Macht von Überlieferung und Aberglauben

3 Wenn Sie Ihrem Kind Werte stiften wollen, achten Sie darauf, welche Werte Sie ihm vorleben! Oder: Man kann Werte nicht vermitteln, wohl aber teilen

4 Wenn Ihr Kind Ihnen widerspricht und Sie nicht zu respektieren scheint, lernen Sie sich selbst kennen und beobachten Sie Ihre Reaktionen! Oder: Die Ordnung des Aufwachsens

5 Wenn Ihr Kind orientierungslos zu sein scheint, suchen Sie die emotionale Resonanz! Oder: Die Nachwachsenden liebevoll und verständnisvoll begleiten

6 Wenn Sie selbst nicht mehr weiterwissen, versuchen Sie es mit dem Unterschied! Oder: Das Gegenüber von seinen Gründen her verstehen

7 Wenn Ihr Kind Ihnen zu entgleiten droht, zeigen Sie ihm Ihre Präsenz! Oder: Der Umgang mit notwendigen Grenzen

8 Wenn Sie bei Ihrem Kind Selbstdisziplin vermissen, versuchen Sie, ihm in anderer Weise zu begegnen! Oder: Die Überschätzung der Disziplin

9 Wenn Sie die Welt Ihres Kindes nicht mehr verstehen, vermeiden Sie die Beurteilungsfalle! Oder: Dass mir etwas so scheint, heißt nicht, dass es so ist

10 Wenn andere einen stärkeren Einfluss haben, lassen Sie den Gesprächsfaden nicht abreißen! Oder: Die Kraft der Beziehung

Nachwort

In meinen Vorträgen frage ich die Zuhörer bisweilen Wer von Ihnen hat schon - фото 2

In meinen Vorträgen frage ich die Zuhörer bisweilen: «Wer von Ihnen hat schon einmal ein Kind erfolgreich erzogen?» Darauf meldet sich meist niemand. Die Frage löst verlegenes Lachen aus. Viele fühlen sich wie ertappt. Ihnen fallen ihre eigenen wirkungslosen Ermahnungen und Aufforderungen ein. Oder sie erinnern sich an die endlosen Wiederholungen der immer gleichen Standpauken, mit denen sie darum bemüht waren, ihre Kinder zu einem anderen Verhalten zu bewegen – meist ohne irgendwelche dauerhaften Effekte. Und manche sind auch traurig darüber, dass die erschöpfenden Auseinandersetzungen sie mehr und mehr von ihren Kindern entfremdet haben.

Eigentlich ist uns bewusst, dass Erziehung »nicht möglich, aber nötig« ist – so das Fazit eines bekannten Erziehungswissenschaftlers (Oelkers 2001, S. 102). Und doch können wir intuitiv erkennen, ob ein Mensch, mit dem wir es zu tun haben, Erziehung genossen hat oder nicht. Dann sagen wir zum Beispiel: »Der stammt aus einem guten Elternhaus« oder »Sie hat eine gute Kinderstube genossen«.

Wissen wir wirklich, wie Elternhaus und Kinderstube wirken? Kennen wir die dichten Erlebenswelten, die sie für die Nachwachsenden darstellen? Und können wir diese für unsere Kinder verändern, oder geht es ihnen so, wie es uns ergangen ist? Wir wuchsen mit den Eltern, die wir hatten oder entbehren mussten, auf, beobachteten Vorbilder, erfuhren Unterstützung oder Ablehnung, sammelten die Erfahrungen, die sich uns boten – darunter nicht nur angenehme, sondern nicht selten auch unangenehme. Auswählen konnten wir uns die Erziehungsinstanzen nicht, auch nicht mitbestimmen, welche Erfahrungen diese uns ermöglichten oder zumuteten.

Kinder und Jugendliche, deren Verhalten uns aufregt oder gar auf die Nerven geht, haben sich dieses Verhalten nicht böswillig zugelegt. Schon gar nicht haben sie es ausgewählt, so, wie man eine Jacke oder Hose aus der Vielfalt der Angebote im Internet bestellt. Ihr als störend empfundenes Verhalten ist vielmehr Ausdruck von inneren Prozessen der Suche im Anregungsfeld der sich ihnen bietenden Möglichkeiten – im Wirkungsfeld geeigneter oder ungeeigneter Vorbilder und Erlebnisse.

Eine Mutter sagte zu mir:

»Ehe du dich's versiehst, ist dein Kind dir schon entglitten. Dann bestimmen Freunde sein Verhalten, und dein Kind beginnt seine eigenen Wege zu gehen. Ob es dabei auf Abwege gerät, hast du nicht in der Hand. Es kommt nur zurück, wenn es sich mehr an deine Liebe als an deine Kritik erinnert!«

Diese Äußerung nimmt vorweg, worum es in diesem Buch geht: Wer sein Kind erziehen will, muss die Beziehung zu seinem Kind gestalten. Dies ist leichter gesagt als getan, denn immer wieder fallen Eltern, Lehrerinnen oder Erzieher in die Vorstellung zurück, der ganze Erziehungserfolg ihrer Bemühungen stehe und falle mit den getroffenen Erziehungsmaßnahmen. Sie suchen deshalb nach Tipps und Tricks, um ihre Kinder zu steuern, sie wollen die Kunst erlernen, »Kinder zu kneten«, wie es der österreichische Autor Rudi Palla einmal ausdrückte (Palla 1997). Doch diese Kunst gibt es nicht. Wer auf sie hofft, hat nicht verstanden, dass alles erzieht und nichts planbar ist. Auf alle Fälle gibt es keine sicheren Wirkungen zu einzelnen Erziehungsmitteln, wohl aber eine Fülle von ungewollten Risiken und Nebenwirkungen. Und zu oft insistieren wir, wiederholen unzählige Male dieselbe Aufforderung, verfallen mehr und mehr in einen anweisenden Ton und merken, wie wir immer stärker den Kontakt zu unseren Kindern verlieren.

Ohne eine aktive, gestaltende Beziehung ist Erziehung nicht das, was sie doch sein will: eine Unterstützung nachwachsender Menschen auf ihrem Weg zur eigenen Kraft und zur verantwortlichen Lebensgestaltung.

Und meist überhören wir die Einsichten derjenigen, die sich mit Erziehung ein Leben lang wissenschaftlich und praktisch auseinandergesetzt haben, wie die des österreichisch-amerikanischen Psychiaters Rudolf Dreikurs (1897–1972). Er brachte es auf den Punkt:

»Zwar dürfen Sie nicht darauf hoffen, dass ihre Kinder jemals Engel werden, aber Sie können darauf hoffen, dass Sie zu besseren Eltern werden« (Dreikurs 2010, S. 22).

In was für einer Welt leben wir eigentlich?

Keine Sorge! Diese Frage ist nicht der Beginn eines Lamentos, wonach früher alles besser gewesen sei und die Kinder noch gewusst haben, was sich gehöre, der Respekt vor Autoritäten und Disziplin sei noch selbstverständlich gewesen. Diese Rückblicke sind nicht nur verzerrend und idealisierend, sie verfälschen auch unseren Blick und werfen uns in die Vorstellung zurück, Erziehung sei möglich. Man müsse nur entschlossener vorgehen und über die subtilen Mittel einer gelingenden Erziehung verfügen, auf die man schon seit Jahrhunderten wartet.

Erziehungslamento und Rezepthoffnung sind Zwillinge. Sie treten stets zusammen auf.

Wer sich mit diesen Zwillingen zusammentut, hat das Wesen der Entwicklung und Reifung des Menschen nicht verstanden. Dieses lässt sich nicht berechnen. Es gibt keine Erziehungsmechanik. Über die Instrumente, die sich alle herbeiwünschen, verfügt niemand. Ein Werkzeugkoffer, der sie enthält, müsste ein Zauberkasten sein. Erziehung ist ein Versprechen, meist eine Hoffnung, aber keine sichere Wirkung. Erfahrene Erzieher, Lehrpersonen oder Eltern kennen diese Offenheit und Unberechenbarkeit. Sie wissen: Es ist keineswegs sicher, dass eine bestimmte Maßnahme auch den erhofften Effekt haben wird. Und auch ihre Wiederholung oder gar Verschärfung gewährleistet keineswegs sicher und langfristig den erhofften Erfolg. Wir müssen also zunächst verstehen, in welcher Art von Welt wir uns bewegen, wenn wir unsere Kinder zu erziehen glauben. Bewegen wir uns in der Welt des Steins oder in der Welt des Hundes, um ein Bild des amerikanischen Philosophen Gregory Bateson (1904–1980) aufzugreifen. In seiner bekannten Illustration wies Bateson darauf hin, dass man nur die Flugbahn eines Steins, den man tritt, einigermaßen genau berechnen könne. Trete man hingegen einen Hund, so müsse man damit rechnen, dass dieser sich umdreht und einen in den Fuß beiße (vgl. Bateson 1977).

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