Skills-Trainings bestehen immer aus sechs Schritten: Der erste Schritt ist die Vorbereitung, der zweite das Treffen mit der Skills-Trainerin, Vorzeigen, Fragen beantworten – der dritte Schritt besteht im Üben, und der vierte ist die Simulation mit einem Schauspieler, der sich ins Bett legt, die Aufgabe heisst dann zum Beispiel: Verbinden Sie beim Patienten die Wunde am Bein, und dieser Patient hat Schmerzen, vielleicht noch eine Sorge, die er loswerden will, ein Anliegen. Bei Schritt vier muss die Lernende Tätigkeit und «Einfühlsamkeit» bereits kombinieren.
Nach der Simulation folgt immer eine Reflexion. Dabei kommen dann Fragen wie: Und was, wenn der Patient nun fragt, ob er wirklich sterben muss? Solche Fragen diskutiere ich mit den Studierenden, ich hüte mich, einfach eine Standardantwort zu geben.
Schritt sechs ist schliesslich der Fähigkeitstest, also die Skills-Prüfung. Erst im Anschluss folgt dann das Erproben und Weiterentwickeln in der Praxis, die Handlung am realen Patienten. Da muss die Studierende auf Gefühlsreaktionen eingehen können, die echt sind, nicht «simuliert» oder gespielt.
Die Simulationssituationen selbst werden genau beobachtet, von der Trainerin und von den Mitstudierenden, die ja auch keine völligen Novizen sind, sondern selbst schon über Erfahrung verfügen. Und neben diesem Fremdfeedback ist die Selbstbeobachtung und Selbstreflexion ganz wichtig.
Simulation löst bei den Studierenden oft unangenehme Gefühle oder Widerstände aus. Sie sagen dann manchmal, es sei ja nicht echt, das sei ja gar kein richtiger Patient. Zumindest am Anfang muss ich erklären, warum wir in der Schule mit gespielten, allerdings durchaus realistischen Situationen arbeiten.
Dieser Widerstand gegen die Simulation hat nicht selten damit zu tun, dass es schmerzhaft sein kann, sich selbst zu beobachten; in der Simulation zeigen sich Schwächen, Verhaltensweisen oder Reaktionen, die einem peinlich sind. Es ist nicht angenehm, sich mit der eigenen Wahrheit zu konfrontieren. Übrigens nicht nur dann, wenn man etwas falsch macht; zu erkennen, was man gut macht, fällt oft noch schwerer.
Der Lerneffekt ist aber enorm. Nicht die Trainerin sagt: So und so haben Sie sich verhalten, sie sehen sich selber zu.
Eine gewisse Distanz bleibt immer. Aber meistens vergessen die Studierenden irgendwann, dass es sich um eine «unechte» Situation handelt; sie lassen sich darauf ein, sodass ein schönes Gespräch zustande kommt und eine realistische Interaktion mit dem Patienten stattfinden kann.
Allerdings kommt das Gegenteil ebenfalls vor: Einige Studierende können sich bis zum Schluss nicht auf die Situation einlassen und berichten dann als Fazit, dass ja alles «eh nur gespielt» sei. Dass dieses Sicheinlassen nicht gelingt, kann aber auch mit der schauspielerischen Leistung zusammenhängen; es gibt Simulationen, bei denen ich beim Betrachten selber zugeben muss, dass es mir wohl nicht gelungen wäre, mich auf die Situation einzulassen, weil es einfach zu wenig gut gespielt war.
Und manchmal sagen Studierende, der Schauspieler habe «so echt gespielt», Tränen inbegriffen, dass «der Patient» ihnen «wirklich leidgetan» habe. Einige reagieren dann mit Hilflosigkeit – die wiederum verschiedene Ursachen haben kann: Weil man wirklich nicht mehr weiss, wie man reagieren soll. Oder weil es «ja nur gespielt ist» und weil trotzdem verlangt wird, darauf einzugehen.
Ich glaube, dass es durchaus Lernende gibt, die in einer solchen Situation Mitgefühl entwickeln, im positiven Sinne. In der Regel bleibt es wohl auf einer eher sachlichen Ebene. Aber auch das kann ja Lernen fördern.
Kommunikative Kompetenzen sind ohnehin nicht in einer kurzen Kurssequenz zu vermitteln, nehme ich an ...
Ja, die entwickeln sich über Jahre, in der Praxis. Und inwieweit sie sich entwickeln, hängt auch von den Fähigkeiten ab, die jemand schon in die Ausbildung mitbringt. Schliesslich ist das Theoretische nicht allein entscheidend. Die Studierenden stehen immer in der Praxis, sie bekommen dort Bilder und Situationen mit und können darauf weiter aufbauen. Alles zusammen ist wichtig, Theorie, Training und Praxis. Ich selbst weiss, wie viel ich durch die Praxis, beim Selberausführen gelernt habe, was sich durch eine «Erzählung» oder Instruktion allein nicht lernen liesse. Darin sehe ich übrigens einen der grössten Vorzüge unseres dualen Berufsbildungssystems: in dieser engen Verbindung von Praxis und Theorie, in der Lernortkooperation, die zum Beispiel im Vergleich zu Deutschland sehr viel besser ausgebaut ist.
Auch in der Praxis haben die Studierenden übrigens Lernbegleitung. Am Morgen erleben sie verschiedene Pflegesituationen, am Nachmittag werden bestimmte Themen mit den Praxisausbildnerinnen aufgearbeitet. Manchmal muss man ja erst in der Praxis über Probleme stolpern und Fehler machen, damit man lernen kann.
Vorausgesetzt ist aber immer ein gewisses Menschenbild, eine Grundeinstellung, zum Beispiel gegenüber anderen Kulturen oder etwa älteren Menschen – dass ich mich in die Lebenslage der andern einfühlen kann.
Wenn ich mit Vorurteilen ein Zimmer betrete, kann ich lange lächeln, meine «schiefe» Haltung wird irgendwie zum Ausdruck kommen, in einem verbalen Akt oder bei einer Handlung. An der Haltung zu arbeiten, ist deshalb wichtig; ebenso wichtig ist auch das, was ich in dieser Hinsicht schon mitbringe, wie ich aufgewachsen bin, die eigenen Erfahrungen, wie ich kommuniziert habe und wie mit mir kommuniziert wurde, meine Fähigkeiten, auch einmal Schweigen auszuhalten – alles, was es braucht und was man nicht so einfach lernen kann.
Was geschieht mit solchen Themen in eurer Ausbildung? Was geschieht, wenn jemand mit einem gewissen Menschenbild in die Ausbildung kommt? Wird auch daran gearbeitet?
Es gibt bei uns zum Beispiel eine «transkulturelle Woche», dort ist die Haltung gegenüber Menschen aus anderen Kulturen Thema.
Auch beim Üben bekomme ich gewisse Haltungsvoraussetzungen mit, zum Beispiel im Rollenspiel. Manchmal provoziere ich das auch explizit und sage: Spielen Sie jemanden, der nur schlecht Deutsch kann. Dann sehe ich ja, wie die Studierenden diese Personen spielen, mit Respekt oder karikiert. In solchen Situationen kann ich Haltungsthemen aufnehmen und nachfragen. Manchmal kommt dann eine abwehrende Antwort oder eine Ausflucht. Aber schon dadurch, dass es angesprochen wird, ist die Studierende zum Überdenken gezwungen, sie spürt oder merkt, dass sie etwas Fragwürdiges gesagt oder getan hat – Nachhaken führt zu Betroffenheit, die Motivation für eine Änderung bewirkt.
Wieso sind Sie eigentlich selbst in die Pflege gegangen?
Das habe ich mich oft gefragt. Ich wollte eigentlich kreativ sein können, zum Beispiel im grafischen Bereich. Oder zur Swissair, Stewardess, das hätte mir gefallen, wegen der Reisen, der Sprachen ... In die Pflege bin ich dann mit achtzehn «hineingerutscht», es ist wohl auch eine gewisse familiäre Prägung dabei. Meine Mutter arbeitet in der Pflege, auch die Schwester. Meine Urgrossmutter war Hebamme. Eigentlich weiss ich bis jetzt nicht genau, was am Ende den Ausschlag gegeben hat.
In der Schule merkte ich bald, dass viele meiner Kolleginnen anders dachten als ich, sie lebten für den Beruf, ich machte die Arbeit zwar gern und mit viel Herzblut, aber ich wusste auch immer, dass mir anderes ebenso wichtig war. In der Lehrerinnenrolle habe ich mich gleich viel wohler gefühlt. Mein Vater war übrigens Berufsschullehrer.
Sie kombinieren also die Berufe Ihrer Mutter und Ihres Vaters ...
Genau. Interessant ist vielleicht auch dies: In den Pflegeberufen spielt das Thema Burn-out eine grosse Rolle, viele sind betroffen, das Risiko «auszubrennen» ist gross. Bei den Lehrpersonen ist es ähnlich. Und das ist eines meiner grossen Themen: Leistungsdruck und der Umgang damit.
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