In ihrer Verantwortung liegt es anschließend auch, das optimale Mittel zu wählen und ihre Arbeit korrekt und sorgfältig auszuführen. Dabei kommen ihre Kenntnisse und Fertigkeiten ins Spiel.
Die Friseurin muss zunächst die unterschiedlichsten Mittel und Verfahren für Farbveränderungen kennen; sie muss der Kundin deren Möglichkeiten und Grenzen aufzeigen und aufgrund ihrer Wünsche das richtige Mittel wählen (Kenntnisse). Um das Produkt korrekt anwenden zu können, muss die Friseurin Anwendungshinweise verstehen. Sie muss wissen, welche Konsequenzen ein Nichteinhalten der Einwirkzeit haben kann. Sie muss ebenfalls verstehen, dass es je nach Situation verschiedene Auftragetechniken gibt. Sie muss also Überlegungen anstellen, um welche Situation es sich im vorliegenden Fall handelt.
Hat sich die Friseurin für eine Auftragetechnik und ein Produkt entschieden, kommen ihre Fertigkeiten zum Zug. Beim Mischen der Farbe berücksichtigt sie die genauen Anwendungshinweise und trägt sie sorgfältig und korrekt auf. Der Kreis zu den Haltungen schließt sich, indem die Friseurin Verantwortung für die sorgfältige Ausführung und das Einhalten der Einwirkzeit übernimmt.
Unser Kompetenzverständnis
Ganz ähnlich wie im eben skizzierten Beispiel verstehen wir in diesem Buch Kompetenz als Fähigkeit, bewusst Ressourcen – also Wissen, Fertigkeiten und Haltungen – zu aktivieren und kreativ und funktional miteinander zu kombinieren, um konkrete Situationen erfolgreich zu meistern (in Abbildung 1 sind diese Zusammenhänge dargestellt; vgl. auch Ghisla/Kolb 2003, S. 11–14; Euler 2009, S. 33–35).
Dabei konzentrieren wir uns hier bewusst auf den schulischen Bereich – und verlieren dabei gleichzeitig nie aus dem Blick, dass das, was in der Schule vermittelt und gelernt wird, nur ein Teil dessen ist, was es zu »beruflicher Handlungskompetenz« braucht, dem Ziel jeder beruflichen Ausbildung. Umgekehrt ist ganz wesentlich, dass das Wissen, die Fertigkeiten und Haltungen, die sich Lernende am Arbeitsplatz im Betrieb aneignen, ständig in den Unterricht eingebettet, nutzbar gemacht und reflektiert werden. Unterricht soll stets bei den Erfahrungen der Lernenden anknüpfen – im besten, produktivsten Sinne.
Wissen, Fertigkeiten, Haltungen
Ein paar allgemeine Bemerkungen zu den drei Typen von Ressourcen:
Wissen: Wissen lässt sich häufig in Aussagesätzen fassen. Diese Art von Wissen wird als deklaratives Wissen bezeichnet (Kaiser 2005, 2008). Die Lernenden müssen zum Beispiel Fachbegriffe kennen, deren Bedeutung verstehen und Zusammenhänge zwischen ihnen nachvollziehen und benennen können. Dieser Typus von Wissen beschränkt sich indessen nicht auf sachliche Inhalte. Auch bei den Arbeits- und Lerntechniken ist deklaratives Wissen wesentlich: Die Lernenden erwerben Kenntnisse über mögliche Vorgehensweisen, einen möglichen Arbeitsablauf. Das genügt freilich nicht. Sie müssen auch wissen, wie man sich einer Technik bedient (»Wissen, wie«, prozedurales Wissen, vgl. Euler/Hahn 2007, S. 109). Und weiter müssen sie wissen, wann und unter welchen Umständen man eine bestimmte Arbeits- und Lerntechnik mit Gewinn einsetzt. Solches Expertenwissen, das Handeln in der konkreten Umsetzung steuert, bezeichnen wir als konditionales Wissen. Zur Ressource Wissen gehört schließlich das Wissen über sich selbst als Lernende/n (fachliches Vorwissen, Lerngewohnheiten, eigenes Lernstrategierepertoire), über die Lernsituation (Metzger 2001, S. 43) und über Aufgaben und Aufgabentypen (Büchel/Büchel 2009, S. 33–38). Solches Wissen bezeichnen wir als Metawissen.
Fertigkeiten: Die Lernenden müssen ihr Wissen auch in bestimmten Situationen anwenden können; dazu brauchen sie Fertigkeiten, also Verhaltensweisen, die im Verlauf der Ausbildung in Form von Lern- und Arbeitstechniken gezielt geschult werden und mit der Zeit in Fleisch und Blut übergehen.
Haltungen: Als Haltungen bezeichnen wir die inneren Einstellungen eines Menschen, seine Werte und Normen. Haltungen prägen das Handeln wesentlich mit. Beispiele für Haltungen in diesem Sinne sind etwa Verantwortungsbewusstsein, Einfühlungsvermögen, Toleranz und Interesse am Umfeld.
Aus diesem Begriffsverständnis leiten wir für unser Buch folgende Regeln ab:
1) Werden bei kompetentem Handeln Ressourcen gebündelt, müssen diese Ressourcen schon vorhanden sein – im Unterricht werden sie also zunächst aufgebaut, weiterentwickelt und systematisiert.
2) Kompetentes Handeln ist immer situationsbezogen – und jede Situation ist anders. Situationen lassen sich allerdings auch typisieren und konstruieren. Dies sind für die Ausbildung im schulischen Bereich zentrale Annahmen.
Wie lassen sich nun Kompetenzen im konkreten Unterricht fördern ? Welche didaktischen Maßnahmen führen zu welchem Ergebnis? Durch welche methodischen Settings lassen sich welche Ressourcen gezielt aufbauen, fördern, anwenden und evaluieren? Diese Fragen beantworten wir mit diesem Buch.
Kompetenzorientiert unterrichten
Aus unserem Konzept von »Kompetenz« (→ Abbildung 1) ergibt sich ein einfaches didaktisches Grundmuster: Im kompetenzorientierten Unterricht werden 1) gezielt Ressourcen aufgebaut, und es werden 2) Gelegenheiten geboten, in denen die Lernenden (wenn auch vielleicht nur übungshalber) Kompetenz beweisen, kompetent handeln können – in denen sie Ressourcen also »bewusst aktivieren«, »kreativ und funktional bündeln« und in der Umsetzung Erfahrungen sammeln können. Im Unterricht werden »Situationen« geschaffen, die genau dies erlauben. Dazu setzen die Lehrpersonen ganz gezielt bestimmte methodische Settings ein.
Zwei Präzisierungen dazu, auf die in diesem Buch immer wieder Bezug genommen wird:
1) Beim Aufbau von Ressourcen und bei der Förderung der Kompetenzen lässt sich stets ein »direktes« und ein »indirektes« Vorgehen unterscheiden.
2) Ein kompetenzorientierter Unterricht kann immer aus zwei Perspektiven beschrieben und analysiert werden: von der Außenseite, die als Verlauf von Unterricht zu erkennen ist, und in einer Innensicht, die sich auf den Lernprozess selbst bezieht, den Aufbau von Ressourcen.
Direktes und indirektes Vorgehen
Beim direkten Vorgehen ist es die Lehrperson, die vorgibt, welche Ressourcen für das Bearbeiten einer vorgegebenen Situation benötigt werden. Bildlich gesprochen: Die Puzzleteile werden den Lernenden einzeln präsentiert; die Lehrperson zeigt, wie die Teile zusammenpassen, mit welchem Wissen und welchen Fertigkeiten sie eine Situation meistern können. In solchen Settings ist das Vor- und Nachmachen ein wichtiger methodischer Zugang. Mithilfe von Lehrmitteln zum Thema »Lernen lernen« oder konkreten Arbeitsanweisungen erhalten die Lernenden Einblick in verschiedene Vorgehensweisen und entwickeln gezielt Ressourcen. Mit der Zeit entsteht für sie aus den einzelnen Teilen ein Ganzes. Nachdem ihnen die Instruktion der Lehrperson den Weg gewiesen hat, sind sie allmählich in der Lage, eine vorgegebene Situation planmäßig anzugehen und selbst zu meistern. Solch schrittweises, durch die Lehrperson gelenktes Vorgehen ist dann sinnvoll, wenn die Lernenden noch über wenig Ressourcen verfügen oder wenn die Ausbildungssituation den Einsatz ganz bestimmter Ressourcen voraussetzt.
Beim indirekten Vorgehen wird den Lernenden lediglich eine komplexe Situation vorgegeben. Sie versuchen autonom, die Situation mit den vorhandenen Ressourcen zu analysieren und herauszufinden, wie ein Problem gelöst werden kann. Aufgrund der Analyse wird festgehalten, welche Ressourcen in den Feldern »Wissen«, »Fertigkeiten« und »Haltungen« allenfalls noch zu erwerben, zu optimieren oder zu hinterfragen sind. Im Anschluss an die Analyse wird im Team das weitere Vorgehen geplant, werden die nächsten Schritte definiert. Beim indirekten Vorgehen ist also bereits zu Beginn das ganze Bild ersichtlich; die Lernenden können jeden weiterführenden Schritt stets mit der zu lösenden Situation in Verbindung bringen und versuchen, sie aus eigener Kraft zu meistern, ohne dass die Lehrperson mit methodischen Vorgaben eingreift.
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