1 ...6 7 8 10 11 12 ...20 Durch solche Praktiken griffen die Städte über ihre Mauern hinaus und begannen ein durch städtische Freiräume geprägtes Netzwerk von Burgrechten aufzubauen, das die adlige Basis – Grundherrschaft und Vogteirechte – der fürstlichen Territorialherrschaft in Frage stellte. Das erklärt, weshalb die Kurfürsten in der Goldenen Bulle von 1356 das Pfahlburgerwesen verbieten liessen. Das liess sich aber kaum durchsetzen, schon gar nicht in der Eidgenossenschaft. Hier betrieb sogar die noch habsburgische Landstadt Luzern eine Ausbürgerpolitik, die allerdings weniger auf den Adel als auf ländliche Kommunen ausgerichtet war, so auf das Entlebuch und die nahe gelegene Kleinstadt Sempach. Die Sempacher lagen mit ihren österreichischen Pfandherren im Streit um Steuern und Autonomierechte. Rückhalt fanden sie in Luzern, dessen (wirtschafts-)politische Spielräume durch die habsburgische Herrschaftsintensivierung ebenfalls eingeengt wurden. Obwohl sie selbstverständlich in Sempach selbst wohnhaft blieben, wurden die Sempacher Anfang 1386 «ingesessene Burger» von Luzern. Ähnlich nahm Luzern landsässige österreichische Eigenleute, also unfreie Bauern, in mehreren Masseneinbürgerungen auf, zuletzt 1385/86. Gleichzeitig eroberte Luzern die habsburgischen Besitzungen Rothenburg und Wolhusen und vertrieb die Vögte.
Die widerrechtlichen Handlungen der Luzerner stellten die Herrschaft des lokalen Adels in Frage und riefen Herzog Leopold III. auf den Plan. Wenn er seine Landstadt Luzern zur Rechenschaft zog, stärkte er auch seine Position in den habsburgischen Stammlanden zwischen den Neuerwerbungen im Breisgau, im Rheintal und im Tirol. Doch das misslang im heissen Juli 1386 in der Schlacht bei Sempach. Die im Einzelnen schlecht dokumentierte, aber sensationelle Niederlage der berittenen Krieger gegen Fussknechte aus Stadt und Land war in den Augen der österreichisch-adligen Geschichtsschreibung ein Skandal: Der heldenhafte Leopold und seine adligen Vasallen wurden «mit dem schwert erschlagen, uf dem iren und von den iren und uss dem iren gäntzlich ussgetilget». Die Kurzformel «In suo, pro suo, a suis occisus» besagte, dass der Herzog von rebellischen Untertanen ermordet wurde, als er in seinem Territorium seine rechtmässigen Herrschaftsrechte ausübte. Die Niederlage der Habsburger bei Sempach erregte über die regionalen Folgen hinaus Aufsehen. Die Auseinandersetzung konnte als Teil des Deutschen Städtekriegs angesehen werden, in dem von 1387 bis 1389 ein fürstlicher Herrenbund dem 1381 gegründeten Süddeutschen Städtebund gegenüberstand, der wiederum den Schwäbischen Bund (um Ulm) und den Rheinischen Städtebund (von Frankfurt bis Strassburg), aber auch Basel umfasste. Die schwäbischen Städte unterlagen in der Schlacht bei Döffingen (1388) gegen Württemberg ebenso wie der rheinische Bund im selben Jahr bei Worms. Der Landfriede von Eger (1389) verfügte die Auflösung aller Städtebünde, insbesondere also des Süddeutschen Städtebunds. Dieser hatte zeitweise rund 50 Reichsstädte umfasst, nachdem er sich im «Konstanzer Bund» 1385 durch ein Bündnis mit Bern, Solothurn, Zürich und Zug erweitert hatte, woran auch Luzern indirekt – über Zürich – beteiligt war. Allerdings wollten sich die süddeutschen Städte in den Konflikt mit Leopold nicht hineinziehen lassen: Bei Sempach kämpften nur die Angehörigen des Zürcher Bunds von 1351; es fehlte also auch Bern.
Ohne den Sieg bei Sempach wäre dieser Zürcher Bund wohl ebenso aufgelöst worden wie die Städtebünde in Südwestdeutschland. Dort hatte sich allerdings die Bauernschaft in den brutalen Kämpfen auf die Seite des Adels geschlagen, der ihnen besseren Schutz versprach als die brandschatzenden Truppen der Städte. In der Eidgenossenschaft dagegen wirkten Stadt- und Landbewohner gemeinsam als ausgreifende Ordnungsmacht, die nicht auf Fürsten und Adel angewiesen war. In dieser Hinsicht hatte Leopold III., mit Tiroler Angelegenheiten beschäftigt, 1375 schon im Guglerkrieg versagt, als Innerschweizer, Seeländer und Berner marodierende Söldnertruppen zurückschlugen, die während einer Ruhephase des Hundertjährigen Kriegs von Frankreich her ins Mittelland eingefallen waren. Mit Herzog Leopold fielen bei Sempach mehrere Hundert Adlige, als getreue Gefolgsleute der Habsburger die Basis ihrer Herrschaft in den Vorlanden. Das habsburgische Lehensgeflecht bis hin zum Oberrhein war damit stark gelichtet. Die neuen lokalen Herren, die sie ersetzten, hatten kaum Verpflichtungen gegenüber dem fernen und geschwächten Österreich und orientierten sich stattdessen an den nahen und erfolgreichen Eidgenossen, die sich im Machtvakuum als Alternative zur fürstlichen Herrschaft positionierten.
Partnerschaft oder Unterordnung?
Solche Verträge, die im eidgenössischen Umfeld oft als Schirmherrschaften geschlossen wurden, entwickelten sich nicht selten von Abmachungen unter rechtlich Gleichgestellten zu einem Mittel, um den schwächeren Partner unterzuordnen. Wie offen die Situation war, zeigt sich bei den habsburgischen Vogteien und Seeanrainern Gersau, Weggis und Vitznau. 1359 bestätigten ihnen die Waldstätte und Luzern die Aufnahme in ihren Bund von 1332. Doch nach 1380 geriet Vitznau widerstandslos und Weggis trotz Gegenwehr unter die Vogteigewalt Luzerns, das so Habsburgs Nachfolge antrat. Gersau hingegen blieb nach dem Loskauf der Vogteirechte selbstständig und bis zum Ende der Alten Eidgenossenschaft ein Zugewandter Ort der Waldstätte, die gegen die Zusage einer Kriegsmannschaft Schutz und Schirm übernahmen. Ähnlich unterstellte sich das Kloster Engelberg der Schirmherrschaft Luzerns und der Waldstätte. Auch die Stadt Zug und das Tal Glarus besannen sich nun auf die älteren, bisher unverbindlichen Bünde. Die Glarner bestätigten ihre Entscheidung 1388 bei Näfels durch einen überraschenden Sieg gegen ihre früheren Habsburger Herren, welche die abtrünnigen Untertanen wieder gefügig machen wollten.
An die Stelle eines Landesfürsten, der mit seinen Vasallen eine grossräumige Kontrolle versprochen hätte, trat eine Vielzahl eher regional orientierter und weitgehend autonomer Städte und Talschaften, die schlecht koordiniert waren und oft miteinander konkurrierten. So näherte sich Zürich schon bald nach dem Sempacherkrieg den Habsburgern an. Die undisziplinierten Innerschweizer Kriegsleute waren nur für die Viehhändler naheliegende Alliierte, nicht aber für Fernkaufleute und Gewerbetreibende, deren wirtschaftliche Interessen im Bereich von Oberrhein und Bodensee lagen, wo viele Reichsstädte und Adlige unter habsburgischem Schutz zusammenlebten. Doch die proeidgenössischen Kräfte in Zürich stürzten die Anhänger Habsburgs und errichteten ein richtiges Zunftregiment mit zwei halbjährlich wechselnden Bürgermeistern. Aussenpolitisch fanden sie eine Mittlerrolle, die den gegensätzlichen Interessen der Bürger entsprach. Im Zwanzigjährigen Frieden von 1394 mit der «eitgenoschaft», was als Kollektivbezeichnung nunmehr auch gegen aussen exklusiv genug war, erkannte Habsburg de facto den Verlust von Luzern, Zug und Glarus an, während Zürich für das Wohlverhalten der Inneren Orte garantierte.
Voraussetzung dafür war der Sempacherbrief von 1393 – das erste gemeinsame Dokument, das die Waldstätte, Luzern, Zürich, Bern, Zug und Glarus «in unser eitgenoschaft» vereinte. Dass auch Solothurn den Sempacherbrief unterschrieb, zeigt allerdings, dass die mit den Waldstätten abgeschlossenen Bündnisse noch nicht als exklusiver Kern einer «achtörtigen Eidgenossenschaft» angesehen wurden. Für die Unterzeichner galten nun einige Regeln, welche die Handschrift der städtischen Kaufleute verrieten und sie für die Habsburger erst zu Friedenspartnern mit ähnlichen Werten machten. Unter Eidgenossen waren Gewalttaten verboten, der Handel wurde geschützt; im Krieg wurden Fahnenflüchtige und vorzeitige Plünderer bestraft, Kirchen, Klöster und Frauen geschont. Dass solche Abmachungen nötig waren, verrät einiges über die Kämpfe und Scharmützel im Umfeld der Schlacht von Sempach.
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