Gleichsam im Mittelpunkt der Auseinandersetzung lag das linksrheinische Konstanz, der alte Vorort des Herzogtums Schwaben. 1498 war die Reichsstadt, nicht zum ersten Mal, Stätte einer ausserordentlichen Tagsatzung der Eidgenossen gewesen. Andererseits hatte zu Fasnacht 1495 ein Freischarenzug von 1000 Innerschweizern durch eine angedrohte Brandschatzung 4000 Gulden erpresst. Konstanz, die Stadt ebenso wie der Bischof, sahen sich also im Dilemma zwischen einerseits dem adligen Schutz, dem die schwäbischen Reichsstädte vertrauten, und andererseits den gleichsam mafiösen Schutzgeldforderungen der Kriegerhaufen aus den an sich geografisch und politisch nahestehenden eidgenössischen Orten. Nach anhaltenden Versuchen, neutral zu bleiben, schloss sich Konstanz schliesslich dem Schwäbischen Bund an. Was folgte, könnte als – entsprechend grausamer – «Bürgerkrieg im Bistum Konstanz» bezeichnet werden.
Beide Kriegsparteien verwüsteten in kleineren Schlachten, vor allem aber blutigen Plünderungszügen 1499 die Gebiete entlang der Rheingrenze, ehe die Bündner an der Calven, am Ausgang des Münstertals, im Mai ebenso obsiegten wie zwei Monate später bei Dornach die Solothurner und eidgenössische Hilfstruppen. Es hatte nichts gefruchtet, dass König Maximilian Ende April nach anfänglichen Vermittlungsversuchen auch persönlich in die Kämpfe eingriff und die Reichsacht gegen die Eidgenossen verhängte. Am 22. September 1499 wurde der Friede von Basel geschlossen, in dem bei territorialem Status quo die Landgerichtsbarkeit im Thurgau von Konstanz an die Eidgenossen fiel: Ihre Gemeine Herrschaft führte nun uneingeschränkt bis vor die Mauern der linksrheinischen Reichsstadt. So wurden konkurrierende Rechtsansprüche entflechtet und klar entlang von territorialen Grenzen getrennt – eine Grenze zu Konstanz und zu Schwaben, wohlverstanden, und nicht zu «Deutschland». Die Eidgenossen legten grossen Wert darauf, dass sie den Krieg nicht gegen König und Reich geführt hatten, die im Friedensvertrag gerade deshalb nicht erwähnt wurden. Gegen Maximilian ging es nur «von wegen sine Maiestät Graffschafft Tirol», und als seine Hauptgegner wurden der Bischof von Chur und der Gotteshausbund benannt. Gleichwohl galt der Basler Friede von 1499 der nationalen Geschichtsschreibung seit dem späten 19. Jahrhundert anachronistisch als Beginn der «faktischen Unabhängigkeit» vom Reich, wobei man eigentlich an das Deutsche Reich von 1871 dachte. 1499 suchte dagegen niemand «Unabhängigkeit», im Gegenteil: Sie hätte die zehn «des heilgen Römschen richs besunders gefryete Staend» ihrer Herrschaftslegitimation beraubt, die alternativlos in den königlichen Privilegien begründet lag.
Letzte Erweiterungen der Bündnisse
Das Reichskammergericht wurde im Basler Frieden nicht erwähnt. Man konnte aber dessen letzten Paragrafen, der laufende «processe und beswärungen» gegen Eidgenossen, Untertanen und «verwanndte» niederschlug, als Befreiung davon lesen. Daran war den zehn Orten sehr gelegen, welche die alte reichsrechtliche Befreiung von auswärtiger Appellation grosszügig interpretierten, weniger für sich als wegen der Zugewandten. Tatsächlich hatte das Kammergericht gegen ihren ausdrücklichen Willen den St. Galler «Varnbüler Handel» und den Appenzeller «Schwendiner-Handel» an sich gezogen und die beiden Zugewandten Orte vorübergehend mit Reichsacht belegt. Das berührte insofern Grundsätzliches, als die Eidgenossen 1489 im «Rorschacher Klosterbruch» gerade bewiesen hatten, dass es ausreichte, wenn sie alleine als regionale Ordnungsmacht auftraten, diplomatisch mit Schiedsgerichten und notfalls mit Waffengewalt. Durchaus konservativ mussten sich nun einerseits die rastlosen Appenzeller mit sieben Orten (ohne Bern) die Herrschaft über das Rheintal teilen, während andererseits die Stadt St. Gallen daran gehindert wurde, jenseits der engen Stadtgrenzen auf Kosten des Fürstabts ein Territorium zu erwerben, das ihrem im Leinwandgewerbe und -handel erworbenen Reichtum entsprochen hätte. Gleichwohl sahen es das Kammergericht und hinter ihm die Reichsstände als ihre ureigene Aufgabe an, einen geistlichen Reichsfürsten, den St. Galler Abt, auf dem Rechtsweg vor eigenmächtiger Fehde zu bewahren. Maximilian dachte weniger prinzipiell und wollte den Zugriff auf Schweizer Söldner statt mit Geld, woran es ihm im Vergleich zu Frankreich mangelte, durch reichsrechtliche Konzessionen erlangen. Er zeigte sich am – Konstanzer – Reichstag von 1507 zu einer Freistellung vom Kammergericht bereit, die dann aber wegen Vorbehalten der Reichsstände unterblieb. Gleichwohl gelobten die Eidgenossen, die der Einladung als «Glieder und Verwandte des Heiligen Römischen Reichs» gefolgt waren, Beteiligung am Romzug. In der Erbeinigung von 1511, welche die «Ewige Richtung» von 1474 erneuerte, versprachen sie weiter, ihrem «allergnädigsten Herren dem Römischen Keyser» getreue Dienste zu erweisen, womit auch das Verhältnis zu Habsburg nachbarschaftlich geregelt war. Pragmatisch verzichtete man darauf, die Frage des Kammergerichts grundsätzlich zu klären: Für die zehn Orte stellte sie sich nicht mehr, für die anderen Angehörigen des Bundesgeflechts sollte sie erst im Dreissigjährigen Krieg wieder aktuell werden. In der Reichsmatrikel von 1521, dem Verzeichnis der stellungs- und steuerpflichtigen Reichsstände, standen die zehn Orte nicht drin, wohl aber die geistlichen Fürsten auf Schweizer Gebiet und St.Gallen sowie Basel und Schaffhausen.
Während Maximilian den wiederholt erwogenen Anschluss von Konstanz an die Eidgenossenschaft verhindern konnte, setzten sich gerade in Basel und Schaffhausen, die teilweise oder gar ganz rechtsrheinisch lagen, die Anhänger der Eidgenossen durch. 1501 wurden die beiden Reichsstädte aufgenommen, wobei auch sie sich auf Bündnisse oder Kriege nur mit Einwilligung der anderen Orte einlassen durften. Damit vor allem Basel, die nunmehr grösste Stadt der Eidgenossenschaft, die Gleichgewichte nicht verschob, mussten sie bei Streitigkeiten zwischen den anderen Orten zudem «stille sitzen» und vermitteln. Die Gruppe der Länder wurde auch dadurch etwas gestärkt, dass 1513 das unruhige Appenzell sich dem Bund anschloss, dem es schon lange nahestand. Diese drei Beitritte richteten sich alle nicht gegen das Reich. Im Gegenteil, die eben erlangte Reichsfreiheit, von Basel 1488 und von Appenzell 1507, war wie schon für das seit 1478 reichsfreie Freiburg Voraussetzung für die vollberechtigte Teilnahme an der Eidgenossenschaft. Damit war die Zahl von 13 Orten erreicht, die sich bis 1798 nicht mehr verändern sollte.
Die Versuchungen im Süden
Der Friede von Basel führte nicht nur mittelbar zur Erweiterung der Eidgenossenschaft, sondern zu weiteren «ennetbirgischen» Verwicklungen. Vermittelt hatte ihn nämlich Maximilians Schwiegervater, der mailändische Herzog Ludovico Sforza. Er wollte möglichst schnell Söldner anwerben, die ihm gegen den französischen König Ludwig XII. beistehen sollten. Die 1494 begonnenen italienischen Kriege waren gleichsam das Laboratorium der europäischen Staatenwelt, die jetzt überhaupt erst Gestalt annahm: mit wechselnden Allianzen, der Tendenz zum Gleichgewicht der Mächte, einer Diplomatie mit residierenden Botschaftern. Auch die Schweizer zog es auf diesen Kampfplatz, zuerst als Reisläufer vor allem im französischen Heer. Die Verpflichtung aus diesen Soldverträgen kollidierte nicht nur mit Sforzas Versuch, mit Schweizer Söldnern das Herzogtum Mailand zurückzuerlangen, das Ludwig XII. seinerseits mit der Hilfe von Reisläufern besetzt hatte. In den allgemeinen Wirren hatten zudem die Waldstätte ihrerseits Truppen gegen Süden geschickt: 1500 eroberten sie Bellinzona, dessen Kastelle den Zugang zu Gotthard und San Bernardino kontrollierten. Mit Blenio und Riviera wurde es ihre Gemeine Herrschaft. Zu diesem uneinheitlichen oder vielmehr eigennützigen Vorgehen der eidgenössischen Orte passte es, dass Sforzas eigene Reisläufer ihn im «Verrat von Novara» den Franzosen auslieferten, in deren Reihen ebenfalls viele Schweizer standen.
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