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Markierung eines Bergwanderweges
Der Erfolg der Kommunikation zwischen Jill und Jack basiert daher auf der Fähigkeit von beiden, aus Beobachtungen in ihrer Umwelt auf etwas zu schließen, was für sie von Belang ist. Die Episode erzählt davon, dass Jill mit ihrem Verhalten die Erwartung verbindet, Jack werde es wahrnehmen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Jack weiß davon nichts, macht sich aber die Beobachtung des Verhaltens von Jill zunutze und beseitigt so sein Informationsdefizit. Wer eine Wanderung in einem fremden Gebiet macht, orientiert sich an Wegmarken. Diese können natürlich sein, markante Gesteinsformationen beispielsweise. Üblich sind jedoch kommunikativ gesetzte Markierungen wie Farbpunkte. Kommunikation erweist sich als ein Ereignis, das auf Gegenseitigkeit abzielt, ohne sich dieser sicher sein zu können. Denn was der Andere mit dem Angebot tun wird, hängt von seiner Befindlichkeit und den Umständen ab, in denen er sich gerade befindet. Dabei ist bedeutsam, dass jemand das in der Umwelt Vorgefundene nur so wahrnimmt, wie er es möchte oder kann.
Erklärung
Kommunikation ist nicht einfach da, sondern sie wird von jemandem gesucht oder sie wird versucht. Das setzt jemanden voraus, der sich darauf einlassen kann und will. Es muss nicht unbedingt eine Person sein, sondern kann beispielsweise ebenso in der Form einer Behörde in Erscheinung treten. Der Vorgang kann als gelungen wahrgenommen werden, wenn die betroffenen Akteure herausfinden bzw. erkennen können, was es mit dem Kommunikationsversuch auf sich haben könnte.
Kommunikation braucht Umgebungen
Um verstehen zu können, womit sich die Kommunikationswissenschaft beschäftigt und welche Probleme sie zu lösen hat, muss die besondere Rolle der Umwelt bzw. der Dinge, die uns umgeben, in Betracht gezogen werden und ebenso die Art, wie wir mit ihnen umgehen. Umwelt ist zuerst einmal der Wahrnehmungsraum eines jeden Einzelnen. Dieser Wahrnehmungsraum lässt sich formal als Datenmenge betrachten. Der Einzelne wird also mit einer Vielzahl von DatenDaten konfrontiert, die zuerst einmal nur als strukturelle Daten existieren.
Hörsaal aus der Dozentenperspektive
Wer zum ersten Mal einen Hörsaal betritt, findet alles Mögliche darin vor: Bänke und dazu gehörende Schreibflächen, einen Anstieg der Sitzreihen, eine breite Tafelwand vorne, links und rechts weiße Flächen für visuelle Präsentationen, an den Wänden Tafeln mit Schriftzeichen, Zeichen für Fluchtwege, Haken für Mäntel, leere Flaschen und liegen gelassene Papiere und anderes mehr. Das alles sind strukturelle Daten, die sich für ein Lebewesen wie einen Hund völlig anders als für einen Menschen darstellen würden. Wird der Raum vom Putzdienst aufgesucht, spielen leere Flaschen und weggeworfene Papiere eine andere Rolle als für Besucher, die am Tag der offenen Tür in den Hörsaal schauen.
Hörsaal aus der Studentenperspektive
Lehrende und Studenten sehen diese Dinge unter Umständen gar nicht. Was in einem solchen Raum Bedeutung erlangt und welche Bedeutung es erlangt, hängt also davon ab, was derjenige, der den Raum wahrnimmt, mit ihm machen möchte bzw. wofür er ihn nutzen will. Erst wenn eine Vorstellung über die Nutzung vorhanden ist, können die vorgefundenen Daten näher bestimmt und verstanden werden, und es lassen sich ihnen Eigenschaften zuweisen, aufgrund derer sie dann als Bankreihe und Wandtafel erkannt und benannt werden können, wenn die Vorstellung Hörsaal die Wahrnehmung ordnet. Aus strukturellen werden die relevanten Daten.
Besuch auf einer Werft – ein Beispiel
Wir sind im Alltag gewohnt, unbewusst und spontan auf Umgebungen zu reagieren. Zu Orientierungshandlungen kommt es erst dann, wenn sich die Umgebung mit den gewohnten Erwartungen nicht fassen lässt. Wir besichtigen eine Werft und werden in einen Schiffsrohbau geführt. Da sind wir von Metallplatten umgeben, die auf einzelne von uns wie bizarre Raumgebilde wirken, da fühlen wir uns verwirrt von Stiegen in höher gelegene Plateaus, die große runde Löcher enthalten. Jeder ordnet das, was er sieht, individuell. Der eine spricht von einem Schrottplatz, auf dem er sich befindet, der andere fühlt sich wie bei der Begehung einer modernen Skulptur, und wieder ein anderer sagt, er kenne sich überhaupt nicht aus und habe komplett die Orientierung verloren. Erst als uns der bauleitende Ingenieur erklärt, wir befänden uns im Bug-Teil des künftigen Schiffes, können wir den Formen und Flächen Eigenschaften zuweisen, die sie als Bug erkennbar machen. Das runde Loch wird als Öffnung nachvollziehbar, aus der die Ankerkette heruntergelassen wird. Bestimmte Bauteile lassen sich als Reling vermuten. Der uns angebotene Bezugshintergrund erlaubt es nun, den Daten Funktionen zuzuweisen.
Solche Bezugshintergründe ermöglichen das Verstehen unserer Umgebungen und das gilt nicht nur in physikalischer Hinsicht. Durch weitere Hinweise des Ingenieurs werden wir plötzlich fündig. Er macht uns nämlich auf kleine Markierungen an bestimmten Stellen der Platten aufmerksam, die bisher als Rostflecken oder Verschmutzung wahrgenommen worden waren. Die Platten werden nicht nur als Bauteile eines Schiffes erkennbar, sondern sie werden mit einem Mal „lesbar“; auch wenn wir das, was dort steht, nicht verstehen, so erkennen wir doch, dass es sich um Mitteilungen handelt, die von den Schweißern, wie uns der Bauleiter erklärt, als Anweisungen verstanden und insofern kommunikativ benutzt werden. Dieses Wissen eröffnet die Möglichkeit, etwas als kommunikativ nutzbare Daten von anderen Daten zu unterscheiden. Die Schweißer müssen die Daten als Markierung auf den Metallplatten erkennen und können sie deuten. Eine Vorbedingung für kommunikatives Handeln ist das Erkennen von Daten, die kommunikativ genutzt werden sollen.
DatenDatenDaten nennen wir bis auf Weiteres alles, was in der Umwelt von einer Person selektiv wahrgenommen und zu einem bestimmten Zweck kognitiv verarbeitet wird. Um mehr über die Daten zu erfahren, ist daher grundsätzlich zu fragen, welche Bedingungen für solche Daten gelten, die kommunikativ verwendet werden sollen. Denn an der Episode in der Werft ist deutlich geworden: Daten müssen sich von anderen abheben, um überhaupt in das Aufmerksamkeitsfeld der Beteiligten treten zu können. Sie tun das nicht aus sich heraus, sondern erst dann, wenn wir ihnen einen Funktionszusammenhang zuordnen können, d.h. wenn es einen Bezugshintergrund gibt, der sie für uns sichtbar und dann verarbeitbar macht.Kontext Dieser Vorgang wird intuitiv nachvollziehbar, wenn wir an sog. Vexierbilder denken, auf denen wir nicht ohne weiteres eine Figur erkennen und erst verschiedene Annahmen ausprobieren müssen, bis wir etwas gefunden haben, was als „ein Bild“ identifiziert wird, in dem sich die Einzelelemente aufgrund eines umfassenden Ganzen her verstehen lassen.
Vexierbild: Charles Allan Gilbert: All is vanity
Alles, was uns umgibt, kann daher zu relevanten Datenwerden, wenn wir zu ihnen eine Position beziehen können und eine Einstellung ihnen gegenüber entwickeln. Solange diese unbestimmt bleiben, sprechen wir von strukturellen Daten. Diese existieren, ihnen sind jedoch noch keine Eigenschaften zugewiesen worden bzw. sie haben noch keine Funktion für uns. Um das Beispiel der Vexierbilder noch einmal aufzugreifen: Wir sehen auf einem Blatt viele graphische Elemente, Striche, schwarze Flecken, können sie aber nicht oder noch nicht weiterführend deuten. Wenn uns nun gesagt wird, es sei ein Spiegel abgebildet, suchen wir nach einer dafür geeigneten Gestalt.
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