Lesarten konkurrieren miteinander, ob und welche sich durchsetzt, kann offen bleiben. Beobachtbar ist, wie sich das Handeln für die davon Betroffenen erst durch das Deuten desselben klärt. Zu fragen ist, woher nehmen die Akteure ihre Deutungen und was bewegt sie, diese dem Handeln von Fall zu Fall zuzuschreiben. Luhmann (1984, 191)Luhmann glaubt, dass diese Zuschreibungen im interaktiven Kontext erfolgen und erst dieser ermögliche es den Betroffenen, das Verhalten auf die eine oder andere Weise zu deuten. Der dabei eintretende Effekt wird von Watzlawick et al. (1967) Watzlawick mit dem Axiom des Nicht-nicht-kommunizieren-Könnens beschrieben: Die Individuen fühlen sich genötigt, permanent das Verhalten anderer zu bewerten. Bei einem solchen Verständnis entsteht allerdings ein Problem. Der Einzelne wird mit einer nicht mehr oder nur schwer bewältigbaren Vielfalt möglicher Deutungszuschreibungen konfrontiert und gerät in Situationen, in denen Kommunikation nur noch Verunsicherung auslöst.
Niklas Luhmann (1927–1998)
Deutscher Soziologe und Gesellschaftstheoretiker, wichtigster deutschsprachiger Vertreter der soziologischen Systemtheorie und der Soziokybernetik
Für Akteure sind solche Situationen ein Risiko, sodass Luhmann (1984, S. 220) von der Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation spricht und annimmt, dass kommunikativ zu handeln, von Situation zu Situation kritisch bewertet werden muss, weil es keine Garantie für einen Handlungserfolg gibt. Habermas (1995) Habermasgeht nicht so weit, sondern sieht die Lösung des Problems in der Verständigungsarbeit. Diese verbindet er mit der Bearbeitung von Geltungsansprüchen wieGeltungsansprüche die Verständlichkeit der verwendeten Ausdrucksweisen, der Anspruch auf Wahrheit, die Erwartung auf die Richtigkeit einer Norm oder die Wahrhaftigkeit der Sprechenden. So regelt er, welcher Anspruch in der vorliegenden Situation überhaupt geltend gemacht werden kann.
01 I |
okay ähm hat ihnen die Geschichte gefallen? wenn ja warum? |
02 B |
doch ja! ne es is irgendwie niedlich!? |
03 I |
niedlich is es?! |
04 B |
ja ja! das äh musste ja ein überraschendes Ergebnis werden?! |
05 I |
genau |
06B |
und ich finde es niedlich LACHEN |
Kommunikation über Texte mit älteren Menschen: Gesprächsprotokoll |
Die Alltagskommunikation ist generell von Unbestimmtheit begleitet. Zwei Personen sitzen sich gegenüber. Das Gespräch fand im Rahmen eines Forschungsprojektes zum Lesen statt. Person B hat einen Märchentext gelesen und wird von Person I gebeten, mit ihr darüber zu reden. Die Angesprochene, Mitglied einer Seniorenakademie (69 Jahre) tut sich mit der Aufgabe schwer. Was von ihr genau erwartet wird, scheint ihr unklar. Mit der Antwort 02 B „doch ja!“ wird formal auf die Frage geantwortet. Die Bitte, das zu begründen, wird nicht eingelöst. Daran ändert auch das fortgesetzte Gespräch wenig.
Beiden fällt es schwer, miteinander über den Text zu reden. Wenn es ginge, würden sie die Kommunikation vermeiden. Ihnen scheint eine klare Vorstellung darüber, welche Erwartungen mit dieser Situation verknüpft werden und wie sie sich dieser gegenseitig vergewissern könnten, zu fehlen. Der Eindruck der Überforderung wird durch die Verlegenheitsgesten des Wiederholens 03 I und im Lachen oder dem undeutlichen Formulieren des Beitrags 06 B offenkundig. Da die Situation einen Abbruch der Kommunikation nicht zulässt, beide haben sich auf eine Kooperation zu Beginn verständigt, sucht Person I die Lösung im Abfragen bestimmter Merkmale des Märchens.
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