Zuletzt geht Powell auf die Frage ein, wie beim Leser im Hinblick auf eine bestimmte Figur Empathie, Sympathie oder auch Antipathie entsteht. Er kommt zu der Schlussfolgerung, dass Empathie durch eine Ähnlichkeit der Figur zum Leser hervorgerufen wird.15 Sympathie entsteht seiner Ansicht nach, wenn sich der Leser von einer Figur positiv angesprochen fühlt, auch wenn keinerlei Ähnlichkeit der Figur zum Leser vorhanden ist.16 Antipathie beschreibt Powell hingegen als „feelings of alienation from or disdain for particular characters“17. In ihrer narratologischen Untersuchung des Alten Testaments widmen sich Gunnund Fewell18auch der Charakterisierung von biblischen Figuren. Hierbei unterscheiden sie zunächst grundlegend zwei Bereiche: Den Bereich des Erzählers und den Bereich der Charaktere.19 Zum Bereich des Erzählers, der den Lesern etwas über die Figur mitteilt, zählt zum einen die Frage nach seiner Verlässlichkeit, d.h. wie die Informationen, die er den Lesern über eine bestimmte Figur zukommen lässt, zu bewerten sind. Dazu zählt die Frage, wasder Erzähler über eine Figur erzählt und die Art und Weise, wieer dies tut.20 Darüber hinaus zählen Gunn und Fewell zum Bereich des Erzählers die Beschreibungvon Figuren.21 Als drittes schreiben sie dem Erzähler die Beurteilungund Bewertungvon Figuren zu.22 Hierbei machen sie deutlich, dass der Erzähler durch bestimmte Kommentare die Vorstellung der Leser über bestimmte Figuren gezielt prägen kann.23 Im Gegensatz zum Bereich des Erzählers, der sich in irgendeiner Art und Weise über die Figuren äußert, geht es im Bereich der Charaktere nach Gunn und Fewell letztlich um Folgendes: „Alternatively, the narrator will step aside and allow the characters to speak for themselves. For, of course, what characters say and how they say it may tell us much about the kind of people they are.“24 Demnach zählen zum Bereich der Charaktere ihre Rede, ihr Kontext und ihr Kontrastzu anderen Figuren.25 Auch ist die Verlässlichkeitihrer Aussagen und Urteile über andere Figuren zu prüfen.26 Als letztes schreiben Gunn und Fewell dem Bereich der Charaktere die Fragen nach einer möglichen Widersprüchlichkeitder Figuren, ihres Standpunktes(im Vergleich zum Standpunkt des Erzählers) und möglicher Ironiezu.27 Zuletzt greifen Gunn und Fewell Forsters Unterscheidung in flacheund rundeCharaktere auf, wobei sie jedoch deutlich machen, dass ein und dieselbe Figur in unterschiedlichen Szenen einmal flach und einmal rund dargestellt werden kann.28 Margueratund Bourqin29widmen sich u.a. auch ausführlich der Analyse von Charakteren. Dabei verwenden sie Forsters Unterteilung in flacheund rundeCharaktere sowie das von Greimas entwickelte Aktantenmodell.30 Zusätzlich stellen sie heraus, dass ein typisches Merkmal biblischer Figuren ihre fehlende Autonomie ist, da sich die Figuren immer in einer Beziehung zu Gott oder Jesus befinden und niemals nur für sich existieren.31Auch untersuchen Marguerat und Bourqin, inwiefern der Leser sich mit bestimmten Figuren identifiziert, bzw. wodurch eine Wirkung wie Sympathie, Empathie oder Antipathie für die Figur entsteht. Dabei kommen sie zu folgender Schlussfolgerung: „The rule is simple: the more the characters resemble real beings, i.e. the more their life coincides with that of the reader (whether real or imaginary), the more attractive these characters will be to the reader.”32 Dem Erzähler kommt dabei eine bedeutende Position zu, da er durch seine gezielt gewählte Erzählstrategie die Wirkung des Lesers auf bestimmte Figuren beeinflusst.33 Zu dieser gezielten Beeinflussung der Leser gehört auch die Position, die der Erzähler seinen Lesern in Bezug auf bestimmte Figuren zuweist. Zentral ist hierbei die Frage, ob die Leser mehr, weniger oder genauso viel wissen wie die Figur.34 Die Rolle des Erzählers und sein Verhältnis zur Figur sind dabei genauso bedeutsam. Entweder beschreibt er das Innenleben einer Figur, ihre Gedanken und Träume, erzählt also aus einer großen Nähe zur Figur; oder er schildert die Figur „von weitem“ aus einer gewissen Distanz heraus.35 Als weiteres Analysekriterium für die Untersuchung von Figuren nennen Marguerat und Bourqin die grundlegende Unterscheidung zwischen tellingund showing.Dabei beinhaltet das tellingalle direkten Aussagen, die vom Erzähler über die Figur gemacht werden. Das showingbezeichnet dagegen das Handeln und Sprechen der Figur selbst.36 Marquerat und Bourqin entwickeln somit ein Analysemodell, das Aspekte von Forster und Greimas sowie die grundlegende Unterscheidung zwischen direkterund indirekterCharakterisierung miteinbezieht. In der letzten Zeit hat v.a. Finnern37einen Versuch unternommen, eine generell anwendbare Methodik für die Analyse biblischer Figuren auszuarbeiten. Dabei orientiert er sich stark an dem von Eder entwickelten Konzept zur Figurenanalyse im Film.38 Finnern gliedert eine Figurenanalyse in sechs verschiedene Methodenschritte. 1. Figurenbestand und Figurenkonfiguration:Hier werden zunächst die in einer bestimmten Szene vorkommenden Figuren39 die oftmals eine Auswahl aus dem Gesamtbestand aller Figuren darstellen, aufgelistet.40 2. Figurenmerkmale:Hierunter fallen die folgenden zwölf Kriterien Identität, Charakterzüge, Meinungen, Erleben, Gefühle, Verhaltensweisen, äußere Attribute, sozialer Kontext, Wissen, Pflichten, Wünsche und Intentionen der Figur.41 Auch wird nach ihrer Wirkung auf den Rezipienten gefragt. 3. Figurenkonstellation:In dieser Analysekategorie steht die Figur und ihre Beziehungen zu anderen Figuren, die auch grafisch veranschaulicht werden können, im Fokus.42 4. Figur und Handlung:An dieser Stelle wird nach der Bedeutung und Funktion der Figur innerhalb der Handlung gefragt.43 5. Figurendarstellung:In dieser Kategorie wird die Art und Weise der Charakterisierung einer Figur genauer beleuchtet. So kann sie direkt oder indirekt erfolgen, auktorial oder figural, über den Text verteilt oder in Blöcken.44 6. Figurenkonzeption:In diesem die Figurenanalyse abschließenden Punkt findet eine Gesamtbeurteilung der Figur statt. Es geht dabei um die Frage, ob die Figur letztlich statisch oder dynamisch, knapp oder detailliert, eindimensional oder mehrdimensional, typisch oder untypisch, geschlossen oder offen, realistisch oder unrealistisch, kohärent oder inkohärent ist.45 2.3.1.2.2 Durchführungen von Figurenanalysen in den Evangelien und der Apostelgeschichte Im Folgenden werden konkrete Durchführungen von Figurenanalysen in den Evangelien und der Apostelgeschichte vorgestellt. Dabei liegt der Fokus zum einen auf Figurenanalysen im Johannesevangelium, Matthäusevangelium, Lukasevangelium, der Apostelgeschichte und zum andern auf Analysen der Jesus-Figur in den synoptischen Evangelien. Die zuerst genannten Durchführungen werden an dieser Stelle skizziert, weil sie in einigen Punkten Impulse liefern für die in dieser Arbeit verwendete Methodik und in anderen Punkten durch Abgrenzungen zu mehr Klarheit verhelfen. Die Darstellungen von Analysen der Jesus-Figur liefern dagegen nicht unbedingt signifikante Impulse hinsichtlich der von mir zu entwickelnden Figurenanalysemethode, zeigen jedoch, wie in der bisherigen Forschung die Jesus-Figur in den synoptischen Evangelien analysiert worden ist, und machen so mögliche Schwachstellen deutlich. 2.3.1.2.2.1 Figurenanalyse im Johannesevangelium Fehribach1untersucht und analysiert die fünf Frauenfiguren – die Mutter Jesu, die samaritanische Frau, Maria aus Bethanien, Martha und Maria Magdalena – im Johannesevangelium und kommt dabei letztlich zu folgendem Ergebnis: „[T]he main function of the female characters in the Gospel is that of supporting Jesus’ role as the messianic bridegroom who has come to give those who believe in him the power to become children of God”2. Bei ihrer Figurenanalyse verfolgt Fehribach einen historisch-literarischen Ansatz, bei dem sie versucht, zu ergründen, wie die Figuren auf den impliziten Leser des 1.Jhds n. Chr. gewirkt haben können.3 Dazu untersucht sie den Text in enger Beziehung zu seinem kulturellen und literarischen Millieu.4 Als Bezugstexte dienen hierfür die Hebräische Bibel, Hellenistisch-Römische Schriften, bekannte Griechisch-Römische Literatur, das Konzept „Ehre und Schande“, das von Kulturanthropologen zur Untersuchung von Geschlechter-Beziehungen im mediterranen Raum verwendet wird und die Geschichte der Frauen in der Griechisch-Römischen Welt.5 Für die Analyse der Frauenfiguren geht sie generell von fünf verschiedenen Annahmen aus: 1. Figuren sind eng mit der Handlung und dem Plot verbunden 2. Figuren verraten wichtige Aspekte über andere Figuren 3. Eine Charakterisierung vollzieht sich zugleich sequenziell und kumulativ 4. Eine Charakterisierung impliziert stets eine rhetorische Funktion 5. Der soziale Standpunkt des Lesers spielt eine tragende Rolle bei der Vorstellung von Figuren.6 Nicklas7untersucht die Figurengruppe der Juden und der Jünger im Johannesevangelium auch im Blick auf ihre Wirkung auf den impliziten Leser. Dafür nennt er in Bezug auf die Figurenanalyse einige grundlegende Techniken der Charakterisierung8: So macht er deutlich, dass Figuren im JohEv selten mit Attributenbelegt werden, sondern oft nur mit Namengenannt sind. Darüber hinaus werden Figuren „in erster Linie durch ihre Aktionenund Aussagengezeichnet.“9 Einige Figuren vollziehen zudem eine Entwicklung. Auch können die Figuren in ihrem jeweiligen Verhältnis zu Jesus (als Maßstab) analysiert werden.10 Als eine weitere Technik der Charakterisierung nennt Nicklas die Beurteilung von Figuren durch Aussagen anderer Figuren, wobei zwischen dem Gewicht der Aussagen aufgrund der Stellung der jeweiligen Figuren differenziert werden muss. Auch die Technik der Kontrastierungund Parallelisierungvon Charakteren findet sich im JohEv.11 Dabei weist Nicklas insgesamt darauf hin, dass bei der Charakterisierung von Figuren dem Erzählereine ganz entscheidende Rolle zukommt. Denn durch seine Erzählweise (u.a. durch Anspielungen, das Durchbrechen erwarteter Muster oder Ironie) kann er die Rezeption des impliziten Lesers lenken und die Wirkung von Figuren auf den impliziten Leser bestimmen.12 In ihrer Untersuchung zur Charakterisierung der Figuren Maria Magdalena, Petrus, Thomas und der Mutter Jesu im Johannesevangelium unterscheidet Hartenstein13generell zwischen einer direkten Beschreibungund einer indirekten Präsentationder Figuren.14 Zur direkten Beschreibungzählen die Aspekte ausdrückliche Charakterisierung, Gruppenzugehörigkeit, Verwandtschaft und Herkunft sowie Einführung und Wiederauftritt von Personen. Unter den Aspekt der indirekten Präsentationfallen bei ihr die Aspekte Handlung und Reden der Figur sowie Reaktionen auf Jesus und Dreiecksbeziehungen zwischen den Figuren. Dabei verfolgt Hartenstein insgesamt einen narratologischen Ansatz, den sie historisch ausweitet, indem sie bei jeder Figur zugleich verschiedene frühchristliche (und auch apokryphe) Texte miteinbezieht, in denen diese Figur eine Rolle spielt.15 Sie begründet diesen Ansatz folgendermaßen: „Mein Ansatz, Vergleichstexte zu einzelnen Personen heranzuziehen, bedeutet also eine Rekonstruktion des historischen Kontextes des JohEv an dieser einen Stelle, bei den zu verschiedenen Personen vorhandenen Vorstellungen. Sinnvoll und notwendig ist dies nicht nur aus historischen, sondern auch aus literarischen Gründen, weil das JohEv nicht alle Figuren neu erfindet“.16 Im Vergleich mit anderen frühchristlichen Texten soll so das spezielle Profil der johanneischen Darstellung besser zur Geltung kommen.17 Bennema18entwickelt eine Theorie zur Figurenanalyse, indem er zunächst Ansätze zur Charakterisierung von Figuren aus der Hebräischen und Griechisch-Römischen Literatur mit modernen Ansätzen zur Figurenanalyse in Beziehung setzt.19 In einem weiteren Schritt entwickelt Bennema seinen eigenen Ansatz zur Figurenanalyse. Hierbei geht er in drei Schritten vor: Zuerst untersucht er die Figur im Text und im Kontext.20 Dabei macht er deutlich, dass es für eine Figurenanalyse notwendig ist, hinter den Text zurückzugehen und historisch zur Entstehung des Textes, den ursprünglichen Adressaten und der damaligen Umwelt zurückzufragen.21 Anschließend klassifiziert er die Figur anhand der von Ewen herausgestellten drei Dimensionen „complexity“, „development“ und „inner life“.22 Hierbei führt er den Ansatz von Ewen weiter, indem er vorschlägt, anstatt Gegensätze wie „complex“ und „simple“ vielmehr den jeweiligen Grad der Komplexität anzugeben. Dafür unterteilt Bennema in „none“, „little“, „some“ und „much“.23 Als drittes setzt er die Figur in Beziehung zum ideologischen Standort des Autors sowie zum Plot.24 In ihrer Untersuchung zum Petrusbild im Johannesevangelium verfährt Schultheiss25sowohl nach einem synchronen als auch nach einem diachronen Analyseansatz.26 Dabei analysiert sie die Petrus-Szenen in der Abfolge des Johannesevangeliums jeweils zunächst synchron, um „Feinstrukturen innerhalb eines Abschnitts wie intratextuelle Verbindungslinien“27 herauszustellen. In einem weiteren diachronen Analyseschritt untersucht sie die Abschnitte v.a. in Beziehung zu den synoptischen Vergleichstexten um „das Profil der johanneischen Darstellung herauszuarbeiten.“28 Innerhalb der synchronen Analyse der Textabschnitte charakterisiert sie die Petrusfigur in Anlehnung an Finnern mithilfe der Kategorien 1. Figur(en) und Plot 2. Figurenbestand und Figurenkonstellation 3. Figurendarstellung 4.Figurenkonzeption 5. Wirkung auf den Leser.29 Myers30untersucht in ihrer Arbeit zur Charakterisierung Jesu im Johannesevangelium die Verwendung des Alten Testaments, die maßgeblich zur Präsentation der Jesus-Figur im Johannesevangelium beiträgt, unter rhetorischen Gesichtspunkten der damaligen Zeit. „Examining the Fourth Gospel’s use of Israel’s Scriptures through the lens of Graeco-Roman rhetoric offers a new way to approach the characterization of Jesus in this Gospel.”31 Hierfür geht sie grundlegend in zwei Schritten vor: Zunächst untersucht sie die Verwendung der Schriften innerhalb der Reden Jesu; anschließend analysiert sie deren Verwendung außerhalb der Reden Jesu, so etwa durch andere Figuren.32 Insgesamt geht Myers davon aus, dass der Evangelist ganz gezielt und rhetorisch bewusst das Alte Testament in seinem Evangelium zur Sprache bringt, um damit Jesus in bestimmter Art und Weise seinen damaligen Hörern zu präsentieren.33 In seinem Aufsatz zur Figurenanalyse im Johannesevangelium beschäftigt sich Zimmermann34zunächst mit der Frage, was Figuren im Johannesevangelium sind, auf welchen Ebenen sich Figuren befinden und inwiefern zwischen Einzelfiguren und Figurengruppen zu unterscheiden ist.35 Anschließend untersucht er die Figur in Bezug zur Handlungund unterscheidet hier zwischen Hauptfiguren, Nebenfiguren und Randfiguren.36 In einem weiteren Schritt nennt Zimmermann einige Aspekte der Figurenpräsentation und gibt hierfür jeweils Beispiele aus dem Johannesevangelium. Hierbei unterteilt er in Figurenmerkmale und Charakterisierung, Figurenkonstellationund Figurenkonzeption. Unter Figurenmerkmale und Charakterisierungfallen bei Zimmermann verschieden Charaktermerkmale einer Figur wie ihr Name, ihre Herkunft, etc. „Charaktermerkmale von Figuren sind nicht nur durch Herkunfts- und Beinamen, sondern auch durch Gruppenzugehörigkeit […] oder qualifizierende Sätze über Verhaltensweisen gegeben und können ganz unterschiedliche Bereiche betreffen.“37 Darüber hinaus unterscheidet er zwischen einer direkten Präsentation einer Figur (Aussagen des Autors oder einer Erzählfigur) und einer indirekten Präsentation der Figur (das Handeln und Sprechen der Figur selbst).38 Zum Bereich der Figurenkonstellationzählen nach Zimmermann die Beziehung und das Verhältnis der Figuren untereinander, mögliche Kontrastfiguren und Dreieckskonstellationen innerhalb der Erzählung.39 Die Figurenkonzeptionschließt die Figurenanalyse ab. „Hier werden unterschiedliche bisherige Beobachtungen zu einer Beurteilung zusammengeführt.“40 Dabei spielen u.a. die Perspektive der Figurendarstellung (der point of view), die Entwicklung einer Figur sowie ihre abschließende Beurteilung eine Rolle.41 2.3.1.2.2.2 Figurenanalyse im Matthäusevangelium Die Figuren Petrus und Johannes der Täufer sowie die Figurengruppe der jüdischen Oberschicht im Matthäusevangelium werden von Anderson1analysiert.2 Für ihre Figurenanalyse nimmt sie u.a. die Kategorien showingund tellingauf und zählt zum letzteren u.a. die Bereiche Aussehen, sozialer Status, Persönlichkeitseigenschaften, die Umgebung der Figur, die Vergangenheit der Figur sowie die Beziehung zu anderen Figuren.3 Unter den Bereich des showingfallen bei ihr hingegen v.a. das Sprechen und Handeln einer Figur. Auch spielt die Beziehung der Figur zu Jesus bei ihrer Analyse eine Rolle.4 Auch übernimmt Anderson Forsters Unterteilung in flacheund rundeCharaktere sowie in statischeund dynamischeCharaktere.5 Anderson macht insgesamt deutlich, dass „all of these means of characterization or clues can involve repetition.”6 Die Wiederholung von Aussagen trägt ihrer Ansicht nach in hohem Maße dazu bei, das Bild, das sich der implizite Leser von der Figur macht, zu beeinflussen und zu formen.7 In der anschließenden Figurenanalyse betont sie daher v.a. die Wiederholungen, die in Bezug auf die Figur im Text gemacht werden und untersucht sie hinsichtlich ihres Inhalts und ihrer Funktion.8 Syreeni9untersucht die Petrus-Figur im Matthäusevangelium anhand von drei unterschiedlichen Ebenen der Analyse.10 Zum einen unterscheidet sie die narrative Ebene, in der ein Erzähler einem Adressaten etwas mitteilt. Die Figur wird in diesem Bereich als Charakterverstanden.11 Zum anderen unterscheidet sie die symbolische Ebene, in der ein impliziter Autor und ein impliziter Leser agieren und die Figur als Symbolerscheint.12 Als drittes unterscheidet Syreeni die reale Ebene, in der die Figur eine reale Personist und in der sich ein realer Autor sowie ein realer Leser befinden. Dabei kommt Syreeni letztlich zu dem Ergebnis, dass Petrus auf der narrativen Ebeneein Charakter im Matthäusevangelium ist, dem sowohl eine intratextuelle Bedeutung innerhalb des Evangeliums als auch eine intertextuelle Bedeutung in Beziehung zum Markusevangelium zukommt.13 Auf der symbolischen Ebenebeschreibt Syreeni Petrus als „a symbol for ethical values, doctrinal options, social and religious commitments, party strifes, or the like”14. Schließlich macht Syreeni deutlich, dass Petrus auf der realen Ebeneeine historische Person ist, die einen indirekten, aber dennoch nicht unerheblichen Beitrag zur matthäischen Darstellung des Petrus-Charakters leistet.15 In ihren naratologischen Studien zum Matthäusevangelium widmet sich Poplutz16u.a. auch der Charakterisierung von Randfiguren.17 Dabei unterscheidet sie ebenfalls zwischen direkterund indirekterCharakterisierung.18 Zum Bereich der indirektenCharakterisierung zählt Poplutz die Handlungen der Figur, ihre Rede, ihr äußeres Erscheinungsbild sowie die dargestellte Umwelt der Figur.19 Darüber hinaus unterscheidet sie zwischen den beiden Begriffen Charakterund Typus.20 Als Charakterversteht sie eine Figur, „die individuelle Züge aufweist und über Merkmale verfügt, die man auch bei realen Personen wahrnehmen und notieren könnte.“21 Ein Typusbesitzt dagegen keine ausgeprägten Charakterzüge, sondern verfügt über Merkmale und Qualitäten, die den Rezipienten bekannt sind und daher einen hohen Wiedererkennungswert und eine „Klischeehaftigkeit“22 aufweisen.23 Die Hauptfigur im Matthäusevangelium ist nach Poplutz eindeutig Jesus, die Nebenfiguren lassen sich in Familienangehörige Jesu, politische und religiöse Autoritäten, Jünger Jesu, Kranke und Andere einteilen.24 Entscheidend ist hierbei die Stellung der Nebenfiguren zu Jesus, die dadurch bestimmt wird, ob die Figur für oder gegen ihn ist, also ob es sich bei ihr um einen Adjuvantenoder einen Opponentenhandelt.25 Das Ziel ihrer folgenden Figurenanalysen ist durch die Leitfrage bestimmt, „welche Funktionalisierung die Figuren haben und wie sie möglicherweise vorgängige Rollenzuweisungen durchbrechen.“26 Ihr Fazit im Hinblick auf diese Fragestellung lautet, dass im Matthäusevangelium fünf Figuren existieren (der Hauptmann von Karfarnaum in Mt 8,5–13; ein Schriftgelehrter in Mt 8,19f; eine kanaanäische Frau in Mt 15,21–28; die Frau des Pilatus in Mt 27,19; ein römischer Hauptmann und seine Soldaten in Mt 27,54), die als „Grenzgänger“27 bestimmte Rollenzuweisungen durchbrechen.28 2.3.1.2.2.3 Figurenanalyse im Lukasevangelium und in der Apostelgeschichte Darr1analysiert Figuren im Lukasevangelium und weitet dabei den naratologischen Ansatz historisch aus, indem er ein „reader-response (or pragmatic) model attuned to the Greco-Roman literary culture of the first century“2 verwendet. Dabei geht es ihm darum, den damaligen lukanischen Leser zu rekonstruieren und den Text (und die Charaktere) durch dessen Brille hindurch zu sehen.3 Darr vertritt die Ansicht, dass „sein“ Leser im späten ersten Jahrhundert im mediterranen Raum lebt, stark beeinflusst ist durch die kulturellen Normen seiner Zeit und seiner Umgebung. Er verfügt zudem über ein Basiswissen über historische, geographische, militärische und politische Angelegenheiten des Römischen Imperiums. Auch kennt er die großen Städte seiner Zeit, wie Athen und Jerusalem. „Sein“ Leser ist beheimatet in der griechisch-römischen Literatur, kennt auch jüdische Schriften, weiß aber noch nichts vom Markusevangelium sowie von den paulinischen Briefen und der Quelle Q. Über Jesus hat er sehr wahrscheinlich bereits etwas gehört.4 Der Text selbst fungiert bei Darr lediglich als ein „rhetorical framework“5, der dem Leser Hinweise darauf gibt, wie er verstanden werden will.6 Dies gilt nach Darr auch im Hinblick auf die Charaktere, da sich der Leser beim Lesen ein mentales Modell von der Figur macht. Figuren sind daher „personal images generated by text and by reader“7. Darr analysiert die Charaktere zunächst in ihrem Kontext. Hierzu zählt er die Aspekte plot, settingund other characters.8 Auch untersucht er sie hinsichtlich des Ablaufs und mit Rücksicht auf ihre kumultative Beschaffenheit. Sein Ziel formuliert er folgendermaßen: „The goal is not to arrive at a static conception of a character […], but rather to follow the reader’s successive construction and assessment of this character while reading the text”9. In seiner Untersuchung zum „Dynamic Reading of the Holy Spirit in Luke-Acts“10 charakterisiert Hurim vierten Kapitel den Heiligen Geist in der Apostelgeschichte.11 Dafür macht er zunächst deutlich, dass die beiden grundlegenden Ansätze der textzentrierten12und der leserzentrierten13Charakterisierung keinesfalls einen Gegensatz bilden müssen, sondern sich ergänzen können.14 Anschließend gibt er einen Überblick über verschiedene Methoden der Figurenanalyse und fokussiert hierbei besonders die beiden Bereiche „character-classification“15 und „character-presentation“16. Er entscheidet sich schließlich in Anlehnung an Rimmon-Kenan für eine Methodik, die einerseits die Bereiche der direktenDefinition17 und indirektenPräsentation18 einer Figur (hierzu zählt er das Sprechen und Handeln der Figur, aber auch ihr Aussehen und ihre Umgebung) umfasst.19 Andererseits bezieht er aber auch in Rückbezug auf Rimmon-Kenan den Aspekt der Analogie(Ähnlichkeit, Wiederholung, Vergleich und Kontrast) mit ein.20 Er betont den Analogie-Aspekt so stark, denn „through analogy, characterization is reinforced or further explained.“21 Im Folgenden führt er eine Figurenanalyse des Heiligen Geistes anhand der erwähnten Kategorien durch und kommt zu folgendem Ergebnis: „In short, the Holy Spirit is defined as an enigmatic divinecharacter.“22 Genau wie Anderson weist Hur somit auf die Bedeutung von Analogien hin, weitete diese im Vergleich zu Anderson jedoch noch aus, indem er auch Kontraste und Ähnlichkeiten zwischen den Figuren in seine Untersuchung miteinbezieht. Thompson23untersucht die Kirche als narrative Größe in der Apostelgeschichte.24 Dabei bezieht er Griechisch-Römische Literatur als Vergleichs- und Bezugsgröße mit ein, denn „[I]n the study of Greco-Roman literature, one finds several general features or aspects of character depiction that become useful tools in the building and evaluation of characters through one’s reading of Acts”25. Im direkten Vergleich zur Charakterisierung von Figuren in der Griechisch-Römischen Literatur leitet Thompson somit fünf Analyseschritte für seine Charakterisierung der Kirche in der Apostelgeschichte ab: Zum einen unterscheidet Thompson zwischen direkterund indirekter Charakterisierung.26 Zur indirekten Charakterisierungzählt er die Handlung einer Figur, aber auch ihr Sprechen. Durch beides erhält der Leser Informationen über den Charakter und bildet sich seine Urteile.27 Zur direkten Charakterisierungzählt Thompson vor allem die Aussagen des Erzählers über eine Figur. So erfährt der Leser durch den Erzähler etwas über die Gedanken, Motive und Gefühle der Figur.28 Als dritten Analyseschritt benennt Thompson die Kategorisierung der Figurenbeschreibung. Demnach können die Charaktere bestimmten (sozialen) Kategorien oder Gruppen zugeordnet werden29 Darüber hinaus gilt es nach Thompson, die Summe der Bilder und Effekte hinsichtlich der Figur, die beim Leser durch den Leseprozess entsteht und die seine Beurteilung der Figur maßgeblich beeinflussen, zu untersuchen.30 Als letzten Analyseschritt nennt Thompson die Beziehung und Interaktion der Figur zu anderen Figuren.31 Durch den Vergleich mit anderen Charakteren treten seines Erachtens Ähnlichkeiten, Spannungen, Harmonien, Gegensätze und Konflikte stärker hervor, die letztlich dazu beitragen, das Bild des Lesers von der Figur in eine bestimmte Richtung zu lenken. In ihrer narratologischen Studie zur Apostelgeschichte behandelt Eisen32auch den Bereich der Analyse von Figuren.33 Dabei geht sie in drei Schritten vor: Zunächst widmet sie sich der Klassifizierung der Figuren, zeigt dann Techniken der Figurencharakterisierung auf und widmet sich abschließend den Figuren in der Apostelgeschichte. Zum Bereich der Klassifizierung von Figuren zählt zum einen die Frage nach dem Statusder Figur. Hier arbeitet Eisen mit den drei Begriffen Haupt-, Neben-,und Hintergrundfigur.34 Darüber hinaus fragt Eisen nach der Komplexitätder Figur.35 Dabei greift sie auf Forster Unterscheidung in flacheund rundeCharaktere zurück, macht aber zugleich deutlich, dass diese Kategorien „lediglich die Pole von Individualisierung und Typisierung, zwischen denen sich eine Skala mit vielen Zwischenformen befindet“36, bilden. Auch die Frage nach der Funktionder Figur zählt Eisen zum Bereich der Klassifizierung.37 Eisen schreibt den Figuren – in Anlehnung an Greimas und sein Aktantenmodell – sechs grundlegende Funktionenzu: 1. Protagonist 2. Sender 3. Empfänger 4. Objekt 5. Helfer 6. Gegner.38 Den letzten Teilbereich der Klassifizierung von Figuren bildet bei Eisen die Frage nach den Attributender Figur. Im zweiten Schritt beschäftigt sich Eisen mit Techniken der Figurenanalyse und unterscheidet hier zum einen zwischen expliziter39und impliziterCharakterisierung und zum anderen zwischen auktorialerund figuralerCharakterisierung. In einem dritten Schritt gibt sie einen kurzen Überblick über Forschungsbeiträge zur Figurenanalyse in der Apostelgeschichte.40 Eisen legt den Schwerpunkt bei ihrer Figurenanalyse somit ganz deutlich auf die Klassifizierung und Einteilung von Figuren und bezieht zudem noch die direkteund indirekteCharakterisierung mit ein. 2.3.1.2.2.4 Figurenanalyse der Jesusfigur in den synoptischen Evangelien Rhoadsund Michie1analysieren in ihrer Untersuchung u.a. auch die Jesus-Figur im Markusevangelium.2 Als generelle Methodenschritte einer Figurenanalyse nennen sie die Einteilung von Figuren in bestimmte Charaktertypen,3 Standards der Beurteilung von Figuren4, Vergleich und Kontrast der Figur zu anderen Figuren5, zugeschriebene Persönlichkeitsmerkmale der Figur, durch die sich der Leser ein Bild von der Figur macht6, und die Frage nach der Identifizierung des Lesers mit der Figur.7 Im Hinblick auf die Figurenanalyse der Jesus-Figur im Markusevangelium skizzieren sie zunächst mit wenigen Worten das, was Jesus selbst sagt und tut8, was andere Figuren (Gott, seine Familie, die Autoritäten, die Menge, die Jünger) über ihn sagen und denken9, und welche Aussagen der Erzähler über ihn trifft.10 Anschließend untersuchen sie folgende ausgewählte Persönlichkeitsmerkmale ( traits) der Jesus-Figur genauer: agent of the rule of God11, the authority of Jesus12, faith13, serving and not lording over others14, renouncing self, being least and losing life for others15, Jesus faces death16, the execution17, the meaning of Jesus’crucifixion18und the empty grave.19 Dabei erläutern und verdeutlichen sie diese Jesus zugeschriebenen traitsim Allgemeinen und auf das gesamte Markusevangelium bezogen und nennen nur einzelne Textbeispiele. In ihrer Analyse der Jesus-Figur im Markusevangelium geht Malbon20in Anlehnung an Chatman zunächst von den narrativen Größen realer Autor, impliziter Autor, Erzähler, Charaktere, Adressat, imlpizite Hörerschaftund reale Hörerschaftaus, wobei sie den realen Autorund die reale Hörerschaftaus ihrer narratologischen Untersuchung ausklammert.21 Den Fokus legt sie jedoch v.a. auf die Beziehung zwischen dem impliziten Autor, dem Erzählerund der Erzählfigur Jesus.22 Für die Charakterisierung des markinischen Jesus unterscheidet Malbon grundlegend zwischen Jesus und den anderen Erzählfiguren auf der einen Seite und zwischen dem, was Jesus und die anderen Figuren sagenund was sie tunauf der anderen Seite.23 Im Blick auf das Sprechen der Jesus-Figur unterteilt sie zusätzlich in „what Jesus says in response to other characters“24 und „what Jesus says instead of what other characters and the narrator say“25. Es ergeben sich somit für ihre Charakterisierung der Jesus-Figur im Markusevangelium fünf grundlegende Analyse-Schritte: 1. Enacted Christology: what Jesus does; 2. Projected Christology: what others say; 3. Deflected Christology: what Jesus says in response; 4. Refracted Christology: what Jesus says instead; 5. Reflected Christology: what others do.26 In seiner narratologischen Untersuchung von Joh 13,1–17,26 analysiert Tolmie27ebenfalls die Jesus-Figur. Für seine Analyse übernimmt er verschiedene Modelle. Hauptsätzlich stützt er sich auf das narratologische Modell von Rimmon-Kenan, die u.a. die Figuren im Bereich der Handlung (story)28 und im Bereich der Darstellung (text) getrennt voneinander untersucht.29 Zum anderen greift er auch das Aktantenmodell von Greimas auf, nach dem sich die Figur in bestimmte Rollen einteilen lässt.30 Des Weiteren entscheidet er sich – wie Rimmon-Kenan – zur Klassifizierung von Charakteren für das Modell von Ewen, anstatt auf Forsters und Harveys Einteilungen zurückzugreifen.31 Im Rückgriff auf Ewen unterscheidet Tolmie somit zwischen den drei Bereichen complexity, developmentund penetration into inner life.32 Bei seiner Figurenanalyse von Jesus in Joh 13–17 beginnt er auf der Ebene der Story in Anlehnung an Chatman zunächst mit einer Auflistung seiner traits33, die zuvor in Joh 1,1–12,50 begegnen. Dabei unterteilt er in generelle Eigenschaften34, in Eigenschaften, die seine Beziehung zum Vater35, zum Heiligen Geist36, zu seinen Jüngern37 und zur Welt38 verdeutlichen, und in Eigenschaften, die etwas über seine Handlungen39 und menschlichen Qualitäten40 aussagen.41 Anschließend untersucht Tolmie, ob in Joh 13,1–17,26 neue Eigenschaften hinzukommen oder bereits bestehende Eigenschaften verstärkt werden. Er kommt zu dem Ergebnis, dass keine neuen Eigenschaften genannt werden, dass aber die Eigenschaften complete knowledge, love, authority, provider of spiritual life, close relationship to the Fatherund emotional behaviourverstärkt werden.42 In einem weiteren Schritt stellt er Jesus und die anderen Charaktere in Joh 13–17 in Greimas’ Aktantenmodell graphisch dar und zeigt damit, welche Rolle und Position Jesus einnimmt.43 Nach der Einteilung von Ewen bezeichnet Tolmie Jesus als einen sehr komplexen Charakter, im Gegensatz zu weniger komplexen Charakteren (wie Petrus und die Jüngergruppe).44 Lee45führt eine narrative Figurenanalyse von Jesus im Lukasevangelium durch und kombiniert dabei Inhalte von Hans Frei mit narratologischen Methoden von Bal zu einem „theological narrative-critical reading“46. Der lukanische Jesus wird bei Lee aus drei unterschiedlichen Perspektiven heraus beleuchtet: Zum einen geht es darum, welche Aussagen der Erzählerüber Jesus trifft47, zum anderen geht es darum, was Jesusselbst über sich sagt und wie er handelt.48 Schließlich wird in einem weiteren Kapitel die Mitwirkung der kleineren Charaktere, der Dämonen, an der Charakterisierung von Jesus untersucht.49 Lee teilt hierfür das Lukasevangelium insgesamt in sieben unterschiedliche Akte ein50 und untersucht jeden Akt aus jeder Perspektive heraus. Im Bereich der Charakterisierung durch den Erzähler kommt Lee dabei zu dem Ergebnis, dass Jesus folgende (theologische) Beschaffenheiten aufweist: Er fügt sich dem Willen Gottes, er ist derjenige, durch den Gott handelt, er ist Gottes Gesandter zu den Völkern, er lehrt und spricht von Gott, er ist derjenige, der nun als Gott verehrt wird, er ist derjenige, durch den Gott in der Geschichte lebendig wird.51 „Jesus is both the literary character in the Lukan world and the one who can be present for the Christian reader.“52 Lee beleuchtet die Jesus-Figur in seiner Analyse von verschiedenen Perspektiven aus, die sich insgesamt unter die beiden Kategorien direkteund indirekteCharakterisierung fassen lassen. Oko53untersucht die Rolle der Jesus-Figur im Plot des Markusevangeliums. Dafür unterscheidet er generell zwischen den drei Kommunikationsebenen: Story54, Discourse55und Historical and Theological Mediation. Im Verlauf seiner Arbeit untersucht er mit Ausnahme einiger Kapitel das gesamte Markusevangelium – aufgeteilt in 17 Textpassagen – unter den eben genannten drei Kommunikationsebenen. Seine Analysen zielen dabei auf die Darstellung der Jesus-Figur und die Frage nach seiner Identität innerhalb des Markusevangeliums. Unter den Bereich der Storyfasst Oko das Setting sowie die Kommunikation und Beziehung zwischen den verschiedenen Charakteren „who occupy the stage in the world envisaged and portrayed by the narrative“56. Zur Ebene des Discoursezählt er die Kommunikationsabläufe zwischen dem narrativen Sender (dem Autor/Erzähler) und dem Empfänger (dem Leser/Publikum). Unter der dritten Ebene Historical and Theological Mediationuntersucht Oko einige historische und kulturelle Hintergründe und Besonderheiten, die für das Verständnis des Textes hilfreich sein können. 57 Eine kurze Zusammenfassung bündelt jeweils die Ergebnisse aus den drei Ebenen. Danove58charakterisiert neben Gott und den Jüngern auch Jesus im Markusevangelium.59 Dabei verfährt er nach einer speziellen Methodik: Er untersucht die semantische und narrative Rhetorik der Charakterisierung von Jesus und die Auswirkungen, die diese Charakterisierung auf anderen narrativen Entwicklungen hat.60 Zunächst beschäftigt er sich mit den „preexisting beliefs about Jesus evoked by both vokabulary and designations“61. Anschließend untersucht er durch die Prüfung der semantischen und narrativen Rhetorik die Vorstellungen, die sich das narrative Publikum von der Jesus-Figur macht. Hierbei legt er den Fokus auf im Text begegnende Wiederholungen von Wörtern, Kontexten und Strukturen.62 Zunächst überprüft er die sich im Text wiederholenden Aussagen darüber, was Jesus tut. Dabei zählt er verschiedene Verben auf, die etwas über ihn aussagen und analysiert diese in ihren jeweiligen Kontexten; so u.a. vergeben, lehren, segnen, heilen, beten, retten.63 In einem weiteren Schritt untersucht Danove die sich im Text wiederholenden Wörter, die etwas über die Jesus zugeschriebenen Attribute aussagen; so u.a. wissen, wollen, Mitgefühl zeigen, Autorität, Tod, Gott, Jünger. 64 Als drittes listet er Titulierungen auf, die etwas über ihn und seine Person aussagen; so u.a. Menschensohn, Rabbi, Christus, Jesus von Nazareth.65 Nach der Analyse der sich auf Jesus beziehenden und im Text an vielen Stellen begegnenden Wörter untersucht Danove die Wiederholung von Kontexten, in denen Jesus dargestellt wird und nennt hier u.a. den eucharistischen Kontext.66 Anschließend widmet er sich den im Text wiederholt begegnenden Strukturen, in denen Jesus agiert und nennt hier u.a. die Verbindung von Voraussagungen (Mk 8,31–32a), Kontroversen (Mk 8,32b-33)und Lehre (Mk 8,34–9,1).67 Eine anschließende Analyse der narrativen Rhetorik der Charakterisierung68 macht die narrative Funktion seiner Charakterisierung und seinen Beitrag zur narrativen Entwicklung deutlich.69 Dabei kommt Danove letztlich zu dem Fazit, dass die Charakterisierung Jesu maßgeblich dazu beiträgt, die Verlässlichkeit der Erzählung in Bezug auf ihr Publikum zu stützen und zu stärken.70 In dem Sammelband „Character Studies and the Gospel of Mark“ von Skinner/Hauge71, in dem verschiedene Figuren im MkEv analysiert werden (so u.a. Gott, der Satan, Petrus und die Frauen), untersucht Williams72die Jesus-Figur als den Kyriosim MkEv, also unter einem speziellen Gesichtspunkt. Dafür gibt er zunächst einen Überblick der Verwendung des Begriffs κύριος im MkEv.73 Anschließend geht er der Frage nach, wie Figuren im MkEv generell charakterisiert werden.74 „People in a narrative exist within the flow of an overall plot. They play particular roles within the overall sequence of events, while themselves are also influenced and shaped by those events.“75 In einem weiteren Schritt bündelt er die beiden vorhergehenden Ergebnisse in dem Abschnitt „Mark’s Use of 'Lord' and His Characterization of Jesus“.76 Dabei kommt er zu folgendem Ergebnis in Bezug auf die Jesus-Figur als κύριος im MkEv: „For Mark, Jesus is Lord in that he is uniquely exalted in his authority, even though at the present time that authority may not be recognized by all. Jesus is also Lord in that his life serves as the defining paradigm for his followers, so that in following Jesus’ example they choose a life of sacrificial service. These prominent themes within Mark’s characterization of Jesus – his authority, his exemplary life, and his hiddenness – are potentially overlook as long as the final goal remains simply to isolate the most important title for Jesus in Mark.”77 2.3.1.3 Fazit Wie im Vorhergehenden ausführlich gezeigt, bestehen in der Literatur- und Filmwissenschaft sowie in der Exegese viele unterschiedliche Ansätze zur Analyse von Figuren. Es existiert jedoch bislang kein einheitliches Verfahren zur Analyse von Figuren innerhalb von Erzählungen, was nicht unbedingt ein Nachteil sein muss, da unterschiedliche Verfahren unterschiedliche Beobachtungen zutage aufzeigen. Es lässt sich darüber hinaus eine Entwicklung festmachen: Ihren Ausgangspunkt nimmt die Figurenanalyse in den 20er Jahren im Bereich der Literaturwissenschaft. Figuren werden zunächst unter dem Aspekt ihrer Rolle und Funktion innerhalb von Handlungsmustern betrachtet und in bestimmte Kategorien eingeteilt (Forster, Propp, Harvey, Greimas). Im Laufe der Zeit werden vermehrt die ihnen im Text zugeschriebenen Eigenschaften ( traits) analysiert (Barthes, Chatman). Wenig später werden diese beiden Verfahren zusammengebracht und miteinander kombiniert (Bal, Rimmon-Kenan). Im Zuge der kognitiven Wende werden Figuren in der neueren Forschung oftmals als mentale Modelleverstanden, die vom Leser gebildet und konstruiert werden (Jannidis, Eder). Der in der Literaturwissenschaft vollzogene Wandel hinsichtlich der Figurenanalyse hat sich auch in der Analyse und Auslegung biblischer Texte vollzogen. So finden sich Ansätze, die ihren Schwerpunkt auf die Kategorisierung von Figuren legen (u.a. Poplutz, Eisen). Wieder andere lehnen sich in ihren Figurenanalysen an Chatman an und untersuchen hauptsächlich die einer Figur zugeschriebenen traits(u.a. Powell, Rhoads/Michie, Tolmie). Darüber hinaus existieren in der Forschung auch Modelle, die versuchen, alle Aspekte miteinander zu kombinieren (u.a. Marguerat/Bourqin, Thompson, Schultheiss, Zimmermann). In der letzten Zeit hat auch die kognitive Wende in der Analyse biblischer Figuren vereinzelt Anklang gefunden (u.a. Finnern). Im Unterschied zur Literaturwissenschaft stellt sich in der Theologie zudem vermehrt die Frage, den narrativen Ansatz historisch auszuweiten und den Text historisch zu verorten (u.a. Fehribach, Hartenstein, Bennema, Darr, Thompson, Finnern). 2.3.2 Zur figurenanalytischen Untersuchung in dieser Arbeit Nach der Vorstellung unterschiedlicher Figurenanalysemodelle aus verschiedenen Bereichen sowie der konkreten Durchführung von Figurenanalysen in den Evangelien und der Apostelgeschichte folgt nun eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Verfahren. Sie dient letztlich dazu, die Figurenanalysekategorien herauszuarbeiten, die im Hinblick auf die geplante Analyse des Auferstandenen im Matthäus- und Lukasevangelium sinnvoll und ergiebig erscheinen. 2.3.2.1 Kritische Auseinandersetzung mit den vorgestellten Vorgehensweisen der Figurenanalyse Die im Vorherigen vorgestellten Verfahren zur Figurenanalyse sind nun hinsichtlich ihres Nutzens für das Ziel, ein möglichst präzises und differenziertes Bild des Auferstandenen im Matthäus- und Lukasevangelium aus dem Text heraus zu erheben, zu befragen. Durch die Mehrzahl der Figurenanalyseverfahren1 zieht sich eine generelle Unterscheidung zwischen einer direkten Charakterisierung(telling) und einer indirekten Charakterisierung(showing).2 Diese beiden Kategorien scheinen auch im Hinblick auf die Analyse des Auferstandenen von Nutzen zu sein, da sie grundsätzliche Beobachtungen im Text zutage fördern. Lediglich hinsichtlich der Frage, welche Aspekte unter diesen beiden Kategorien zu verhandeln sind, besteht in der Forschung Uneinigkeit. Die eine Position3 versteht unter der direkten CharakterisierungAussagen des Erzählers sowie anderer Figuren über die Figur und unter der indirekten Charakterisierungdas Handeln und Reden einer Figur. Eine andere Position4 zählt zu der Kategorie der indirekten Charakterisierungnoch weitere Aspekte wie z.B. die Umwelt der Figur5 hinzu. Wenn aber die Definition des showingwortwörtlich verstanden wird als die Art und Weise, wie sich eine Figur im Text selbst zeigt und präsentiert, dann kann das showingnur Aspekte umfassen, auf die die Figur selbst einen Einfluss hat (also ihr Reden und Handeln, ihre Gestik, Mimik und ihre Gefühle). Der für die Analyse des Auferstandenen sicherlich ebenso relevante Aspekt der Umwelt einer Figur wird daher in einem eigenen separaten Methodenschritt verhandelt. Zum besseren Verständnis wird in dieser Arbeit jedoch anstelle des Begriffs showingder Begriff der Selbstcharakterisierungeiner Figur gewählt, da hierdurch der Bezug auf die Figur selbstund ihr Reden und Handeln m.E. noch deutlicher wird. In Entsprechung dazu wird anstelle des Begriffs tellingvon der Fremdcharakterisierungeiner Figur gesprochen, um zu kennzeichnen, dass es unter diesem Aspekt um ( fremde) Aussagen des Erzählers oder anderer Figuren über die Figur geht. Eine Alternative zur Einteilung in direkteund indirekte Charakterisierungbietet u.a. Finnern, der auf eine solche Unterscheidung verzichtet und stattdessen alle Figurenmerkmale zusammenfasst und in einem weiteren Schritt der Frage nachgeht, ob diese Merkmale direktoder indirektvermittelt worden sind. Jedoch scheinen viele seiner aufgelisteten Fragen nach Figurenmerkmalen wie z.B. Wissen, Erleben, Wünsche und Pflichten der Figur im Hinblick auf den Auferstandenen im Matthäus- und Lukasevangelium nicht sehr ergiebig zu sein. Eine grundsätzliche Unterteilung in indirekteund direkteCharakterisierung bzw. in Selbst-und Fremdcharakterisierungist m.E. an dieser Stelle sinnvoller. Ähnlich wie Finnern verfahren auch Chatman, Rhoads und Michie und Tolmie, indem auch sie auf eine Unterteilung in direkteund indirekteCharakterisierung verzichten und sich in ihrer Figurenanalyse hauptsächlich auf die Zusammenstellung und Untersuchung aller einer Figur im Text zugeschriebenen Merkmale ( traits) beschränken. Jedoch bleibt eine solche Figurenanalyse, die nur aus einer Aneinanderreihung von Persönlichkeitsmerkmalen einer Figur besteht, m.E. recht einseitig und oberflächlich, da sie die Figur statisch als Summe verschiedener traitsund nicht dynamisch in ihren vielfältigen Funktionen und Beziehungen innerhalb einer Erzählung wahrnimmt. Für die Analyse des Auferstandenen werden somit grundsätzlich die beiden Kategorien indirekteund direkte Charakterisierungübernommen, in Selbst-und Fremdcharakterisierungumbenannt und dabei inhaltlich beschränkt auf eine Selbst-Präsentation der Figur v.a. durch ihr Handeln und Sprechen ( Selbstcharakterisierung) und auf Aussagen über die Figur durch den Erzähler oder anderer Figuren sowie (nonverbaler) Reaktionen anderer Figuren auf die Figur ( Fremdcharakterisierung). Um die Figur als dynamisch in ihren vielschichtigen Beziehungen und Funktionen innerhalb einer Erzählung wahrzunehmen, werden diese beiden Kategorien durch eine Reihe weiterer Kategorien ergänzt: Wie u.a. Finnern, Anderson, Thompson und Zimmermann deutlich gemacht haben, ist auch die Beziehung der Figur zu anderen Figuren von großer Bedeutung und Aussagekraft für die Darstellung einer Figur. Zum einen treten im direkten Vergleich der Figur zu anderen Figuren Ähnlichkeiten, Gegensätze und Konflikte stärker hervor, schärfen also das Profil der Figur; zum andern sagt die Beziehung einer Figur zu anderen Figuren viel über die Figur selbst aus. Daher wird in Anlehnung an Finnern die Kategorie Figur und Figurenals eigenständiger Analyseschritt betrachtet. Ein Aktantenmodell, wie Greimas und andere es verwenden, kann zur Veranschaulichung der vielschichtigen Beziehungen einer Figur dienen. Jedoch ist es im Hinblick auf die Analyse des Auferstandenen m.E. ergiebiger, kein bereits feststehendes Raster zu verwenden, sondern jede Beziehung des Auferstandenen zu einer anderen Figur oder Figurengruppe individuell zu beschreiben und daraus ein eigenes Beziehungs-Modell zu entwickeln. Auch der in der Forschung oft ausgeklammerte und allenfalls am Rande behandelte Aspekt der Umwelt und Umgebung, in der Figuren dargestellt werden (so u.a. bei Rimmon-Kenan, Anderson und Hur), scheint im Hinblick auf die Figurenanalyse des Auferstandenen im Matthäus- und Lukasevangelium kein unwichtiger Aspekt zu sein. Finnern liefert zwar nützliche Kriterien zur Umweltanalyse6, setzt diese jedoch nicht in Bezug zur Figurenanalyse. Er unterscheidet in seiner Umweltanalyse zwischen zeitlichen, räumlichen und sozialen Settings7 und macht darüber hinaus deutlich, dass die Umwelt auch als Symbol für etwas dienen und Stimmungen erzeugen kann.8 Für die Analyse des Auferstandenen werden daher Finnerns Kriterien zur Umweltanalyse in die Figurenanalyse integriert und in Beziehung zur Figur des Auferstandenen gesetzt. Um auch die Ebene der Handlungfür die Figurenanalyse zu berücksichtigen (wie es v.a. Bal, Rimmon-Kenan und Finnern deutlich gemacht haben), wird in einem weiteren Analyseschritt die Figur in Beziehung zur Handlung gesetzt, um so ihre Funktion, Rolle und Bedeutung für die Handlung herauszustellen. Greimas, Harvey, Bal, Finnern, Eisen, Tolmie und andere liefern hierzu Modelle, in denen die Figuren gemäß ihrer Rollen und Funktionen innerhalb einer Handlung eingeteilt und zugeordnet werden. Der Vorteil solcher Modelle ist u.a. die Übersichtlichkeit über das Zusammenspiel verschiedener Figuren innerhalb einer Handlung. Jedoch erweist sich die Verwendung eines solchen eher starr erscheinenden Rasters im Hinblick auf die Analyse einer einzelnen Figur (in diesem Fall des Auferstandenen) nicht von großem Nutzen. Denn ein solches Aktantenmodell ist m.E. nicht in der Lage, die komplexe Rolle des Auferstanden in der Handlung zu untersuchen, da sich ein Modell auf pauschale und grobe Kategorien und Einteilungen beschränken muss. Fragen wie „wie wird die Figur in die Handlung eingeführt?“ oder „treibt die Figur die Handlung voran?“ können durch ein solches Modell nicht beantworten werden. Ein Aktantenmodell eignet sich daher im Hinblick auf die Analyse des Auferstandenen besser zur Veranschaulichung der Beziehung des Auferstandenen zu anderen Figuren und wird daher unter der Kategorie Figur und Figurenverhandelt. In Anlehnung an Gun und Fewell, Marguerat und Bourqin, Finnern, Nicklas, Oko und im übertragenen Sinne auch an Eder soll in einem weiteren Schritt die bisher in der Forschung eher vernachlässigte Beziehung des Erzählers zur Figur untersucht werden. Es soll hierbei die Art und Weise, in der der Erzähler Aussagen über die Figur trifft, näher beleuchtet werden (bei Eder ist dies z.B. die Art und Weise der Kameraführung). Denn bei den vorherigen Kategorien handelt es sich insgesamt um „Inhalte“ des Erzählers, also um das, waser über eine Figur sagt, an welchen Orten und zu welchen Zeiten er sie darstellt, wie er die Figur ins Verhältnis zu den anderen Figuren setzt und welche Rolle er der Figur innerhalb der Handlung zuschreibt. In der Analysekategorie Figur und Erzählersoll es aber nicht um Inhalte des Erzählens, sondern vielmehr um die Art und Weise der Präsentation dieser Inhalte gehen. Finnern verhandelt unter dem Analyseschritt Figurendarstellungu.a. folgende für die Beziehung des Erzählers zur Figur relevante Fragen: „Wie ist die Charakterisierung über den Text verteilt (z.B. Blockcharakterisierungen)? Wie ausführlich ist die Charakterisierung?“9 Genau wie die Umweltanalyse stellt die Perspektivanalyse bei Finnern wiederum einen eigenständigen Bereich dar, der bei ihm nicht mit der Figurenanalyse verknüpft ist. Hier verhandelt Finnern u.a. Fragen nach der Perspektive des Erzählers.10 Unter der Kategorie Figur und Erzählerwird somit bei der Figurenanalyse des Auferstandenen vorrangig (in Bezug auf Eder, Marguerat/Bourqin und Finnerns Perspektivanalyse) die Perspektive des Erzählers zur Figur sowie die Art und Weise der Charakterisierung analysiert. Forster, Harvey, Ewen, Rimmon-Kenan, Gun und Fewell, Finnern,Powell, Bennema, Anderson, Poplutz, Eisen und Tolmie erstellen bestimmte Kategorien, nach denen Figuren beurteilt, bewertet und eingeteilt werden. Sie richten sich dabei vornehmlich entweder nach Forsters Einteilung in flacheund rundeCharaktere11 oder nach Ewens Einteilung in complexity, developmentund penetration to inner life.12Forsters Einteilung kann mit Rimmon-Kenan zu Recht als zu grob und damit ungenügend bezeichnet werden, da zwischen den beiden Polen rundund flachnoch zahlreiche Zwischenstufen bestehen, die durch sein Modell nicht erfasst werden. Ewens Einteilung scheint hier schon besser geeignet zu sein, jedoch ist auch sie in ihren Kategorien limitiert. Hinsichtlich der Aus- und Bewertung einer Figur sind daher Finnerns Kriterien, die er in Anlehnung an Eder formuliert, am effektivsten. Er unterscheidet zwischen statisch oder dynamisch, knapp oder detailliert, eindimensional oder mehrdimensional, typisch oder untypisch, geschlossen oder offen, realistisch oder unrealistisch, kohärent oder inkohärent und macht damit eine präzise Auswertung einer Figur möglich. In Bezug auf die Analyse des Auferstandenen im Matthäus- und Lukasevangelium wird jedoch bewusst auf eine abschließende Beurteilung der Figur in Bezug auf die eben genannten Kriterien verzichtet, da sie im Hinblick auf den Auferstandenen nicht sehr ertragreich erscheint. Dennoch werden die Kriterien implizit in den jeweiligen Analyseschritten mitberücksichtigt, v.a. der Aspekt der Kohärenz ist im Rückblick auf die Darstellung des irdischen Jesus von großer Bedeutung. Eder, Marguerat und Bourqin, Schultheiss, Finnern, Powell, Nicklas und andere untersuchen darüber hinaus die Wirkung einer Figurauf den Rezipienten. Es geht ihnen darum, zu ergründen, ob die Figur Sympathie, Empathie oder Antipathie beim Rezipienten auslöst. Die Frage nach der Wirkung einer Figur ist auch im Hinblick auf die Analyse des Auferstandenen von Interesse. Jedoch liefern Eder, Marguerat und Bourqin und Powell keine zufriedenstellenden Kategorien, anhand derer Rezeptionsemotionen untersucht werden können. Finnern widmet sich dagegen der Rezeptionsanalyse in einem eigenen Kapitel, setzt sie aber wiederum nicht in Beziehung zur Figurenanalyse.13 Die von ihm genannten Kriterien (u.a. zur Empathie, Sympathie und Antipathie) eignen sich jedoch m.E. gut zur Analyse der Wirkung der Figur des Auferstandenen auf den Rezipienten und werden daher für die in dieser Arbeit verwendete Figurenanalyse übernommen. Dabei stellt die Frage nach der Wirkung der Figur auf den intendierten Rezipienten keinen eigenen Analysepunkt dar; vielmehr spielt sie während der gesamten Figurenanalyse eine Rolle. Jannidis liefert in seinem Figurenanalysemodell wichtige Impulse hinsichtlich der Beschaffenheitvon Informationen über die Figur. Er nennt hier u.a. Aspekte wie Zuverlässigkeit14, Modus, Relevanz, Dauer, Menge, Häufigkeit, Ordnung, Dichte und Kontext der Informationen. Diese von ihm herausgestellten Kriterien, nach denen die Äußerungen über eine Figur im Text (direkt, indirekt, in Bezug auf die Handlung, die Umwelt und andere Figuren) befragt werden können, eignen sich m.E. gut dazu, generell und übergreifend in einer Figurenanalyse angewendet zu werden. Sie stellen somit keine eigene Kategorie dar, sondern werden bei allen Äußerungen in allen Kategorien berücksichtigt. Anderson, Hur, Rimmon-Kenan, Nicklas und Danove betonen in ihren Figurenanalysen zu Recht den Aspekt der Analogie. Ihrer Ansicht nach besitzen Analogien (Wiederholungen, Ähnlichkeiten und Kontraste) im Text einen hohen Stellenwert und sagen viel über die Darstellung einer Figur aus. Genau wie die Fragen nach der Beschaffenheit von Aussagen, sind daher auch im Text begegnende Analogien in Bezug auf eine Figur stets in allen Analysekategorien mit zu berücksichtigen. Im Prinzip soll in der geplanten Analyse auf eine explizite historische Ausweitung des narrativen Ansatzes durch das Heranziehen von frühchristlichen Vergleichstexten (wie bei Hartenstein und Fehribach) oder durch den Versuch einer Rekonstruktion des gesamten Weltwissens des damaligen Lesers (wie bei Darr) verzichtet werden, denn ein solches Vorgehen scheint nicht unproblematisch zu sein. Der Nachteil in Bezug auf Hartensteins Methodik dürfte darin liegen, dass ihr Verfahren, bei dem auch sehr viel später als das Johannesevangelium entstandene Texte als (bereits in mündlichen Vorstufen) bekannt vorausgesetzt und als Vergleichstexte genutzt werden, sehr hypothetisch und letztlich willkürlich bleibt. Auch Darrs Versuch, den damaligen lukanischen Leser genau zu rekonstruieren, um so durch seine Brille hindurch den Text zu lesen, kann wohl kaum so umfassend gelingen, dass sich ein wirklicher Ertrag für die Analyse daraus ergäbe. Eine generelle Verortung des Textes, wie u.a. Finnern, Oko und Bennema es vorschlagen, ist dagegen sinnvoll, da der Text allein schon durch seine Sprache und sein soziokulturelles Setting historisch verankert ist. Wie bereits im vorherigen Kapitel zu dem in dieser Arbeit verwendeten Erzählmodell geklärt worden ist, ist der intendierte Rezipientdes Matthäus- und des Lukasevangeliums ein Leser des ersten Jahrhunderts nach Christus. Sein mögliches Weltwissen wird dann explizit berücksichtigt, wenn der Text ein entsprechendes Wissen vorauszusetzen scheint und damit eine historische Rückfrage für das Verständnis des Textes notwendig ist. Die „Richtung“ der Analyse erfolgt daher in dieser Arbeit nicht vom Hintergrund zum Text (wie u.a. Hartenstein es vorschlägt), sondern vom Text zurück zum Hintergrund. Auf einen Versuch, bereits vor der Analyse der Texte das mögliche Profil des intendierten Rezipientendes Matthäusevangeliums und das mögliche Profil des intendierten Rezipientendes Lukasevangeliums genau zu rekonstruieren und ihnen ein enzyklopädisches Wissen zuzuschreiben, wird in dieser Arbeit jedoch verzichtet. 2.3.2.2 Die in dieser Arbeit verwendeten Figurenanalysekategorien Nach der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Figurenanalysemethoden ergeben sich somit für die Figurenanalyse des Auferstandenen die folgenden sechs Analysekategorien. In allen Analyseschritten wird dabei stets auf die Beschaffenheitder Informationen, die Wirkungder Figur auf den intendierten Rezipienten sowie auf mögliche Analogiengeachtet. Diese sechs Kategorien werden deshalb bei der Untersuchung von Mt 28 und Lk 24 eingesetzt, weil die differenzierten Fragen möglichst vielfältige Beobachtungen zur Figur des Auferstandenen in den beiden Texten zutage bringen sollen; sie haben also insgesamt heuristische Funktion. 1 Fremdcharakterisierung Unter diese Analysekategorie werden alle direkten Aussagen, die der Erzähler oder andere Figuren im Text über die Figur tätigen, gefasst. Darunter fallen u.a. ausdrücklich zugeschriebene Aussagen über das Aussehen, die Herkunft, den sozialen Status, den Beruf, aber auch über Charakterzüge, Eigenschaften und Angewohnheiten der Figur. Dabei ist darauf zu achten, welche Figur etwas über den Auferstandenen sagt und ob diese als glaubwürdig eingestuft werden kann. Darüber hinaus zählen zu dieser Kategorie auch die (nonverbalen) Reaktionen anderer Figuren auf die Figur. 2 Selbstcharakterisierung In dieser Kategorie steht nicht das, was vom Erzähler oder anderen Figuren über die Figur erzählt wird, im Mittelpunkt, sondern das, was die Figur selbst über sich aussagt, wie sie sich zeigt und präsentiert. Hierzu zählen vor allem das Sprechen (Wortwahl, Stil) der Figur, Gedanken und Gefühle, nonverbales Verhalten (Gestik, Mimik) sowie das Handeln (oder auch Nicht-Handeln) der Figur. 3 Figur und Figuren In diesem Abschnitt geht es um die Frage, in welchem Verhältnis und in welcher Beziehung die Figur zu den anderen Figuren innerhalb der Erzählung steht. Wie verhält sie sich zu wem? Sind Kontrastfiguren zu erkennen? In diesem Bereich greifen die Aspekte der Analogie besonders stark, da hier Ähnlichkeiten und Kontraste der Figur zu anderen Figuren thematisiert werden. 4 Figur und Umwelt In der Kategorie Figur und Umweltwird zum einen untersucht, in welcher Umgebung, an welchen Orten oder Schauplätzen die Figur dargestellt wird. Zum anderen wird geprüft, ob die Figur mit bestimmten Zeiten, Daten oder Festen in Verbindung gebracht wird. Auch mögliche Symboliken oder erzeugte Stimmungen durch Umweltschilderungen werden in Beziehung zur Figur gesetzt. 5 Figur und Handlung An dieser Stelle wird die Frage nach der Rolle und Funktion der Figur innerhalb der Handlung untersucht. Dabei sind folgende Fragen leitend: Ist die Figur durchgängig die Hauptfigur? Wie wird die Figur vom Erzähler in die Handlung eingeführt, wie oft kommt sie innerhalb eines Handlungsstrangs vor, treibt sie die Handlung voran und welche Relevanz und Bedeutung hat sie insgesamt für die Handlung? 6 Figur und Erzähler In dieser Kategorie steht das Verhältnis des Erzählers zur Figur und die Beschaffenheit und Rhetorik seiner Figurendarstellung im Mittelpunkt. Es geht dabei konkret um folgende Fragen: Mit welchen (sprachlichen) Mitteln stellt der Erzähler die Figur dar? Was lässt sich über die Wortwahl des Erzählers und seinen Erzählstil bezüglich der Figur aussagen? Aus welcher Perspektive heraus schildert der Erzähler die Figur und wie sieht seine Kameraführung (Fokalisierung) aus? Deckt sich die Erzählzeit des Erzählers mit der erzählten Zeit der Handlung? 7 Fazit Zuletzt werden die im Vorherigen angestellten Beobachtungen gebündelt und im Zusammenhang der Frage nach der möglichen (theologischen und christologischen) Intention des jeweiligen Evangeliums ausgewertet. Конец ознакомительного фрагмента. Текст предоставлен ООО «ЛитРес». Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
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