Jeder Erzähltext verfügt somit über einen Erzähler, auch wenn er oft auf den ersten Blick nicht deutlich erkennbar ist. Der Erzählerist eine fiktive, imaginäre Figur des textexternen Autorsund damit gleichzeitig „das vermutlich wesentlichste Formprinzip von Erzähltexten.“1 Der Erzählerbegegnet in einer bestimmten Erzählform(z.B. Ich-Erzählung, Er/Sie- Form).2 Für den Erzählerdes Matthäusevangeliums gilt durchweg die Er/Sie-Form, der Erzählerdes Lukasevangeliums erzählt jedoch in seiner Einleitung zunächst in der Ich-Form und wechselt dann in die Er/Sie-Erzählung. Besonders Erzähler, die selbst im Text als Figur auftreten, besitzen oft ein persönliches Profil (Name, Geschlecht, Alter etc.).3 Darüber hinaus zeigt der Erzählerein bestimmtes Erzählverhalten: auktorial, personal oder neutral. Bei allen gilt jedoch: „Er präsentiert die erzählte Welt.“4 Beim auktorialen Erzählverhalten (wie es sich im Matthäus- und im Lukasevangelium findet) überblickt der Erzählerdas Geschehen und greift durch Kommentare wie z.B. Hinweise für die Leser, Urteile über Personen etc. in die Erzählung ein.5 Der Erzählerleitet den Leser durch die Erzählung. Beim personalen Erzählverhalten schildert der Erzählerdie Geschichte aus der Perspektive einer Person, wobei er zwischen verschiedenen Personen wechseln kann. Der Erzählerweiß dabei nur so viel, wie die Person weiß. Das objektive Erzählverhalten zeichnet sich dadurch aus, dass der Erzählersachlich und ohne jegliche Kommentare das Geschehen berichtet. Aber auch bei einem (scheinbar) objektiven Erzählverhalten gilt folgendes: „Der Erzähler ist anwesend als Quelle, Garant und Organisator der Erzählung, als ihr Analytiker und Kommentator, als Stilist“6. Des Weiteren nimmt der Erzählereinen bestimmten Erzählstandpunktund eine Fokalisierungein.7 Er kann in großer Nähe zum Geschehen stehen oder auch aus einer starken Distanz heraus erzählen. In der Narratologie spricht man von einem offenenund einem verborgenen Erzähler.8 Die Fokalisierung kann dabei innerhalb einer Erzählung wechseln.9 Genette kennt insgesamt drei Formen der Fokalisierung: Nullfokalisierung, Externe Fokalisierung und Interne Fokalisierung.10 Man kann die Wahl des Erzählstandortes mit der Wahl der Kameraeinstellung im Film vergleichen. In einigen Szenen „zoomt“ die Kamera an Personen heran, schildert ihre Gefühle und ihre Sicht, im nächsten Moment wird das Geschehen aus einer Weitwinkel-Einstellung heraus präsentiert und der Zuschauer erhält einen Gesamtüberblick über das Geschehen. Außerdem zeigt der Erzählereine bestimmte Erzählhaltung: Er kann sich affirmativ, begeistert, neutral, humorvoll, ironisch, skeptisch, distanziert oder ablehnend zu dem von ihm Erzählten verhalten.11 „Die Überzeugungen, Normen und Werte des Erzählers werden auf verschiedene Weise […] zum Ausdruck gebracht.“12 Durch gezielte Informationsvergabe steuert er die Leseraffekte und erzielt somit bei den Lesern Sympathie, Antipathie, Empathie, etc. in Bezug auf bestimmte Figuren.13 Auch unterliegt der Erzählereiner bestimmten Erzählzeit, da der Akt des Erzählens selbst Zeit benötigt. Diese steht der erzählten Zeit, die die Zeit der erzählten Geschichte und der Handlung bezeichnet, gegenüber.14 Er nimmt darüber hinaus einen bestimmten zeitlichen Standpunktein, indem er z.B. von Geschehnissen in der Vergangenheit – also im Präteritum – berichtet oder von Dingen in der Gegenwart oder Zukunft spricht.15 Darüber hinaus wählt der Autor eine Darbietungsformder Erzählung: Entweder behält der Erzählerdie gesamte Erzählung hindurch das Wort (Erzählbericht oder auch Erzählung von Ereignissen) oder er lässt auch seine Figuren sprechen (direkte Figurenrede oder auch Erzählung von Worten16). Bei der Figurenrede kann unterteilt werden in direkte Wiedergabe (szenisches Erzählen)17, indirekte Wiedergabe (indirekte Rede) und erzählte Figurenrede.18 Die anglo-amerikanische Erzähltheorie prägte hierfür die Begriffe tellingund showing, wobei tellingdie Erzählerrede und showingdie Figurenrede/Handlung bezeichnet.19 Analog zur Figurenrede verhält es sich auch mit den Gedanken einer Figur. So können sie zitiert werden (z.B. in Form eines inneren Monologs oder eines Gedankenzitats), transportiert werden (z.B. in Form einer indirekten Gedankenrede) oder erzählt werden (z.B. als Gedankenbericht).20 Generell gilt dabei: Indem der Erzähler die Figuren innerhalb der Erzählung sprechen und agieren lässt, befindet er sich auf einer anderen, übergeordneten Ebene als die Figuren. 2.2.2.2.5 Adressat Der Adressatkann bezeichnet werden als „the narrative authority to whom the narrator addresses his narrative.“1 In vielen Fällen ist jedoch kein (expliziter) Adressatim Text selbst genannt.2 Dagegen wird von einigen Literaturwissenschaftlern die Ansicht vertreten, der Adressat sei ebenso konstitutiv für eine Erzählung wie der Erzähler.3 Dabei unterscheiden sie aber zwischen einem Adressaten, der ein deutliches Profil aufweist und einem, der nicht existent zu sein scheint. Der Adressat, der kein deutliches Profil aufweist, kann jedoch m.E. ebenso gut mit dem intendierten Rezipienten, der neben der Funktion des idealen Rezipientenja auch die Funktion des unterstellten Adressateneinnimmt, gleichgesetzt werden. Dadurch wird der Begriff Adressatin dem von mir verwendeten Erzählmodell auf einen im Text selbst explizit genannten Adressatenbeschränkt, der im Fall des Matthäus- und des Lukasevangeliums nicht existent ist.4 2.2.2.2.6 Handlung Jede Erzählung lässt sich grundsätzlich in zwei Ebenen aufteilen: In das, „was“ erzählt wird, also die Handlung, und in das, „wie“ etwas erzählt wird, also die Darstellung.1 Jede Handlungbesteht dabei aus einer Aneinanderkettung verschiedener Ereignisseoder Motive; sie stellen die kleinste Einheit innerhalb einer Erzählung dar.2 Die „chronologische Gesamtsequenz aller Geschehnisse und Ereignisse“3 wird als Geschehenbezeichnet. Die Geschichteist die Teilmenge aus dem Geschehen, die für die Bedeutung der Erzählung relevant ist.4 Darüber hinaus kann eine Handlungeine Struktur aufweisen, ein Schema abbilden oder einem bestimmten Verlauf folgen.5 2.2.2.2.7 Darstellung Der Begriff Darstellungbezeichnet, wie und auf welche Art und Weise eine Handlung dargestellt wird. Dieselbe Handlungkann auf viele unterschiedliche Arten und Weisen geschildert werden1, was z.B. im Vergleich der Evangelien deutlich wird.2 Dabei machen Martinez/Scheffel zu Recht deutlich, dass die Erzählerfigur unter den Bereich der Darstellungfällt und nicht extra aufgelistet werden muss. Zum Bereich der Darstellunggehören somit u.a. Aspekte wie die Wortwahl des Erzählers, die dargestellte Umwelt, die charakterisierten Figuren, die erzählte Zeit und der (ideologische) Erzählerstandpunkt.3 2.3 Figurenanalyse Die Analyse literarischer Figuren ist eine von mehreren Kategorien der narratologischen Analyse von Texten. Obwohl der Figurenanalyse besonderes Gewicht beizumessen ist1, stand sie bislang nicht sonderlich im Fokus narratologisch orientierter Arbeiten.2 In der Forschung existieren unterschiedliche Auffassungen darüber, was eine Figur ist und was sie ausmacht.3 Als ein Beispiel sei Eders Definition einer Figur genannt: „Eine Figur ist ein wiedererkennbares fiktives Wesen mit einem Innenleben – genauer: mit der Fähigkeit zu mentaler Intentionalität“4. Die Figurenanalyse kann damit als „systematische Untersuchung einzelner Figuren sowie aller vorwiegend auf sie bezogenen Aspekte fiktionaler Texte, Rezeptions- und Kommunikationsvorgänge“5 beschrieben werden. Mit Poplutz muss jedoch zusätzlich deutlich gemacht werden, dass nicht nur Menschen als Figuren bezeichnet werden können, sondern „alle anthropomorphisierten Wesen oder Objekte“6, die die Merkmale Handelnund/oder Sprechenaufweisen.7 Der Auferstandene ist im Rahmen des Matthäus- und Lukasevangeliums eine bewusst gestaltete und in einer bestimmten Art und Weise dargestellte literarische Figur innerhalb einer Erzählung und wird daher in einer narrativen Figurenanalyse bewusst auch als solche behandelt.
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