1 ...8 9 10 12 13 14 ...34 In den reformierten Gebietenwurden die calvinistischen30 Psalmenkompositionenvon Claude Goudimelverwendet: Les pseaumes mis en rime françoise, par Clément Marot et Théodore de Bèze, Genève 1565. Es handelt sich um den ersten vollständigen Genfer Liederpsalter oder Hugenottenpsalter( psaultier huguenot ).31 Goudimel32 vertonte die von Marot und de Bèze umgedichteten Psalmentexte. Am Beispiel von Psalm 46: Gott ist unsre Zuversicht und Stärke ( Zu Gott wir unser Zuflucht haben ) soll dies exemplarisch vorgestellt werden: Marot übersetzte den Psalm aus dem Lateinischen Deus noster refugium et virtus und stellt darüber einen kurzen Kommentar über den Schutz Gottes (später Luthers „ein feste Burg“):
De David. Psalme XLVI. Deus noster refugium & virtus Argument.33
Les bons chantent icy, quelle fiance & seureté ils ont en tous perils, ayant Dieu pour leur garde.
Des qu’adversité nous offence,
Dieu nous est apuy & defence:
Au besoin l’avons asprouvé,
Et grand secours en luy trouvé. […]
Die Goudimelsche Version nach der Übersetzung von Marot und de Bèze ist bis heute Bestandteil der reformierten französischen Gesangsbücher, wie der Auszug aus dem Recueil de psaumes et cantiques à l’usage des églises réformées von 1859 beweist.34 Dargestellt ist der 113. Psalm: Vous qui servez le Seigneur nach Marot 1542. Die Melodie aus dem Jahr 1551 stammt aus Genf und ist bis heute in den reformierten Gemeinden Teil des psautier français de la Réforme-psaumes. 35 Boerner / Pilz / Rosenthal36 verwenden den 113. Psalm des Hugenottenpsalters in einem Auszug aus dem Recueil von Berger-Levrault in ihrem Lehrbuch der französischen Sprache als erstes Lied im Anhangteil unter der Rubrik Chansons ( Abb. 5, S. 66). Hierbei ergibt sich eine Parallele zum geopolitischen Hintergrundwie beim Gottesvertrauen in „Ein feste Burg ist unser Gott“ als Festung im Dreißigjährigen Krieg. In der Ausgabe von 1914 wurden nur drei der fünf Strophen abgedruckt. Es handelt sich neben der ersten Strophe um die dritte Strophe. Letztere wurde als zweite angegeben und die vierte Strophe als dritte abgedruckt. Nach der unveränderten ersten Strophe, die als Lobpreisung Gottesverstanden werden kann: Vous qui servez le Dieu des cieux,/ Célébrez son nom glorieux,/ Chantez sa grandeur. wird in der zweiten Strophe die Macht Gottesdargestellt: […] dans ce haut lieu / D’où sa main lance le tonnerre […] . Parallelen zum Kriegsbeginn 1914 werden deutlich. In der dritten Strophe wird Trost gespendet: Au juste qu’il voit affligé, / Au pauvre qu’il voit négligé, / Il tend la main dans leur détresse.
In den reformierten Gemeindenin Deutschland und der deutschsprachigen Schweiz gilt die Psalmenübertragung des sächsischen humanistischen Dichters Ambrosius Lobwasser37 bis heute als richtungsweisend. Lobwasser brachte die Melodie von Goudimel mit den Psalmen, die von Marot und de Bèze vom Latein ins Französische übersetzt worden waren, nach den gleichen Versmaßen in deutsche Reime. Die Lobwasser-Übersetzung erschien erstmals 1573 mit dem Titel
Der Psalter deß Königlichen Propheten Davids / in deutsche reymen verstendiglich vnd deutlich gebracht / mit vorgehender abzeigung der reymen weise / auch eines jeden Psalmes Inhalt / Durch den Ehrenuertesten Hochgelarten Heern Ambrosium Lobwasser / der Rechten Doctorn vnd Fürstlicher Durchlauchtigkeit in Preussen Rathe. Vnd hierüber bei einem jeden Psalmen / seine zugehörige vier stimmen / vnd laut der Psalmen / andechtige schöne gebet.38
Abb. 5:
Otto BOERNER / Clemens PILZ / Max ROSENTHAL, Lehrbuch der französischen Sprache für preußische Präparandenanstalten und Seminare nach den Bestimmungen vom 1. Juli 1901 . Leipzig und Berlin: Verlag Teubner, 3. Aufl. 1914, B. Chansons. 1. Psaume CXIII, S. 143.
Édith Weber39 hat die exakte Kongruenz in Reim, Versmaß und Goudimelscher Melodie am Beispiel des Psalms 46 dargestellt.
I. 4 Formen des Musikeinsatzes am Straßburger Gymnasium
Für den Fremdsprachenunterricht,insbesondere den Französischunterrichtspielte seit Ende des 16. Jahrhunderts die Reichsstadt Straßburgeine entscheidende Rolle als Drehscheibe zwischen Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich. Eng verbunden mit der Reformation in Straßburg war die Tradition des Humanismusund – wie Bernd Schröder es treffend formuliert hat – sein „Ideal höherer Schulbildung, das die Antike beerbt, humanistischen Geist atmet und Bedürfnisse wie Anliegen des noch jungen Protestantismus aufnimmt.“1 Die Erfindung des Buchdrucks2 als Meilenstein des Humanismus ermöglichte eine relativ schnelle und weitreichende Verbreitung der Reformationin Europa. Marc Lienhard verweist deshalb folgerichtig auf die Personifizierung der Reformation als „fille de l’imprimerie“.3 So wurden in Straßburgzwischen 1550 und 1620, der Anfangszeit des Dreißigjährigen Kriegs, die meisten Lehrwerke für den Französischunterricht gedruckt.4 Wie die christlichen Schulreformer August Hermann Francke und Christian Salzmann setzt sich Johannes Sturm dafür ein, dass für alle Unterrichtsfächer und auch Vorlesungen Lehrbücherbereitgestellt wurden.5 Der Humanist Sturm ist wie Philipp Melanchthon untrennbar verbunden mit der frühprotestantischen Pädagogikdes 16. Jahrhunderts. Der Reformator Martin Bucerholte Sturm 1537 in die freie Reichsstadt Straßburg. Hier gründete Sturm ein Jahr später das Straßburger Gymnasium,6 das bis heute als Gymnase Jean Sturm fortbesteht; 1621 geht aus der Sturmschen Gründung die Straßburger Universität hervor.7 Johannes Sturms Gymnasium ist ein akademisches Gymnasiumoder Gymnasium illustre ; es fanden hier auch öffentliche, propädeutische Vorlesungen statt.8 Sturm kann somit zu Recht als „Vater des […] althumanistischen Gymnasiums protestanischer Prägung“9 bezeichnet werden. Seine Verwurzelung im Protestantismus und seine humanistische Tradition spiegeln sich in seiner Schul- und Unterrichtskonzeption, insbesondere im Sprachunterrichtwider.10 Sein Programm der Neuordnung des Schulwesensstellt Sturm detailliert in der im Jahre 1538, also zu Beginn seiner Tätigkeit als Rektor des Gymnasiums veröffentlichten Schrift De literarum ludis recte aperiendis 11 vor. Es handelt sich um einen detaillierten Lehrplanund eine umfassende Unterrichtskonzeptionfür das Straßburger Gymnasium.
Das Bildungsziel Sturms, das Matthieu Arnold als Widmung seinem Ausstellungskatalog jean sturm. Quand l’humanisme fait école. 12 voranstellt, fasst das Ziel der Ausbildung am Sturmschen Gymnasium und damit die wichtigsten Elemente seiner Konzeption zusammen: „Propositum a nobis est sapientem13 atque eloquentem pietatemfine esse studiorum.“14 Neben dem Grundsatz der Frömmigkeitwerden Vernunftund Eloquenzin Form der reinenund kunstvollen Redehervorgehoben. Hier zeigt sich Sturms Modernität. Schule und Unterricht wurden nach Sturm folgendermaßen organisiert:
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