1 ...7 8 9 11 12 13 ...34 Bei der Verbreitung der Bibelübersetzung Luthers wirkte der Buchdruckals entscheidender Katalysatorin der Verbreitung der neuen Religion. Im Folgenden sollen vor allem die Bedeutung Luthers einerseits als Musikerund Komponist, andererseits als Erzieherund Pädagogesowie die Anwendung seiner Prinzipien für den Sprachunterrichtdargestellt werden.
Die Musikund vor allem das Liednehmen im Bildungswesender Zeit des Humanismuseine Sonderstellung ein, da sie „[…] in einzigartiger Weise verschiedenartigen Aspekten der Pädagogik, der Religion, der Wissenschaft und der Musikpflege [unterliegen].“2 Wolfgang Niemöller verweist auf das Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher Fachdisziplin innerhalb der septem artes liberales und künstlerischer, „poetischer“ Ausdrucksform.3 Bis zum 16. Jahrhundert war die Musikausbildung innerhalb des Quadriviums4 eine Art Mischung aus Arithmetik und Musik.5 Luther stellt dieser musica theoretica eine realitätsnahe musica practica 6 entgegen. So spielt der Musikeinsatz7 im Unterrichtin Luthers Bildungskonzeptioneine zentrale Rolle:
Musicam habe ich allzeit lieb gehabt. Wer dies Kunst kann, der ist guter Art, zu allem geschickt. Man muß Musicamvon Noth wegen in Schulen behalten.8 Ein Schulmeister muß singen können, sonst sehe ich ihn nicht an. Man soll auch junge Gesellen zum Predigtamt nicht verordnen, sie haben sich denn in der Schulein der musicawohl versucht und geübet.9
Die Verbindung der mittelalterlichen Lateinschulemit der Kirchenmusikwies der musica neben dem Latein auch als Lehrfacheine wichtige Stellung zu. Niemöller10 hat nachgewiesen, dass der rector scholae im Normalfall auch gleichzeitig, gewissermaßen in Personalunion,der rector chori als cantor war. Dies geschah aus soziologischen, berufsrechtlichen und häufig auch finanziellen Gründen. Oft wurden Neugründungen von Schulenunter der offiziellen Begründung vorangetrieben, dass dadurch der feierliche liturgische Gesang in der Kircheerhalten werden konnte. Der Schulmeistersollte zuerst dem Chorund dannerst der Schulevorstehen.11
Das Singen der Schulchörediente dem Lob Gottes, und dazu sollten alle Gläubigen angehalten werden, in ihrer Muttersprache mitzusingen.12 Die Kirchgemeindewurde im Gottesdienstaktiv einbezogen. Anstelle des Gregorianischen Gesangs stellte Luther ein Repertoire von Chorälenzusammen.13
Die Formel des Singens und Sagens taucht wiederholt bei Martin Luther auf. Johannes Block verweist auf die Botschaft des Evangeliums, die singend und sagendzum Menschen kommt.14 Es handelt sich um eine Verstehensmethode:„Theologie wird unter Gesang getrieben und kommt unter Gesang zum Verstehen.“15 Block untersucht diese Beziehung von verbum und vox 16 bei Luther:
Die Propheten haben keine Kunst derart gebraucht wie die Musik, weil sie ihre Theologie […] in Musik gesetzt haben, so daß sie Theologieund Musikengstens verbundenhaben, wenn sie die Wahrheit in Psalmen und Liedernverkündigten.17 […] Den nächsten Platz nach der Theologie gebe ich der Musik. Das ist durch das Beispiel Davids und aller Propheten offenbar, die all das ihr in Versmaßen und Gesängen überliefert haben.18
Luthers Bedeutung für das Kirchenlied mündet in die Rolle der Reformation als Singbewegung.19 Er dichtete 36 Kirchenlieder, bei mindestens 20 dieser Lieder stammen die Melodien sicher von ihm selbst:20 „Erst die Notenmachen den Text lebendig.“21 Viele Kirchenliedervon Luther greifen nach dem Prinzip der Kontrafaktur22 vorreformatorische deutsche Lieder, aber auch lateinische Gesänge der katholischen Kirche, wie Hymnen sowie Volks- und Gesellschaftslieder auf. Hierbei wird das oben dargestellte didaktische Konzept Vom Eigenen zum Fremden 23 angewendet. Da viele (vormals katholische) Choräleund Volksliederbekannt waren und zum Allgemeingutgehörten, konnte Luther diese erfolgreich verbreiten und für den protestantischen Kirchenchoral nutzen.24
Ein bekanntes Beispiel ist das Kirchenlied Ein feste Burg ist unser Gott , dessen Text von Martin Luther zwischen 1527 und 1529 geschrieben wurde und bis heute zum Reformationstag in den evangelischen Gemeinden gesungen wird.25 Der Text bezieht sich auf Psalm 46: Gott ist unsre Zuversicht und Stärke. 26 Luther stellt in diesem Choral in der ersten Strophe die Macht Gottes und seinen Schutz vor Anfeindungen und Versuchungen des „alt böse[n] feind[es]“ dar. Hierbei wird die Tradition des Mittelalters deutlich, in der dritten Strophe wird der Teufel als „Fürst dieser Welt“ bezeichnet. Die darauf folgende vierte Strophe zeigt den kämpferischen Charakter „[…] jenes siegesgewissen Chorals, der die Marseillaise des 16. Jahrhunderts wurde.“27
Die Rezeption und musikalische Fortentwicklungdes Lutherschen Reformationschoralsist für den zeitgenössischen Französischunterrichtsehr interessant. Das Kirchenlied,das fester Bestandteil des evangelischen Gottesdiensteswar, ist vermutlich auch zu Tischgebeten in den protestantischen Familien gesungenworden und wurde auch ins Französische übersetzt. Die folgende Abbildung zeigt einen Auszug aus dem Gesangbüchlein / Teutsch und Frantzösisch nebeneinander gesetzt. 28 Es handelt sich um die Interlinearversiondes Lutherchorals in einer zweisprachigen Ausgabevon Mömpelgard / Montbéliard 1618 ( Abb. 4,S. 62). Die französische Version passt sich dem Rhythmus und Metrum des deutschen Originaltexts gut an:
Eyn feste Burg ist unser Gott, Ein gute Wehr und waffen. Er hilfft uns frey auß aller not, Die uns jetzt hat betroffen. Der alt böse Feindt, Mit ernst ers jetzt meint, Groß macht und viel list, Sein grausam ruestung ist Auff erd ist nicht seyns gleichen. |
Nostre Dieu nous est un bon fort, Une arme secourable. Il nous est pour aide et support, Que mal ne nous accable. Le vieux ennemy N’est pas endormi : Par fraude il fait voir Son furieux pouuoir Et n’a point son semblable. |
Abb. 4:
Beginn von Ein feste Burg ist unser Gott / Nostre Dieu nous est un bon fort . Interlinearversion mit Neumen. In: Martin Luther / Jacques Foillet: Gesangbüchlein, Teutsch und Frantzösisch neben einander gesetzt […]. Montbéliard: Zetzner, 1618, S. 174 f.
Der vorliegende Auszug des Mömpelgarder Gesangsbüchleins ist insofern aufschlussreich, als es ein Zeugnis für die Zweisprachigkeit der Enklaveist.29 Bei Tischgebeten in der Familie oder zu Beginn des Unterrichts konnten die Psalmen in beiden Sprachen gesungenwerden, da Metrum und Rhythmus an die französische Version angepasst sind.
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