Carl Andreas Franz - Die Ziegenkönigin

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Der Autor führt uns zunächst in eine tiefe Vergangenheit des vorderen Orients, rückt dann bis ins 19. Jahrhundert vor. Unerwartet verlässt er die Rolle des auktorialen Erzählers und wir erleben, wie er in die Rolle eines – bescheidenen – Sammlers schlüpft.

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Carl Andreas Franz

Die Ziegenkönigin

Eine Geschichte aus vier Jahrtausenden

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Inhaltsverzeichnis Titel Carl Andreas Franz Die Ziegenkönigin Eine Geschichte - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Carl Andreas Franz Die Ziegenkönigin Eine Geschichte aus vier Jahrtausenden Dieses ebook wurde erstellt bei

I

II

III

Impressum neobooks

I

Als die beiden Jungen in die Werkstatt traten, wusste Adab sofort, was das bedeutete.

Noch geblendet von der Helligkeit draußen brauchten die Kleinen eine Weile, bis sie sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten und ihren Stammesgenossen zwischen den Borden mit ungebrannten Tongefäßen entdeckt hatten.

„Bist du Adab?“, erkundigte sich der Größere vorsichtig.

„Ja. Und ihr? Kommt ihr aus dem Dorf?“ Adab saß auf einem Hocker, hatte sich einen bauchigen Tontopf über die erhobene Hand gestülpt und in eine sachte Drehung versetzt, so dass er mit der freien Hand eine Wellenlinie darauf malen konnte. Als die Wellenlinie ihren Anfang wieder erreicht hatte, legte Adab den Pinsel beiseite, setzte vorsichtig den Tontopf ab und erhob sich.

Die Jungen nannten ihre Namen und sagten, wer ihr Vater sei. Dann überbrachten sie ihre Botschaft.

„Die Ziegenkönigin ... also deine Mama ... sie ist tot, sollen wir dir sagen, und du sollst kommen.“

Adab sah die beiden an, ihren Vater kannte er noch, er war ein Altersgenosse von ihm; sie sollten einmal zusammen in die Stammesgeheimnisse eingeweiht werden.

Adab goss sich aus einem Krug Wasser über Arme und Beine, um die Farbreste abzuwaschen, und ging ins Haus, ein schmuckloses Hemd zum Zeichen der Trauer überzuziehen. Dann musste er mit Nunnar, seinem verehrten Meister, sprechen. Der ließ ihn nur ungern gehen, längst hatte sich der stille und fleißige Vasenmaler aus den Bergen unentbehrlich gemacht, aber es wäre gegen jede Sitte gewesen, ihn nicht zu der Beerdigung seiner Mutter ziehen zu lassen und auch, ihm nicht die erbetenen Töpfe zur Verfügung zu stellen.

Als die ärgste Hitze des Tages vorbei war, holte Adab ein von ihm bemaltes Gefäß hervor. Er hatte es vor ein paar Monaten bemalt, als sein Söhnchen Dodo schwer an Durchfall erkrankt war. Während seine Frau, die schöne Noomi, sich damals von einer durchwachten Nacht zu erholen versuchte, hatte Adab den Kleinen, in einen Korb gebettet, neben sich in die Werkstatt gestellt und ihm die mit drei Ziegen bemalte Vase gezeigt. Dodo lächelte matt. Wenn nur der schreckliche Durchfall aufhörte. Adab hatte dann mit dem Pinsel jeder der drei Ziegen drei oder vier kleine Knödel unter ihr aufgerichtetes Schwänzchen getupft, so, wie sie ihre Notdurft zu erledigen pflegten. Als er die Vase nun erneut Dodo zeigte, lachte das Kind glucksend – und war bald wieder gesund geworden. Adab hatte danach noch mehrere Vasen mit knödelnden Ziegen bemalt; junge Eltern hatten sie immer wieder bestellt, da Tongefäße mit diesem Motiv nun im Ruf standen, durchfallkranke Kinder zu heilen.

Nun ließ er sich von Noomi diesen Topf in der Küche mit Hirsebrei füllen, der üblichen Totennahrung, und packte ihn zusammen mit einigen nur mit Ornamenten bemalten Gefäßen in einen Korb, alle sorgfältig mit Stroh ummantelt. Obendrauf legte er noch ein Säckchen fein geriebenen roten Ockers, das er in der Werkstatt zum Malen benutzte. Er verabschiedete sich von den Schwiegereltern, Noomi, Dodo und den anderen Hausbewohnern, hing sich den Korb mit den Tontöpfen auf den Rücken und machte sich mit den beiden Jungen auf den Weg zu dem Dorf, in dem er einmal gelebt hatte.

Als es dunkel wurde, hatten sie die ersten Ausläufer des Kebirgebirges erreicht, die Tigris-Ebene mit ihrer Unzahl von Kanälen und Gräben lag hinter ihnen. In einem kleinen Ort baten sie um ein Nachtquartier. Am nächsten Morgen, nachdem die Sonne über den Bergen aufgetaucht war, machten Adab und die beiden Jungen sich wieder auf den Weg, der bald steil und steinig zu den Bergen des Kebir hinauf führte. Während die beiden Jungen munter zwischen den Felsen umher sprangen, war Adab bald außer Atem, er war die Berge nicht mehr gewohnt. Gegen Mittag hatten sie die Hochebene erreicht, auf der das Dorf inmitten von kleinen Feldern, Gemüsegärten und Olivenbäumen lag. Auf weiten Wiesenflächen grasten Schafe. Der Dorfälteste, es war noch derselbe wie damals, als Adab das Dorf verließ, und zwei jüngere Männer erwarteten ihn bereits. Nachdem Adab sich ein wenig gestärkt und ausgeruht hatte, machte er sich mit dem Ältesten und den beiden Burschen an den Aufstieg zu der Gegend, in der Adabs Mutter mit ihren Ziegen gelebt hatte.

Die Dorfbewohner hatten die Alte bereits in Tücher gewickelt und zwischen die Überreste ihrer verstorbenen Ahnen in eine Höhle gelegt, die seit Urzeiten die Grabstätte ihrer Sippe war. Zu mehr waren sie nicht bereit, die Klageweiber blieben stumm, da Adabs Mutter nicht zu ihrem Stamm gehörte. Adab streute das mitgebrachte Ocker über die Tote und stellte den mit Ziegen bemalten und mit dem Gerstenbrei gefüllten Topf zu ihren Füßen in die Höhle, Wegzehrung für die Reise ins Totenreich. Er rief mit erhobenen Händen die Namen seiner Stammesgötter und -göttinnen und einige heilige Worte, an die er sich noch erinnerte, dann bat er die beiden Männer, die aus dem Dorf mit hochgekommen waren, die Höhle wieder mit Steinen zu verschließen, was sie mit flinken Handgriffen auch sofort erledigten.

Den Dörflern lag viel daran, die Alte in ihrer Grabhöhle einzumauern, ein unbeerdigter Toter war immer gefährlich, geisterte nachts durchs Dorf, brachte womöglich Krankheiten oder sonstiges Unheil. Vor der alten Frau mit ihren Ziegen hatten sie sich schon zu deren Lebzeiten gefürchtet, wie sie da einsam in den schwer zugänglichen Bergen mit ihren Ziegen hauste. Die Ziegenkönigin, wie sie im Dorf hieß, war in dieser Gegend die letzte eines Stammes von Ziegenzüchtern, die einst, noch fast Nomaden, mit ihren Herden die Abhänge des Kebirgebirges durchstreiften, bis die Schafzüchter ihnen mehr und mehr die Gegend streitig machten, weil sie ihrerseits von den Ackerbauern aus dem fruchtbaren Tiefland verdrängt worden waren. Die Schafzüchter diffamierten die Ziegenzüchter, sexuell ausschweifend wie ihre Ziegenböcke zu sein, während die Widder sich nur mit den Schafen ihrer Herde paarten, so wie ihre Besitzer sich nur mit ihren eigenen Frauen zusammenlegten. Trotz des Konflikts schlossen sich aber auch immer wieder Ziegenzüchter den Schafzüchtern an, nicht zuletzt, weil das Stammesrecht der Schafzüchter den Männern mehr Rechte einräumte als das der Ziegenzüchter, das die Frauen bevorzugte. Es wurden Ehen zwischen Angehörigen der beiden Stämme geschlossen, nur selten flammte Streit auf. Der letzte lag nun fast zwanzig Jahre zurück, Adab war zwei oder drei Jahre alt, als sein Vater, ein Schafzüchter, mit seinem Onkel, einem Bruder seiner Mutter und Ziegenzüchter, in Streit geriet und ihn erschlug. Ziegenhirten aus dem ganzen Gebirgszug rotteten sich zusammen und überfielen das Dorf. Es gab viele Tote, darunter auch Adabs Vater. Die Ziegenhirten wollten Adab und seine Mutter mitnehmen. Die weigerte sich aber energisch und die Ziegenzüchter flohen in die Berge, da inzwischen sich auch die Schafzüchter der Gegend in großer Zahl zum Gegenangriff zusammengerottet hatten.

Die Schafzüchter betrachteten Adab als ihrem Stamm zugehörig, weil sein Vater Schafzüchter war, aber sein Ansehen war nicht hoch. Seine Mutter, so verlangte es das Stammesrecht der Schafzüchter, hätte den Bruder ihres getöteten Mannes heiraten sollen, aber sie weigerte sich beharrlich, da der schon zwei Frauen besaß, bei den Ziegenzüchtern undenkbar, da hatten eher die Frauen mehrere Männer.

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