In der Unterstufe des technischen Sekundarunterrichts (7 ième, 8 ième, 9 ièmeST) wird zunächst das Wissen in den regulären Fächern (Deutsch, Französisch, Englisch, Mathematik, Naturwissenschaften) vertieft. Die Unterrichtssprache ist hier Deutsch, mit Ausnahme des Fachs Mathematik, das wie im ES auf Französisch unterrichtet wird. Einige technische Sekundarschulen bieten 7 ième-ST-Schülern Förderunterricht in Deutsch, Französisch oder Mathematik an, der in den Stundenplan integriert ist. Die Mittel- und Oberstufe des technischen Sekundarunterrichts ist in vier Ausbildungswege unterteilt, die den Schülern je nach Notenschnitt zur Auswahl stehen: die technische Ausbildung, die Technikerausbildung, die berufliche Ausbildung (DAP – diplôme d’aptitude professionnelle ) und die Berufsausbildung (CCP – certificat de capacité professionnelle ). Die technische Ausbildung berechtigt zum Universitätsstudium. Die Technikerausbildung dauert ebenfalls bis zur 13. Klasse. Am Ende steht das Technikerdiplom. Die Berufsausbildung (DAP) bereitet auf einen handwerklichen Beruf vor und erfolgt abwechselnd im Betrieb und in der Schule. Sie endet mit dem beruflichen Eignungsnachweis, der später als Grundlage genutzt werden kann, um die Meisterprüfung abzulegen oder ein fachgebundenes technisches Hochschulstudium zu absolvieren. Die Berufsausbildung (CCP) führt zum Berufsbefähigungszeugnis und ist unterhalb des DAPs einzustufen.
2 Einblicke in den luxemburgischen Bildungsdiskurs
Zunächst soll dargestellt werden, wie in Luxemburg auf der medialen und fachwissenschaftlichen Diskursebene über das Thema Bildung und die Schulsprache Deutsch diskutiert wird. Anschließend wird eine Analyse der Unterrichtspraxis auf Grund- und Sekundarschulebene erfolgen.
2.1 Über Bildung diskutieren
RTL-Internetredakteur: „[Beim Artikel] ‚Ee Sträit an der Educatioun. Nei Pläng vun der Regierung, wat d’Bewäertung vun den Enseignanten ugeet’, do hate mer iwwer 160 Comments […].“
RTL-Radiomoderator: „Also nees déi berühmt Themen mat de berühmte Comments, déi ëmmer erëmkommen“ (RTL Radio Lëtzebuerg 28.03.2014).1
Auf Luxemburgs führendem Nachrichtenportal www.rtl.lu werden regelmäßig hunderte von Leserkommentaren verfasst, wenn Nachrichten aus dem Bildungsbereich vermeldet werden. Schulreformen entfalten in Luxemburg eine besondere Brisanz. Sie stellen Überzeugungen und Gewohnheiten infrage und weisen darauf hin, dass die Schule an die Veränderungen der Gesellschaft angepasst werden muss.
In der Studie ‚Réajustement de l’enseignement des langues’ , die das Bildungsministerium im Jahr 2007 publizierte, stellten die Autoren Charles Berg und Christiane Weis mit einer gewissen Ernüchterung fest, wie einflussreich die luxemburgischen Massenmedien bei der Konstitution von Wissen über den Bildungsbereich sind:
Il est douloureux de constater à quel point la communication entre le Ministère et les enseignants se passe mal. Les informations et les messages adressés aux enseignants et aux directions par le Ministère sont souvent ignorés; des publications comme le Courrier de l’Éducation nationale, la Circulaire du printemps ou Edunews ne sont pas lues régulièrement et les enseignants s’informent avant tout dans la presse, essentiellement lors d’événements qui donnent lieu à controverse (Berg/Weis 2007:27).
Das erste Diskursbeispiel, das den Einstieg in diesen Teildiskurs erlaubt, entstammt einem Interview mit dem luxemburgischen Bildungsminister Claude Meisch.2 Das Interview wurde von RTL Radio Lëtzebuerg anlässlich des Schulanfangs im September 2014 ausgestrahlt:
RTL-Radiomoderatorin: „Dir hutt d’Sproochen ugeschwat. Wat muss sech dann als éischt änneren?“
Claude Meisch (Bildungsminister):„[…] Mee sécherlech ass dat déi grouss Erausfuerderung hei zu Lëtzebuerg. Mir hunn eng Situatioun, wou mer eng multilingual Gesellschaft hunn, déi nach ëmmer méi multilingual gëtt, well mer méi multikulturell och ginn, well mer eng Aarbechtswelt hunn, déi eigentlech net méi der Aarbechtswelt vu virun 30, 40 Joer […] entsprécht. Dofir musse mer méi Sproochen hei am Land vermëttelen, och de Kanner weiderhin vermëttelen. Well d’Kanner awer net déi Sproochen och doheem schwätzen, ass dat natierlech eng ganz grouss Erausfuerderung fir eng ëffentlech Schoul, déi awer och eigentlech een eenheetleche System nach ëmmer soll duerstellen, fir dat doten ze meeschteren“ (RTL Radio Lëtzebuerg 20.09.2014).3
Die luxemburgische Gesellschaft setzt sich aus verschiedenen Sprachgruppen zusammen, die sich auf den ersten Blick zunächst grob unterscheiden lassen, deren Angehörige bei genauerer Betrachtung allerdings die verschiedensten Sprachbiographien und -repertoires aufweisen. Beim Erwerb neuer Sprachen greifen Luxemburgs Schüler dementsprechend auf unterschiedliche Voraussetzungen zurück. Im öffentlichen Diskurs wird die Mehrsprachigkeit des Landes gewöhnlich mit der gesetzlich verankerten Dreisprachigkeit des Landes (Deutsch – Französisch – Luxemburgisch) gleichgesetzt.4 Auf dem Arbeitsmarkt scheint dagegen längst ein Sprachhandlungswissen gefordert zu werden, das über die Kompetenzen, die im traditionellen luxemburgischen Sprachenunterricht erworben werden, hinausgeht. So werden ‚Migrantensprachen’ (vor allem Portugiesisch und Serbokroatisch) im Dienstleistungssektor mittlerweile als entscheidendes Einstellungskriterium gewertet. Der Bildungsminister betont im obigen Interviewausschnitt, dass er die Schulgemeinschaft zusammenhalten möchte, obschon sie aufgrund ihrer Heterogenität kaum noch mit einheitlichen Methoden unterrichtet werden kann. Er stuft die Anpassung des Bildungssystems an die gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse als „die große Herausforderung für Luxemburg“ ein. Eine „multilinguale Gesellschaft, die immer multilingualer werde“ erfordere einen anderen Sprachenunterricht als bisher.
Es sind die TOPOI DER UNGERECHTIGKEIT und der REALITÄTSANPASSUNG, die seit Beginn der portugiesischen Immigration den Bildungsdiskurs dominieren. Der TOPOS DER UNGERECHTIGKEIT verläuft nach folgendem Argumentationsmuster:
Weil das aktuelle Bildungssystem Kinder mit Migrationshintergrund benachteiligt, ist es ungerecht.
Der TOPOS DER REALITÄTSANPASSUNG folgt in der Diskursargumentation gewöhnlich dem TOPOS DER UNGERECHTIGKEIT und verläuft nach folgendem Schema:
Weil das aktuelle Bildungssystem nicht mehr zu der Gesellschaft passt, die es ausbilden muss, bedarf es dringend einer Anpassung.
Im Medienkorpus finden sich unzählige Beispiele für die Ausführung beider Argumentationsmuster:
BEISPIELE FÜR DIE ANWENDUNG DES UNGERECHTIGKEITSTOPOS IM BILDUNGSDISKURS
Weshalb kann in Luxemburg Friseur werden, wer seine Ausbildung auf Französisch macht, während ein Mechaniker unbedingt Deutsch beherrschen muss? Diese Situation findet Anne Brasseur absurd und ungerecht (Journal: 16.01.2001).
Deren diesjähriges Motto lautet: „Gerechtegkeet an Efficacitéit an eiser Schoul“. Dahinter verbirgt sich ein ganzes Bündel von bereits begonnenen und neuen Maßnahmen, die laut Ministerium vor allem eines zum Ziel haben: bestehende Ungleichheiten und Ungleichheiten des Luxemburger Schulsystems allmählich zu korrigieren und allen Schülerinnen und Schülern eine Qualifikation „entsprechend ihrer Fähigkeiten” zu ermöglichen (LL: 15.09.2005).
So müsse man beispielsweise den demografischen Veränderungen Rechnung tragen. Immerhin sind mehr als 42 Prozent der Grundschüler nicht luxemburgischer Herkunft. „Es geht vor allem um Chancengerechtigkeit“, betonte Scheuer. Die Kinder sollen gemäß ihren Fähigkeiten gefördert werden (Wort3: 21.01.2009).
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