„Es gibt in allen Sportarten wahrscheinlich den einen oder anderen Betrüger, sogar im Ultra-Running. Bei uns gab es Leute, die Abkürzungen nahmen, die vorgeschriebene Ausrüstung nicht mit sich trugen, alles Mögliche. Es muss nicht nur Doping sein. Es gab sogar einmal ein Zwillingspaar beim Comrades, die ihre Zeitmessungschips nach der Hälfte des Rennens tauschten.
Die Leute, die sagen, es steckt ja kein Geld im Ultra-Running, warum sollte man also betrügen, vergessen etwas dabei. Viele Athleten in unserem Sport leben ja sowieso in soliden Verhältnissen. Es ist ihr eigenes Ego und eine Art von Faulheit und Ungeduld, das sie dazu verleitet.“
Das Problem wird in Zukunft nur noch schlimmer werden, meint er weiter. „Mehr Geld, mehr ‚Ruhm‘, dieser Instagram-Lifestyle, mehr Druck der Sponsoren. All das wächst. Und die Athleten werden immer schneller. Somit versuchen die schwächeren Läufer, eine Ausrede zu finden. Bei uns gibt es Leute, die schon mehrere Sperren hinter sich haben, doch sie scheinen daraus einfach nicht zu lernen.“
Aber selbst Britton, der nicht davor zurückscheut, jemanden zur Rede zu stellen, sagt, er denke nicht, dass Doping im Ultra-Running heimisch geworden ist.
„Ich führe das auf die Persönlichkeiten und die Offenheit der Athleten zurück“, sagt er. „Vielen kann man wirklich vertrauen. Einige mögen das vielleicht als naiv erachten, aber wir haben einfach nicht diese Anti-Doping-Infrastruktur, um es irgendwie anders anzugehen. Ich tue was ich kann, um mitzuhelfen, meinen Sport sauber zu halten, aber manchmal geht es einfach nur darum, der beste Athlet zu sein, der man sein kann, solange die Leute noch an einen glauben. Ich hoffe, das gelingt mir auch so.“
Ich befrage Elisabet zum Thema Doping, als wir im Zug zu unserem Trainingslauf sitzen. Glaubt sie, dass es ein großes Problem in diesem Sport ist?
„Ich bin mir sicher, dass eine verbesserte Testinfrastruktur auch mehr Dopingfälle ans Licht brächte“, meint sie. „Warum auch nicht? Doping gibt es in jedem Sport, es ist ja nicht so, als wären Ultra-Läufer eine andere Spezies von Mensch. Sicherlich, das große Geld gibt es im Ultra-Sport bis jetzt nicht zu verdienen, aber da sind Sponsoren, Ansehen, Ruhm … Wenn du einmal Blut geleckt hast, willst du mehr und es wird immer diejenigen geben, die bereit sind, dafür bis ans Äußerste zu gehen.“
Ist sie noch nie in Versuchung gekommen, vor allem wenn sie weiß, dass es unwahrscheinlich ist, dabei erwischt zu werden?
„Ich glaube von mir, dass ich hohe moralische Standards habe“, sagt sie. „So wurde ich erzogen. Ich hatte nie Interesse daran, bei irgendetwas zu mogeln. Sei ein guter Mensch und es werden dir gute Dinge widerfahren. Ganz einfach.“
Es ist ein ziemlich miserabler Morgen, als wir in dem kleinen Ort Denton, dem Start unseres Trainingslaufs, ankommen. Ein grauer Nieselregen hängt in der Luft und nimmt der Umgebung die ganze Farbe. Die grauen Vorstadtstraßen um den Bahnhof herum tragen nur wenig dazu bei, die Stimmung aufzuheitern, doch bald wären wir ja jenseits der Häuser und würden in die Wälder laufen.
Elisabet ist eine eher ungewöhnliche Ultra-Läuferin, da sie recht selten Trails läuft. „Ich hasse Matsch“, sagt sie, als wir den Weg entlang waten. „Aber es ist schön, zur Abwechslung wieder einmal draußen im Wald zu sein.“ Sie lebt in Westcliff-on-Sea in Essex und ihr übliches Laufgebiet ist die Ortspromenade. Wenn sie dem UTMB ihren Stempel aufdrücken will, muss sie sich an solche Bedingungen gewöhnen.
Dieser Lauf ist ein guter Erkundungslauf für ihr bevorstehendes Rennen, da die Läufer dort ihre Route selbst finden müssen. Elisabet verwendet eine App auf ihrer Uhr, die die ungefähre Richtung anzeigt. Trotzdem verlaufen wir uns mehrere Male. „Einige Leute suchen gerne nach dem Weg und verwenden Landkarten“, sagt sie. „Ich mag das nicht.“
Ultra-Running ist ein sehr weites Feld. Es umfasst Laufen, ja klar, kann aber auch Wandern, Bergsteigen und Kartenlesen beinhalten. Doch ich stimme Elisabet zu, auch ich fühle mich am wohlsten, wenn die Route markiert ist, was beim UTMB und den meisten anderen Rennen, zu denen ich mich angemeldet habe, zum Glück der Fall ist.
Drei Stunden lang dümpeln wir mit gemütlichem Tempo dahin, quatschen und bleiben das eine oder andere Mal stehen, um einen kleinen Bissen zu uns zu nehmen. Heute experimentiere ich mit schokoladeüberzogenen Haselnüssen und getrockneter Mango. Beides schmeckt hervorragend nach ein paar Stunden laufen. Nachdem wir fertig sind und 21 Meilen (ca. 34 km) zurück Richtung London zu einem anderen Bahnhof gelaufen sind, halten wir an einem Minisupermarkt. Ich fühle mich, als könnte ich den ganzen Laden leer essen, doch ich beschränke mich auf einen Softdrink und ein Haferflockenplätzchen. Es schmeckt himmlisch. Vielleicht ist ein Teil der Faszination, die Ultra-Marathons ausmacht, einfach nur extremen Hunger aufzubauen und dann mit einem 5 Euro Schein in der Tasche in einen Laden voll mit bunt verpacktem Essen zu gehen. Elisabet kann einem Pepsi Max nicht widerstehen. „Sag’s aber niemandem“, zwinkert sie mir zu sie. Das ist definitiv kein integraler Bestandteil ihrer Ultra-Ernährung, doch am Ende eines 21-Meilen-Laufs geht alles. Entscheide dich für dein sündigstes, geheimes Verlangen und hau rein. Ich entscheide mich jetzt aufs Ganze zu gehen und meiner dunklen Seite etwas zu gönnen, und nehme mir einen Schokoriegel. Sagen Sie es aber niemandem, O. K.?
Während der nächsten Monate steigere ich mein Trainingsvolumen. Ich hole mir einen Trainer, Tom Craggs, der mir einen Trainingsplan erstellt. Doch trotz meiner besten Absichten fällt es mir schwer, diesen Plan genau einzuhalten. Tom versteht mein Problem und ändert den Plan ab, wenn ich ihm wieder einmal schreibe, dass ich nicht alles, was er mir vorgegeben hat, bewältigen konnte. Es kommt mir vor, permanent Ausreden zu suchen und ich verspreche alles aufzuholen, doch bevor ich es mich noch versehe steht das nächste Rennen vor der Tür.
Es ist ein 100-km-Rennen in Kalifornien namens Miwok 100K und zählt vier UTMB-Punkte. Um mich für den UTMB zu qualifizieren, brauche ich insgesamt 15 Punkte aus drei Rennen.
Als ich meinen Flug in die Vereinigten Staaten besteige, ist mein längster Trainingslauf die 21 Meilen, die ich zusammen mit Elisabet gelaufen war, und mein längstes Rennen das in Devon über 34 Meilen (ca. 55 km). Das wird also eine Reise ins Unbekannte, fast doppelt so lange als ich jemals zuvor gelaufen bin. Und das alles in der bergigen Küstenlandschaft nördlich der San Francisco Bay.
Bevor ich aber nach Kalifornien fahre, besuche ich einen Ultra-Läufer in Colorado. Soweit ich weiß, ist er einer der besten Ultra-Läufer der Welt. Ich hatte ihn über Facebook kontaktiert, als ich Interviewpartner für meine US-Reise suchte.
„Komm vorbei und bleib ein paar Tage hier“, schrieb er mir zurück und bot mir an, einige Tage bei ihm zu Hause zu verbringen und mit ihm zu trainieren. Ich antwortete, dass ich von der Idee begeistert wäre und fragte ihn, wo er lebt.
„Ich lebe in einer abgelegenen Holzhütte, auf halbem Weg hinauf zum Pikes Peak Mountain, nahe Manitou Springs“, antwortete er. „Es führen keine Straßen zu unserem Haus, du musst also gut sechs Meilen (ca. 10 km) den Waldweg rauflaufen oder wandern, um zu uns zu kommen.“ Das hört sich wild an. Ich lasse ihn wissen, dass ich kommen werde.
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