»Vor meiner Erleuchtung hackte ich Holz und trug Wasser. Nach meiner Erleuchtung hackte ich Holz und trug Wasser.«
Zen-Sprichwort
IMPRESSUM
Die englische Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel
Adharanand Finn: The Way of the Runner: A Journey Into the Fabled World of Japanese Running
im Verlag Faber & Faber, Bloomsbury House,
74-77Great Russell Street, London WC1B 3DA
Alle Rechte vorbehalten
©Adharanand Finn, 2015
Deutsche Erstausgabe
1. Auflage 2021
© egoth verlag GmbH
Alle Rechte vorbehalten. Wiedergabe, auch auszugsweise,
nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Rechteinhabers.
ISBN: 978-3-903183-33-9
ISBN E-Book: 978-3-903183-89-6
Übersetzung aus dem Englischen: Alison Flint Steiner und Robert Steiner
Lektorat: Dr. Rosemarie Konrad
Cover: DI (FH) Ing. Clemens Toscani
Grafische Gestaltung und Satz: DI (FH) Ing. Clemens Toscani
Umschlagillustration Rückseite: Shutterstock
Printed in the EU
Gesamtherstellung:
egoth Verlag GmbH
Untere Weißgerberstr. 63/12
1030 Wien
Österreich
ADHARANAND FINN
EKIDEN
DER
WEG
DES
LÄUFERS
EINE REISE IN DIE OBSESSIVE WELT DES JAPANISCHEN LAUFSPORTS
Aus dem Englischen von Alison Flint Steiner und Robert Steiner
PROLOG
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
DANKSAGUNG
DER AUTOR
Es ist Februar 2001. Ich stehe an einer Schulhofmauer in Hongo, einer Kleinstadt im Westen der japanischen Hauptinsel Honshu. Ich bin verkatert.
Am Vorabend hatte mich mein Bruder, der an dieser Schule als Lehrer arbeitet, vom Flughafen abgeholt, nachdem ich von London angekommen war, und mich direkt zu einem – wie er es nannte – Nacktfest mitgenommen. Das ganze Fest drehte sich nur darum, so viel Sake wie möglich zu trinken und nur mit einem Mawashi , einem Gürtel, wie ihn die Sumoringer tragen, bekleidet, mit etwa 200 gleichgesinnten Männern in der nächtlichen Kälte herumzustehen und zu versuchen, ein langes Stück Stoff zu erhaschen. Während wir alle darum kämpften, des Stoffes habhaft zu werden, schütteten Priester kaltes Wasser über uns. Dieses 200 Mann starke Gedränge tritt, zieht und drängt sich stundenlang in der Dunkelheit herum, bis einer der Recken dankenswerterweise das Stück Stoff triumphierend in die Luft hält und über eine Treppe in einem Schrein verschwindet.
Am nächsten Morgen erscheint ein Bild dieses Scharmützels in einer japanischen Tageszeitung, auf dem meine blasse Rückseite in der Mitte zu sehen ist. Ich weiß, dass ich es bin, denn in meinem recht angetrunkenen Zustand hatte ich jemanden gebeten, mir das Wort „Flash“ in großen Lettern auf den Rücken zu schreiben. Aus irgendeinem Grund hatte ich gedacht, ich wäre Flash Gordon. Ein Mann, der sich auf einem weit entfernten Planeten seinen Weg durch die Menge von Gegnern bahnt. Nach nicht einmal vier Stunden Schlaf ist mein Bruder schon wieder munter.
„Ich laufe einen Ekiden“, sagt er. „Willst du auch?“
Ich habe nicht die geringste Ahnung, was ein Ekiden ist, doch Laufen ist im Moment das Letzte, an das ich an diesem Morgen denke. Ja, ich war einmal ein begeisterter Läufer, doch nach vielen Jahren hinter dem Schreibtisch eines Londoner Verlags bin ich verweichlicht und auch deutlich rundlicher als früher. Die Tage, an denen ich gerne lief, liegen hinter mir.
„Nein“, antworte ich und kratze mich im Nacken.
Stattdessen positioniert er mich vor seiner Schule, drückt mir einen Regenmantel in die Hand, der mich vor dem leichten Nieselregen schützen soll, und gesellt sich zu seinem Team. Wie sich herausstellt, ist ein Ekiden ein Langstreckenstaffellauf. Jede Stadt in Japan scheint so einen Ekiden zu veranstalten, und die Menschen beteiligen sich alle in irgendeiner Form daran. Wenn sie nicht selbst laufen, dann bieten sie sich als Streckenposten an oder kommen zumindest zum Wettkampf, um die Teilnehmer lautstark anzufeuern.
Ich stehe an der Mauer und nicke und verbeuge mich, während die Leute unter ihren Regenschirmen an mir vorbeigehen. Die Veranstalter und Offiziellen tragen passende gelbe Regenmäntel. Im Schulhof hinter mir versammeln sich alle. Durch das Gittertor beobachte ich, wie die Athleten in ihren Shorts und Sporttrikots auf dem nassen Schotter den Hof hinauf- und hinuntersprinten und sich auf das Rennen vorbereiten. Viele von ihnen scheinen Schüler der Mittelschule zu sein, doch es nehmen auch Männer und Frauen aller Altersklassen daran teil. Dann stellen sie sich auf, und als der Startschuss ertönt, ergießen sie sich wie ein Fluss aus dem Schulhof auf die Straßen der Stadt.
Langsam dringt der Regen durch meine dünnen Schuhe, und meine Füße werden ganz kalt, während ich auf der leeren Straße warte. Die Startläufer tragen ein Band, genannt Tasuki , das sie im Laufe des Rennens an ihre Teamkameraden weitergeben müssen, ähnlich dem Stab bei Staffelläufen in der Leichtathletik. Irgendwann sollte das Feld wieder an mir vorbeikommen, darunter auch mein Bruder.
Bis dahin vertreibe ich mir die Zeit damit, auf und ab zu marschieren, um mich warmzuhalten. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht ein älteres Ehepaar unter zwei zusammenpassenden Regenschirmen und blickt gelegentlich die Straße hinauf. Es dauert fast eine Stunde, bis die Läufer auftauchen. Sie bewegen sich die Straße entlang, angefeuert von den Menschen am Straßenrand. Als mein Bruder dann auftaucht, überragt er mit seinen gut 1,92 Metern alle um ihn herum. Sein Gesicht ist rot, und der Regen läuft ihm in die Augen, doch er grinst mich an, als er an mir vorbeigaloppiert.
„Weiter so, Vinny“, rufe ich und wünsche mir plötzlich, selbst mitzulaufen. Es sieht so aus, als würde es Spaß machen. Zumindest mehr Spaß, als hier mit meinen kalten Händen, die ich in die Achselhöhlen gepackt habe, herumzustehen. Ich verspüre dieses Verlangen, meine Jacke wegzuwerfen und einfach loszulaufen. Es ist ein Gefühl, das ich oft habe, wenn ich bei einem Rennen zusehe und nicht selbst mitlaufe. Dann frage ich mich immer, warum ich eigentlich nicht selbst laufe. Dieser Wettkampf hier ist eine so freundliche, gemeinschaftliche Veranstaltung, an der sich die ganze Stadt beteiligt, dass ich mich irgendwie ausgeschlossen fühle, während ich nur so an der Mauer lehne.
Erst viele Jahre später soll ich erneut die Chance bekommen, einem Team beizutreten und bei einem Ekiden in Japan mitzumachen. Doch da bin ich vorbereitet, gut 13 Kilo leichter und ganz erpicht darauf, loszulaufen.
Ich betrete das an der Themse liegende Tower Hotel in London durch eine Drehtür. Es ist ein warmer Morgen im April 2013, nur wenige Tage vor dem London Marathon. Meine Beine fühlen sich frisch an. Ich bin bereit für das Rennen und kann die leicht knisternde Atmosphäre im Hotel der Eliteathleten bereits spüren.
Gleich beim Eingang, neben einer geschwungenen Marmortreppe, steht eine Gruppe von Leuten, tief ins Gespräch vertieft. Eine Person erkenne ich. Es ist Steve Cram, mein Laufidol aus Kindheitstagen. Er ist nun natürlich deutlich älter, seine Haare sind kürzer und glatter als zu seiner Glanzzeit, doch es ist derselbe Mann, dem ich vor so vielen Jahren im Fernsehen dabei zusah, wie er auf der Jagd nach neuen Weltrekorden in seinem gelben Trikot auf der Laufbahn dahinflog. Ich gehe weiter in die Lobby.
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