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Darüber hinaus kommt eine Wissenszurechnung nach den Grundsätzen der Zurechnung üblicherweise aktenmäßig oder in elektronischen Dateien646 festgehaltenen Wissens auch sonstiger Mitarbeiter der Zielgesellschaftnach einer BGH-Entscheidung aus dem Jahr 2011647 dannin Betracht, wennzwischen der Verkäufergesellschaft und der Zielgesellschaft eine sog. aufgabenbezogene Handlungs- und Informationseinheitbesteht.648 Eine solche Wissenszurechnung über Gesellschaftsgrenzen hinaus im Konzern ist aber besonders umstritten.649 Sie kommt etwa in Betracht, wenn die Zielgesellschaft auf Veranlassung der Verkäufergesellschaft die Unterlagen für die Bestückung des Datenraumszur Verfügung stellt.650 Eine Zurechnung kann, auf der Grundlage der BGH-Rechtsprechung, auch bei Konzernen relevant werden, die eine sog. Matrixorganisationetabliert haben. Als weiteres praktisch relevantes Beispiel wird die Zurechnung des Wissens zentraler Konzernabteilungen, im Kontext von M&A-Transaktionen etwa der zentralen Konzernsteuerabteilung, angenommen.651 Zu einer Zurechnung über die Gesellschaftsgrenzen hinaus soll es schließlich dann kommen können, wenn der Verkäufer etwa bei den Verhandlungen auf rechtssubjektübergreifende Teamszurückgreift.652 Die Zurechnung dürfte sich dann regelmäßig auf das in dieser Handlungs- und Organisationseinheit (auch bloß typischerweise aktenmäßig) vorhandene Wissenbeschränken und nicht zu einer Zurechnung des gesamten (typischerweise aktenmäßig) vorhandenen Wissens der Zielgesellschaft führen.653 Eine über diese Fälle hinausgehende generelle Wissenszurechnung über die Gesellschaftsgrenzen hinaus im Konzern wird von Rechtsprechung und Literatur abgelehnt.654
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Eine in der Praxis durchaus relevante Einschränkung der Grundsätze der Wissenszurechnung besteht bei Verschwiegenheitsverpflichtungen oder Offenlegungsverboten. Wissen, dass nur durch eine rechtsmissbräuchliche Weitergabe(also unter Verstoß gegen eine Verschwiegenheitsverpflichtungen oder ein Offenlegungsverbot) erlangt werden kann, ist nicht Gegenstand der Wissenszurechnung.655
(ii) Verhaltenszurechnung
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Außerdem muss sich der Verkäufer nach § 278 BGBdas Verhalten seiner Erfüllungsgehilfenzurechnen lassen. Eine Entlastung durch den Nachweis sorgfältiger Auswahl und Überwachung des Dritten sieht die Vorschrift (anders als § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB bei Verrichtungsgehilfen) nicht vor.656 Das hat im Kontext einer Haftung nach den Grundsätzen des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen insbesondere bei Falschangabengroße praktische Relevanz.
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Für die Qualifikation als Erfüllungsgehilfemüssen zwei Voraussetzungenvorliegen:
– Zum einen muss sich der Schuldner, hier der Verkäufer, der Person als seine Hilfsperson bedienen. Dies setzt zwar weder eine ausdrückliche Beauftragung noch einen wirksamen Vertrag mit der Person voraus. Erforderlich für die Annahme solch eines Sich-Bedienens ist aber eine einseitige, rechtsgeschäftliche Willensbetätigung. Die Rechtsprechung stellt insoweit darauf ab, ob der Dritte mit Wissen und Wollen in dem Pflichtenkreis des Schuldners tätig wird.657 In der Literatur wird die rechtsgeschäftliche Willensbetätigung als eine Art „Widmung“658 der Person durch den Schuldner bezeichnet.659 Dass der Dritte weiß, dass er durch seine Tätigkeit eine Verpflichtung des Schuldners erfüllt, ist irrelevant.660 Damit ist es auch ohne Belang, ob der Dritte vom Verkaufsprozess Kenntnis hat.661 Irrelevant ist ebenso, ob sie im Rahmen des Verkaufsprozesses gegenüber dem Käufer auftreten oder nicht.662
– Zum anderen muss das Verhalten des Dritten pflichten- und widmungsnah sein.663 Der Verkäufer haftet, was durch das Kriterium der Pflichtennähe erreicht wird, für das Verhalten des Dritten nur, soweit auch sein eigener Pflichtenkreis reicht. Dieser Pflichtenkreis ist weit auszulegen, er umfasst sämtliche Haupt- und Nebenpflichten aus dem Vertrag, einschließlich Schutz- und Obhutspflichten.664 Zum anderen muss es zwischen dem Verhalten des Dritten und der erkennbaren Widmung einen inneren Zusammenhang geben.665 Damit werden bloße Tätigkeiten bei Gelegenheit ausgeschieden.
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Praktische Anwendungsfälle, in denen die Frage nach einer Zurechnung relevant werden kann, sind etwa
– falsche Informationen, die im Rahmen einer Managementpräsentation erteilt werden,
– falsche Auskünfte im Rahmen des Q&A-Process,
– falsche Auskünfte in Expert Sessions,
– falsche Informationen, die während der Verhandlungen erteilt werden, oder auch
– falsche Informationen in Pausengesprächen bei Verhandlungen.
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Für die Zurechnung nach § 278 BGB kommt es in jedem Einzelfalldarauf an, wersie erteilt hat, und ggf. zusätzlich zum einen auf die Pflichtennäheund den inneren Zusammenhangder Informations- oder Auskunftserteilung:
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Eine eindeutige Zurechnung kann bei den Organmitgliedern des Verkäufersangenommen werden. Sie ergibt sich für Kapitalgesellschaften bereits aus § 31 BGB. Bei Gesellschaften bürgerlichen Rechts und Personenhandelsgesellschaften folgt sie aus einer analogen Anwendung des § 31 BGB.666 Einer Zurechnung nach § 278 BGB bedarf es nicht. Die Vorschrift findet auch keine Anwendung.667
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Dies soll nach der Rechtsprechung auch für Repräsentantendes Verkäufers gelten. Das sind Personen, denen bedeutsame, wesensmäßige Funktionen zur selbstständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind und die insoweit den Verkäufer repräsentieren.668
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Nach der wohl herrschenden Lehre sollen dazu auch alle Mitglieder des Projektteamsdes Verkäufers zählen, wenn sie im sachlichen Zusammenhangmit den ihnen konkret zugewiesenen Aufgaben tätig werden.669 Die Widmungoder das Sich-Bedienensoll dadurch pauschalerfolgt sein, dass sie der Verkäufer in das Projektteam aufgenommen hat. Ist für den Käufer ohne weiteres erkennbar, dass ein Mitglied des ProjektteamsAuskünfte zu einem Bereich erteilt, für den er für den Käufer ersichtlich nicht zuständigist, soll im Einzelfall eine Zurechnung nach § 242 BGB entfallen können.670 Stringenter dürfte es sein und auf der Linie der Rechtsprechung liegen, die Frage für jedes Mitglied des Projektteams im Einzelfallanhand der oben dargestellten Kriterienzu überprüfen.671 Das mag dazu führen, dass im Regelfall Mitglieder des Projektteams Erfüllungsgehilfen des Verkäufers sind. Fehlt es aber am inneren Zusammenhang oder an der Pflichtennähe, was für den Käufer regelmäßig erkennbar sein sollte, scheidet eine Zurechnung nach § 278 BGB aus. Je erkennbarer dies für den Käufer ist, umso weniger schutzbedürftig ist er.672 Eines Rückgriffs auf § 242 BGB bedarf es nicht. Neben Mitarbeitern aus dem Unternehmen des Verkäufers kommen beauftragte externe Investmentbanker, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Rechtsanwälte oder andere externeBerater als Erfüllungsgehilfen in Betracht.673 Auch bei ihnen dürfte eine pauschale Zurechnung als Erfüllungsgehilfe zu weit gehen. Vielmehr sind auch bei ihnen die oben dargestellten Kriterien im Einzelfall zu prüfen. Erteilen sie, für den Käufer erkennbar, außerhalb der ihnen zugewiesenen Pflichtenkreise (konkret: der ihnen zugewiesenen Verhandlungs- oder Aufklärungshilfe) Auskünfte oder Informationen, kann im Einzelfall eine Zurechnung ausscheiden.674 Auch hier gilt: Je erkennbarer dies für den Käufer ist, umso weniger schutzbedürftig ist er.675
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