Übung: Von platzenden Kragen und überlaufenden Fässern
»Ich will das ja gar nicht, aber plötzlich habe ich so eine Wut, dass ich wieder …« Die folgende Übung ist eine sehr einleuchtende Darstellung davon, wie ein Impulsdurchbruch funktioniert und eine gute Übung für Choleriker und Menschen mit erhöhtem Aggressionsspiegel.
Die Metaphern, die diese Übung beschreiben, sind zwei von vielen. Die platzende Hutschnur und das Explodieren gehören auch dazu. Gerade letzteres geschieht in der Übung. Die Patientin nehme eine Flasche Mineralwasser, schüttele sie tüchtig und öffne dann den Verschluss. Ich rate hier zu einem Drehverschluss, dann spritzt es in alle Richtungen. Beim Kronkorken bekommt der Therapeut ungerechter Weise das meiste ab. Die Flasche stand also gehörig unter Druck. Nun geschieht ein Trigger. Ein Trigger ist ein Element des Erlebens, dass im ursprünglichen Trauma auch schon vorhanden war. In unserer Vorführung wird der Trigger durch das Öffnen der Flasche dargestellt. Hier kann mit dem Patienten besprochen werden, was ihn veranlasst, die Flasche so plötzlich zu öffnen und was den Druck darin so gesteigert hat. Machen wir diese Übung mit einer halbvollen Flasche, gibt es noch ein wütendes Zischen, aber deutlich weniger Sprühregen. Eine andere Möglichkeit ist es, die volle Flasche ganz behutsam zu öffnen.
Die Patientin bekommt hier einen Eindruck von dem, was mit ihr geschieht, wenn sie mal wieder aufbraust. Wichtig dabei ist, dass ganz neutral erst einmal ein innerer Vorgang geklärt werden kann, ohne (Selbst-)Vorwürfe und ohne Beschämung. Das bietet eine gute Grundlage, um am Verständnis der Ursachen als auch an der Entwicklung von Lösungen zu arbeiten.
Übung: Überflüssige Gefühle abschneiden
Der Titel klingt ein wenig martialisch. Dabei ist er wörtlich gemeint. Ich denke dabei an eine Patientin, die schwer darunter litt, eine Stelle, für die sie sich beworben hatte, nicht bekommen zu haben, obwohl man ihr große Hoffnungen gemacht hatte. Der alte Job war bereits gekündigt. Wir sammelten die Gefühle, die sie bei sich identifizieren konnte: Enttäuschung, Schuldgefühle, Beschämung, Trauer und Wut. Wir schrieben alle diese Gefühle auf ein Blatt Papier, so, dass sie voneinander abgegrenzt waren. Dann gab ich der Patientin eine Schere und bat sie, alle Gefühle abzuschneiden, die nichts mit der realen Situation zu tun haben. Die Beschämung, das hatten wir bereits erarbeitet, war durch den Satz ihres Vaters entstanden, der ihr immer wieder gesagt hatte, sie sei dumm wie Bohnenstroh und könne ihrem Bruder nicht das Wasser reichen. Schuldgefühle gab es, weil sie ihrer Mutter eine Geldsumme nicht zurückzahlen konnte, die diese ihr hinter dem Rücken ihres Vaters geliehen hatte. Die Enttäuschung kannte sie aus vielfältigen Erfahrungen, weil ihr immer wieder Versprechungen gemacht worden waren, die die Eltern nicht einlösten. Es blieben Trauer und Wut. Die Patientin milderte dann noch die Trauer in Bedauern und die Wut in Ärger, so dass am Ende der Zettel sehr klein wurde.
In der Psychotherapie mit Kindern kann diese Übung mit verschiedenfarbiger Knete durchgeführt werden. Und aus dem dicken Ball wird oft ein kleines Kügelchen.
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Ich denke: So bin ich – und so sollte ich sein
»Ich bin nicht das, was mir passiert ist, ich bin, was ich entschieden habe zu werden.«
C. G. Jung (1875–1961)
Focusing ist eine Psychotechnik, die wir intuitiv selbst im Alltag anwenden. Wir fühlen ein diffuses Unbehagen, wenn das deutlich genug ist, suchen wir nach der Ursache. Das Überraschende ist, dass das Unbehagen schon nachlässt, wenn wir seinen Grund gefunden haben. Ein Beispiel: Irgendetwas grummelt den ganzen Tag, macht uns unruhig und ängstlich. Dann erkennen wir, dass wir ja noch Tante Birgit eine Geburtstagekarte schicken wollten. (Der Grad des Unbehagens ist unabhängig von Grund.) Schon lässt das Unbehagen nach und wir können die Ursache beseitigen oder zumindest nach einer Lösung suchen.
Als ebenso schnelle Hilfe, ist das Focusing besonders geeignet für eine Kurzzeittherapie. Es geht um die Benennung eines Grundkonfliktes. Bei einer ausführlichen Anamnese lässt sich ein solcher Fokus relativ leicht finden, besonders bei Patienten, in deren Leben sich zum Beispiel verschiedene Konflikte wiederholen. Es wird ein Satz gebildet, der zuerst das Problem beschreibt, dann das dazugehörende Gefühl und schließlich das innere Programm (den Glaubenssatz) der Patientin. Der Satz einer ängstlich-vermeidenden Patientin lautete zum Beispiel »Wenn ich autonom bin und tue, was ich mag, wird meine Mutter krank.«
Das Fokussieren eignet sich übrigens auch sehr gut als Selbsthilfe-Übung. Hilfreich dabei ist das Buch des austro-amerikanischen Philosophen Eugene Gendlin (1988), der diese Methode entwickelt hat. Für Kolleginnen empfehle ich das Buch des Psychotherapeuten Klaus Renn (2016).
Beim Focusing geht es schlicht um das Verstehen, nicht ums Diagnostizieren oder Pathologisieren. Besonders hilfreich ist diese Methode in der Paartherapie: Gelingt dem Paar eine Formulierung im WIR? Dabei kann es sich ebenso um eine gemeinsame (auch positive) Grundfantasie handeln wie um den gemeinsamen Satz zu dem Konflikt, der sie in die Therapie gebracht hat.
Schon bevor wir auf die Welt bekommen sind, hatten die Eltern ein Bild von uns und Wünsche, wie wir werden sollen. Dieses Bild, das die Eltern von uns haben, ist wichtig, es setzt uns in dieses als Mensch ein, als Subjekt mit Aussehen und Eigenschaften. Schwierig wird es erst, wenn die Eltern an ihrer Imagination festhalten. Dann setzen sie dem heranwachsenden Kind nach ihrem Bild Regeln und Grenzen, die seine Individuation behindern.
Wir sind alle mit bestimmten Sätzen aufgewachsen, wie wir sind, wie wir zu handeln haben und wie die Welt ist. In diesen angeblichen Sicherheiten, die durch Zuweisungen entstanden sind, internalisiert wurden und sich zu Selbstbild und Rollenselbstverständnis entwickelt haben, steckt oft tiefes Leid. Dabei geht es oft um Gefühle wie Schuld, Scham und Insuffizienz. Auf eine kurze Formel gebracht, könnte es so heißen: »Ich bin nichts, ich kann nichts und alle wissen das, und deshalb kann mich niemand leiden.« Es gibt verschiedene Arten dieser Zuschreibungen und den daraus folgenden Glaubenssätzen: Mit Worten und Gesten wird dem Kind schon deutlich gemacht, dass es so, wie es ist, nicht richtig ist. Es ist zu laut, zu albern, zu klein, zu schwach. Hier wird eine Grundlage gelegt, auf die oft in der Pubertät aufgebaut wird. Besonders unwiderlegbar sind körperliche Entwertungen: zu dick, Haare zu dünn, Haltung schief. Ein Patient litt unter der häufigen Korrektur seines Vaters: »Geh gerade, du gehst wie ein Bauer.« Wobei ihm der Vater auf dem Weg zur Kirche die Spitze seines Regenschirmes in den Rücken bohrte. Dieses Bild benutzten wir in der Therapie als Fokus (
Kap. 3.1 3.1 Focusing Focusing ist eine Psychotechnik, die wir intuitiv selbst im Alltag anwenden. Wir fühlen ein diffuses Unbehagen, wenn das deutlich genug ist, suchen wir nach der Ursache. Das Überraschende ist, dass das Unbehagen schon nachlässt, wenn wir seinen Grund gefunden haben. Ein Beispiel: Irgendetwas grummelt den ganzen Tag, macht uns unruhig und ängstlich. Dann erkennen wir, dass wir ja noch Tante Birgit eine Geburtstagekarte schicken wollten. (Der Grad des Unbehagens ist unabhängig von Grund.) Schon lässt das Unbehagen nach und wir können die Ursache beseitigen oder zumindest nach einer Lösung suchen. Als ebenso schnelle Hilfe, ist das Focusing besonders geeignet für eine Kurzzeittherapie. Es geht um die Benennung eines Grundkonfliktes. Bei einer ausführlichen Anamnese lässt sich ein solcher Fokus relativ leicht finden, besonders bei Patienten, in deren Leben sich zum Beispiel verschiedene Konflikte wiederholen. Es wird ein Satz gebildet, der zuerst das Problem beschreibt, dann das dazugehörende Gefühl und schließlich das innere Programm (den Glaubenssatz) der Patientin. Der Satz einer ängstlich-vermeidenden Patientin lautete zum Beispiel »Wenn ich autonom bin und tue, was ich mag, wird meine Mutter krank.« Das Fokussieren eignet sich übrigens auch sehr gut als Selbsthilfe-Übung. Hilfreich dabei ist das Buch des austro-amerikanischen Philosophen Eugene Gendlin (1988), der diese Methode entwickelt hat. Für Kolleginnen empfehle ich das Buch des Psychotherapeuten Klaus Renn (2016). Beim Focusing geht es schlicht um das Verstehen, nicht ums Diagnostizieren oder Pathologisieren. Besonders hilfreich ist diese Methode in der Paartherapie: Gelingt dem Paar eine Formulierung im WIR? Dabei kann es sich ebenso um eine gemeinsame (auch positive) Grundfantasie handeln wie um den gemeinsamen Satz zu dem Konflikt, der sie in die Therapie gebracht hat.
). Mit den gleichen Empfindungen wie bei den Zurechtweisungen durch seinen Vater nahm der Mann jede noch so vorsichtig geäußerte (und berechtigte) Kritik auf, besonders, wenn sie von seiner Frau oder seinem Vorgesetzten kam. Aktualisiert und in den Fokus gebracht wurde diese Geschichte in der Therapie, als ich ihn darauf hinwies, dass er zum wiederholten Mal zu spät gekommen war.
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