Wenn Patientinnen mir versichern, sie wollen etwas versuchen, bitte ich sie zu versuchen, aus ihrem Sessel aufzustehen. Sie stehen entweder auf oder bleiben sitzen. Das ist beides nicht die Aufgabe. Selten ist es sinnvoll, etwas versuchen zu wollen. Man kann etwas einige Male tun, um dann festzustellen, dass es keinen Spaß macht, dass man es nicht mag oder dass es einfach nicht das Richtige ist. Man kann es tun oder lassen: Das ist die zu fällende Entscheidung. Aber versuchen?
Andere, wenig hilfreiche Wörter sind die, die besonders gern in Streitfällen benutzt werden, nämlich immer und nie und deren Verwandte. Auch in der Einzeltherapie tauchen sie auf, wenn Konflikte mit Freunden, Partnerinnen oder Vorgesetzten geschildert werden. Auch in der Erinnerung an Kindheitsverletzungen tauchen sie auf: »Meine Mutter hat immer…« Auch hier ist es gut, diese Wörter zu ersetzten. Wenn etwas immer so ist (das verletzende Verhalten des Partners), dann kann man es nicht ändern. Und was man nicht ändern kann, ist kein Thema für eine Psychotherapie. Relativierende Ersatzworte können sein: Manchmal, ziemlich oft, oft, wiederholt, mehrmals…
Es gibt richtige und falsche Fragen
Ein Sprichwort sagt, es gäbe keine dummen Fragen, sondern nur dumme Antworten. Das habe ich nicht wirklich überprüft. Sicher ist, dass es Fragen gibt, deren Beantwortung uns nicht weiterbringt. Eine davon ist die Frage: »Geht das?« Die Antwort könnte »Ja« lauten. Dann ist alles gut. Lautet sie dagegen »Nein«, ist das berühmte Ende der Fahnenstange erreicht. Die Zauberformel für diese Frage heißt also: »Wie kann das gehen?« Diese Frage erwies sich als hilfreich für eine Patientin, deren größter Wunsch es war, den Jakobsweg zu gehen. Ihre Berufstätigkeit, ihre kleinen Kinder und eine pflegebedürftige Großmutter versperrten ihr den Weg. So hieß die Antwort gleich »Nein, es geht nicht!« Die Lösung auf die Frage: »Wie kann es gehen?« sah so aus: Sie konnte sich jedes Jahr eine Woche von Beruf und Familie freimachen und wandern gehen. Im folgenden Jahr würde sie ihre Wanderung fortsetzen. So würde sie acht bis zehn Jahre brauchen. Auch auf diese Tatsache, die die Patientin eher bestürzte, gab es zur Reaktion ein Zauberwort: »Ja, und?« und eine neue Frage: »Welchen Vorteil hat das?« Sie würde sich in jedem Jahr wieder auf eine Auszeit freuen können, in der sie mit sich allein sein und neue Kräfte sammeln könnte.
Hier noch einmal eine kleine Tabelle der wenig hilfreichen Wörter und ihrer Antagonisten:
Sie können eine solche Tabelle mit Patientinnen erarbeiten und individuell um die Wörter erweitern, die durch eine besonders destruktive Sprache auffallen. Solche Menschen hören sich dabei oft klagend/aggressiv an, sie befinden sich in einer stabilen Opferposition. Hier ist für die Therapeutin Vorsicht geboten, schnell wird sie in der Übertragungsdynamik selbst zur Täterin. Die Arbeit mit Worten bringt für die Patientin eine Distanz zu ihrem Selbstbild. Nach einer Weile kann sie sagen: »So drücke ich mich ja oft aus?!« – und wir können den nächsten Schritt gehen.
Tab. 2.1: Hilfreiche Wörter
Böse WörterZauberworte
2.3 Methoden der Überraschung: Die Impact-Techniken
Das Wort Impact hat im Deutschen verschiedene Bedeutungen, nämlich Eindruck, Einschlag, Einfluss. Beim Golf wird so der Moment bezeichnet, in dem der Schläger den Ball trifft. Das ist sehr anschaulich: In diesem Moment geschieht etwas Neues (der Ball verlässt seine Ruheposition) und die Entscheidung fällt, in welche Richtung und wie weit er sich bewegen wird. Auf keinen Fall kann er in seinem alten Zustand verharren. Ist der Ball nicht getroffen, haben wir auch keinen Impact. In der Werbung ist der Impact der Anstoß zum Erfolg eines Produkts.
Es, kann zu sehr erfrischenden und entlastenden Momenten führen, die Impact-Techniken in der Psychotherapie anzuwenden. Sie können das Begreifen von Zusammenhängen erleichtern und neue Erkenntnisse und Entwicklungen ermöglichen. Sehr wirksam sind diese kleinen Zaubereien bei Kindern und Jugendlichen. Ich wende sie auch gerne bei Erwachsenen an, wenn diese in einem Gefühl feststecken. Die besondere Wirksamkeit besteht darin, dass zusätzliche Sinneseindrücke andere Reaktionen/Emotionen auslösen als rein sprachliche Interventionen. Es werden verschiedene Gedächtnisleistungen unterstützt, wir sprechen hier vom multi-sensorischem Lernen. Abstrakte Gedanken werden bildhaft gemacht. Erkenntnisse, die durch die Verbindung von konkreten Bildern und Emotionen entstehen, werden gut gespeichert und sind außerordentlich wirksam dabei, Veränderungen zu stabilisieren. Sowohl die Erkenntnisse als auch die Veränderungen müssen nach der Überraschung in den gesamten Therapieprozess integriert werden. Manchmal sind Wiederholungen und Varianten notwendig, gerade die Differenz dieser Wiederholungen spiegelt den Therapieprozess.
Die bekanntesten Impact-Techniken sind gleichzeitig meine Lieblingsübungen. Meine Quelle für folgende Beschreibungen ist das Buch der kanadischen Psychologin Danie Beaulieu (2005).
Übung: Was ist ein 50-Euroschein wert?
Die Impact Techniken bieten verblüffende Übungen für Menschen mit starker Selbstwertproblematik an. Die Vorstellung mit dem Geldschein beeindruckt Patienten außerordentlich. Dieser Effekt ist allerdings nicht wiederholbar, die meisten dieser Zauberübungen sind es nicht. In der Therapie werden Sie mit dem Ergebnis der Übung weiterarbeiten. Vielen von Ihnen wird diese Übung bekannt sein. Setzen Sie die Übung auch dann ein, wenn Sie nicht mit Kindern und Jugendlichen und nicht verhaltenstherapeutisch arbeiten, weil sie wirklich kleine Wunder bewirken kann.
Und so funktioniert es:
Sie nehmen also einen 50-Euro-Geldschein – er darf auch von höherem Wert sein, da die Patientin sich mit dem Wert identifizieren soll. Fragen Sie zuerst: »Wie viel ist dieser Schein wert?« Nach der etwas irritierten Antwort der Patientin nehmen Sie den Schein und zerknittern ihn tüchtig. Sie dürfen auch auf dem Schein herumtreten. Dann streichen Sie ihn glatt und zeigen ihn der Patientin wieder mit derselben Frage: »Wie viel ist dieser Schein wert?« Und siehe: Der Wert eines Geldscheines ist nicht davon abhängig, was mit ihm geschehen ist. Um wie viel mehr gilt das für Menschen. Vielleicht müssen Sie der Patientin den Schein später noch einmal zeigen. Geben Sie also den faltigen 50-Euroschein aus Ihrer Geldbörse in der Zwischenzeit nicht aus!
Übung: Der Text bleibt erhalten
Hier geht es um die Identität, die manche, besonders die traumatisierten Patienten glauben verloren zu haben. Nehmen Sie ein weißes Blatt mit einem Text. Dieser kann ganz neutral sein. Noch besser ist es, einen schönen, positiven Text zu finden, vielleicht ein Gedicht oder die ersten Paragrafen des Grundgesetzes. Wenn möglich, lassen Sie die Patientin diesen Text vorlesen. Dann verfahren Sie mit dem Blatt wie mit dem Geldschein. Am Ende lassen Sie die Patientin wieder vorlesen: Der Text ist geblieben. Das, was die Patientin auf die Welt mitgebracht hat, ist erhalten geblieben: der Wunsch nach und die Fähigkeit zu Kontakt ebenso wie Neugier und das Bedürfnis, die Welt kennenzulernen. Vielleicht sind manche Stellen schwerer zu lesen, manche Buchstaben gar unleserlich. Dann ist es ein Ziel der gemeinsamen (!) therapeutischen Arbeit, diese Lücken vorsichtig zu ergänzen.
Übung: Falten in der Paarbeziehung
Die letzte Übung mit dem weißen Blatt ist in gleicher Weise hilfreich für strittige Paare: Das glatte weiße Blatt zeigt den Beginn der Beziehung – eventuell auch da schon durch die Brille mit rosa Gläsern betrachtet. Dann kommen die ersten Knicke in das Blatt. Sie falten es ein paar Mal. Das ist die Realität, die Beziehung bleibt nicht ohne manchmal schmerzliche Erkenntnisse und Veränderungen. Wenn Sie das Paar gut kennen, können Sie auch einzelne Knicke benennen. Dann kam eine schwere Krise. Sie knüllen das Blatt zusammen. Sie können dann sagen: »Nun sind Sie hier, um diese Knitter wieder zu glätten. Sie können das Papier sogar bügeln, die Spuren werden bleiben. Sie machen jetzt die Besonderheit Ihrer Beziehung aus. Das Blatt gänzlich zu zerreißen, wäre die letzte Lösung.«
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