2. Elemente der Compliance-Organisation
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Aufbauend auf den von der Rechtsprechung entwickelten Prinzipien zur strafrechtlichen Haftung von Organen bzw. Unternehmen sind aus schweizerischer Sicht die folgenden Compliance-Maßnahmen zu empfehlen, wobei die Umsetzung risikoadäquat je nach Unternehmen, Tätigkeitsgebiet, Industrie, etc. anzupassen ist:
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Tone from the top: Die oberste Unternehmensleitung muss durch klare Anweisungen und entsprechende Prioritätensetzung aufzeigen, dass Rechtsverstöße nicht geduldet und Abweichungen diszipliniert werden. Die Unternehmensleitung muss eine Kultur der Compliance vorleben, was sich auch in der Festlegung von Zielvorgaben und Anreizstrukturen niederschlagen muss. |
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Risk Assessment: Compliance-Risiken sind systematisch und in geeigneten periodischen Abständen zu erfassen und zu aktualisieren. Sie sind qualitativ „top down“ (durch Managementgespräche) und „bottom up“ (durch Gespräche mit subalternen Mitarbeitern mit einschlägiger Risikoexposition) zu erfassen, bewerten und dokumentieren. Die qualitative Erfassung soll quantitativ durch die Analyse von Compliance-Indikatoren im Buchhaltungssystem (z.B. die Quote von Doppelzahlungen, die Quote schwer verfolgbarer Zahlungen mittels Scheck etc., die Quote von Cashtransaktionen, die Analyse von Cashbüchern etc.) ergänzt werden. |
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Interne Weisungen und Kontrollen: Es braucht – aufbauend auf dem Risk Assessment – risikoadäquate Weisungen und interne Policies, insbesondere auch über den Umgang mit (und Überprüfung von) Geschäftspartnern (Agenten, Konsulenten, Lieferanten, Dienstleistern, Wettbewerbern und Behörden) zur Vermeidung von Regelverstößen. Zahlungen müssen vom Nachweis erbrachter Leistungen und entsprechender Belege abhängen; Offshore- und Briefkastengesellschaften sollten als Geschäftspartner grundsätzlich gemieden bzw. Briefkastenadressen (ohne physische Räumlichkeiten, Angestellte, etc.) nicht akzeptiert werden. In dem Zusammenhang sind Weisungen und Kontrollen über den richtigen Umgang mit der Buchhaltung zu implementieren (keine Verfälschung von Belegen und Büchern, keine Buchung ohne wahren Beleg, Aufgreifen und Melden verdächtiger Belege, keine unverbuchten Transaktionen, Zugangskontrollen zum SAP-System, etc.). Für M&A-Transaktionen und Kreditgewährungen empfehlen sich Prozeduren zur Durchführung von „Compliance Quick Checks“ beim Zielunternehmen, um Compliance- und Haftungsrisiken im Zusammenhang mit Akquisitionen frühzeitig zu erkennen. |
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Training und Kommunikation: Die Mitarbeiter müssen durch stufengerechte Ausbildung ein hinreichendes Problem- und Risikobewusstsein entwickeln, um die internen Weisungen und Kontrollen richtig umsetzen zu können. Den Mitarbeitern sind Meldewege für das Aufgreifen verdächtiger Vorgänge und das Ansprechen von Compliance-Fragen klar zu kommunizieren. Auch Training und Kommunikation sind risikoadäquat periodisch zu wiederholen. |
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Monitoring und Reaktion auf Unregelmäßigkeiten: Compliance muss Thema interner Revisionen und Stichproben sein. Bei Auffinden eines Verdachtes besteht die Pflicht, den verdächtigen Prozess sofort einzufrieren und zu untersuchen. Weisungen und Standardprozesse zu internen Untersuchungen sind ebenfalls sinnvoll, insbesondere im Hinblick auf die mögliche Durchsuchung von unternehmensinternen E-Mails ohne zusätzliche Zustimmung betroffener Mitarbeiter. Die Compliance-Funktion muss sodann ausreichend personell besetzt und vom Linienmanagement unabhängig sein. Häufig ist es überdies sinnvoll, eine Whistleblowing-Hotline einzurichten, wobei soweit als möglich Maßnahmen zu treffen sind, um den Whistleblower als auch den Beschuldigten vor ungerechtfertigter Entlassung und anderen Nachteilen zu schützen. Hier ist allerdings anzumerken, dass Whistleblower im schweizerischen Arbeitsrecht bislang keinen besonderen Kündigungsschutz genießen, was mit ein Grund dafür sein dürfte, dass der Aufdeckung von Regelverletzungen durch Whistleblower zumindest in der Privatwirtschaft in der Praxis nur relativ beschränkte Bedeutung zukommt. |
2. Kapitel Grundlagen für Compliance› C. Schweiz› III. Korruptionsrecht
III. Korruptionsrecht
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Art. 322 ter–Art. 322 septiesdes schweizerischen Strafgesetzbuches sanktionieren Korruptionsdelikte im Zusammenhang mit schweizerischen und ausländischen Amtsträgern. Amtsträger sind Privatpersonen (z.B. Mitarbeiter privater Unternehmen), die öffentliche Aufgaben wahrnehmen, gleichgestellt. Was als öffentliche Aufgabe gilt, ergibt sich aus dem Verwaltungsrecht des betreffenden Staatswesens. Häufig handelt es sich dabei um Tätigkeiten in einem Monopolbereich, die keiner Wettbewerbswirtschaft auf dem freien Markt zugänglich sind oder um die Erfüllung öffentlichrechtlicher Leistungsaufträge (z.B. die Grundversorgung mit Spitzenmedizin sicherzustellen). Die Bestechung von Amtsträgern ist ein Offizialdelikt, d.h. diese Tat muss von Amtes wegen verfolgt werden.
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Es wird unterschieden zwischen Bestechung bzw. Bestechlichkeit, die im Erkaufen bzw. Verkaufen einer Ermessenshandlung oder aber einer illegalen Handlung besteht, und der sog. Vorteilsgewährung bzw. Vorteilsannahme. Diese besteht im Erkaufen bzw. Verkaufen entweder einer legalen, nicht im Ermessen stehenden Handlung (i.d.R. also der Beschleunigung routinemäßiger Amtshandlungen) oder aber im Erkaufen bzw. Verkaufen allgemeinen amtlichen Wohlwollens ohne Bezug zu einer konkreten Transaktion. Im letztgenannten Zusammenhang spricht man häufig von „Anfüttern“ oder „Klimaverbesserung“. Als „Kaufpreis“ bzw. „Verkaufspreis“ kommt nebst Geld jede Art von materiellen oder immateriellen Vorteilen in Frage (Einladungen, Geschäftsgelegenheiten, Ehrungen, etc.). Es reicht aus, sich die Vorteile versprechen zu lassen bzw. diese in Aussicht zu stellen. Voraussetzung ist, dass die Vorteile „ungebührlich“ sind, d.h., dass auf sie kein gesetzlicher Anspruch des Empfängers besteht.
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Vorteilsgewährungen (im Gegensatz zu Bestechungen) sind gegenüber ausländischen Beamten straflos, bei schweizerischen Amtsträgern hingegen strafbar. Allerdings ist es gerade bei ausländischen Amtsträgern in der Praxis häufig unmöglich, Bestechung und Vorteilsgewährung auseinanderzuhalten, weil sich aus den maßgeblichen Gesetzen nur selten klar ergibt, welche Handlungen amtliche Routinehandlungen sind oder aber im Ermessensbereich des Amtsträgers liegen (und damit der Bestechung zugänglich sind). Einschlägige Gesetzesbestimmungen sind gerade in als endemisch korrupt geltenden Ländern entweder nicht vorhanden, oder aber lückenhaft oder unklar. Bestechung und Vorteilsgewährung (bzw. Bestechlichkeit und Vorteilsannahme) sind auch strafbar, wenn sie indirekt über Mittelsleute (Agenten, Konsulenten, Lieferanten, die dem Bestechenden durch fiktive oder aufgeblasene Rechnungen einen Vorwand für die Auszahlung des Geldes liefern) erfolgen. Nicht strafbar ist hingegen der Handel mit Einflussnahme ( trading in influence, trafic d‚influence ), d.h. die Gewährung eines ungebührlichen Vorteils an einen Nichtamtsträger, damit dieser einen Amtsträger beeinflusst, ohne diesem jedoch den erhaltenen Vorteil weiterzuleiten oder zu versprechen. Per 1.7.2016 wurden die Bestimmungen über die Vorteilsgewährung verschärft, gem. Art. 322 quinquiesund Art. 322 sexiesist neu auch die Vorteilsgewährung zugunsten eines Dritten strafbar.
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Bestechung bzw. Bestechlichkeit von Amtsträgern wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe (maximal 360 Tagessätze zu maximal 3 000 CHF), Vorteilsgewährung mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. Unternehmen können nach den Regeln über das Unternehmensstrafrecht bei mangelhafter Compliance ebenfalls bestraft werden; der Strafrahmen geht bis zu 5 Mio. CHF-Buße (siehe oben Rn. 273). Bestechung und Bestechlichkeit von Amtsträgern sind als Verbrechen (d.h. als Delikte mit Strafandrohung von mehr als drei Jahren Freiheitsstrafe) Vortaten zur Geldwäscherei.
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