[12]
Haas Die Theorie der Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S. 37.
[13]
Haas Die Theorie der Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S. 39.
G. Verlust des objektiven Tatbezuges der Tatherrschaftslehre
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Weiterhin wird der Tatherrschaftslehre der Verlust eines objektiven Tatbezugs vorgeworfen.[1] Unter objektivem Tatbezug wird die Einordnung der Tatherrschaftslehre in den objektiven Deliktstatbestand verstanden. Dieser Einwand wird in erster Linie auf die Anwendung der Äquivalenztheorie im Rahmen des objektiven Tatbestandes zurückgeführt. Die Äquivalenztheorie gehe von der Gleichwertigkeit sämtlicher Bedingungen auf der objektiven Ebene aus. Der Verursachungsbeitrag des Teilnehmers führe also ebenso zum Erfolg wie derjenige des Täters. Es stelle sich dann aber die Frage, warum nur dem Täter Handlungsherrschaft zugesprochen werde, wenn doch sämtliche Bedingungen – und damit auch der Tatbeitrag des Teilnehmers – gleich seien. Auf der Basis der Äquivalenztheorie sei es im Grunde nicht möglich, bereits auf der objektiven Ebene zu einer Abgrenzung von Handlungsherrschaft und bloßen Teilnahmehandlungen zu kommen.[2] Es bleibe allein der Ausweg, die verschiedenen Tathandlungen nach ihrer unterschiedlichen Gefährlichkeit einzustufen, wonach dann Täter derjenige sei, dessen Tathandlung die größere Gefährlichkeit aufgewiesen habe. Dieser Weg habe jedoch zur Konsequenz, dass die solchermaßen definierte Tatherrschaft zu einer von der objektiven Tatbegehung losgelösten Eigenschaft des Täters werde.[3] Dies führe allerdings zu einem reinen Gesinnungsstrafrecht.[4] Insgesamt sei hieran der Verlust des objektiven Tatbezuges der Tatherrschaftslehre abzulesen.
Auch Kriterien der objektiven Zurechnung seien nicht geeignet diesem Problem abzuhelfen.[5] Es werden nämlich grundlegende Einwände gegen die Lehre von der objektiven Zurechnung gesehen. Diese werden vornehmlich an dem Kriterium des unerlaubten Risikos fest gemacht. Dessen Anwendung führe zwangsläufig dazu, dass unterschiedliche Bedingungen bereits auf der objektiven Ebene nicht als gleichwertig angesehen werden könnten, denn anders lasse sich nicht erklären, warum das vom Täter geschaffene unerlaubte Risiko ein anderes sein solle als das des Teilnehmers. Ein solches Verständnis lasse sich jedoch nicht mit der Äquivalenztheorie, die von einer objektiven Gleichwertigkeit aller Bedingungen ausgehe und auf deren Erkenntnissen die Lehre von der objektiven Zurechnung fuße, in Einklang bringen.[6]
Insgesamt sei es also nicht möglich, auf der objektiven Ebene ein dogmatisches Kriterium festzulegen, das geeignet sei, täterschaftliches Handeln von Teilnehmerhandeln zu unterscheiden. Ein solches Kriterium könne allenfalls beim Täter persönlich gefunden werden. Dies berge für sich genommen allerdings wiederum die Gefahr, dass Tatherrschaft zu einer bloßen Gesinnung entwertet würde.[7] Das Kriterium der Tatherrschaft weise demnach insgesamt keinen ausreichenden Bezug zur objektiven Tatseite auf, sondern müsse vielmehr in einer Zwischenebene zwischen objektivem und subjektivem Tatbestand eingeordnet werden.[8]
Dieser Einwand, der sich mit einem Verlust des objektiven Tatbezugs der Tatherrschaftslehre auseinandersetzt, weist einen inhaltlichen Zusammenhang zu der Kritik auf, die gegen das Kriterium der Handlungsherrschaft vorgetragen wird. Auch hier geht es um die Problematik, dass auf der Basis der Äquivalenztheorie Tatbeiträge von unterschiedlicher Intensität dazu in der Lage sind, den tatbestandlichen Erfolg zu verursachen. Dies verhindere eine Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme auf objektiver Tatbestandsebene, weil sich die maßgebliche Tatbestandshandlung nicht konkret definieren lasse.
Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung von Tatherrschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung lässt sich dieser Einwand gegen die Tatherrschaftslehre nur dann entkräften, wenn es gelingt, aus dem Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO eine konkrete Tatbestandshandlung abzuleiten, deren Vornahme zwingend zu einer täterschaftlichen Verantwortung führt. Sollte dies gelingen, wäre eine Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme im Rahmen der Steuerhinterziehung bereits auf objektiver Ebene möglich und der Vorwurf, die Tatherrschaftslehre leide an einem Verlust des objektiven Tatbezuges, ließe sich insoweit für die Fälle des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO entkräften.
[1]
Haas Die Theorie der Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S. 40 ff.
[2]
Haas Die Theorie der Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S. 41 f.
[3]
Haas Die Theorie der Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S. 42.
[4]
Haas Die Theorie der Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S. 43.
[5]
Haas Die Theorie der Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S. 43 ff.
[6]
Haas Die Theorie der Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S. 45 f.
[7]
Haas Die Theorie der Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S. 42 f.
[8]
Haas Die Theorie der Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S. 46 f.
H. Zwischenfazit zur neuesten Kritik an der Tatherrschaftslehre
26
Auch die Einwände gegen die Tatherrschaftslehre, die sich vornehmlich mit den rechtsdogmatischen Grundlagen dieser Täterlehre auseinandersetzen, lassen sich möglicherweise auf das Steuerstrafrecht übertragen und werfen dort die Frage nach der Tauglichkeit des Tatherrschaftskriteriums im Rahmen der Steuerhinterziehung auf. Von Interesse ist hierbei zunächst, ob für die Anwendung der Tatherrschaftslehre auf die Steuerhinterziehung eine normative Einordnung des Tatherrschaftskriteriums notwendig ist und wie eine solche sich unter Umständen herleiten ließe. Sodann ist klärungsbedürftig, ob im Rahmen der funktionellen Tatherrschaft des Mittäters allein auf das eigene Tatverhalten des potentiellen Mittäters abgestellt werden kann, oder ob es darüber hinaus einer Zurechnung fremder Verursachungsbeiträge bedarf und inwieweit eine derartige Verhaltenszurechnung überhaupt möglich ist. Schließlich gibt diese Kritik Anlass zu der Untersuchung, ob sich im Rahmen der Steuerhinterziehung ein konkretes Tatverhalten definieren lässt, welches eine Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme bereits auf der objektiven Tatbestandsebene ermöglicht und daher den Vorwurf entkräftet, die Tatherrschaftslehre leide an einem Verlust des objektiven Tatbezuges.
Teil 3 Neueste Kritik an der Tatherrschaftslehre› H. Zwischenfazit zur neuesten Kritik an der Tatherrschaftslehre› I. Tatherrschaft bei „Verursachungsdelikten“
I. Tatherrschaft bei „Verursachungsdelikten“
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Die Kritik an der Tatherrschaftslehre setzt sich wiederholt mit der Frage auseinander, wie sich Tatherrschaft bei sogenannten Verursachungsdelikten verhält.[1] In diesem Bereich ähneln sich die Argumentationsmuster von Rotsch und Marlie .[2] Unter dem Begriff „Verursachungsdelikt“ wird auch bei Rotsch ein Tatbestand verstanden, bei dem es für die Deliktsbeschreibung nicht auf eine konkrete Tatbestandshandlung, sondern ausschließlich auf die Verursachung des tatbestandlichen Erfolges ankommen soll.[3] Eine der Kernthesen besteht hierbei darin, dass sich der ganz überwiegende Teil aller Straftatbestände des Strafgesetzbuches nur als reine Verursachungsdelikte interpretieren ließen.[4] Dieser Umstand führe zu erheblichen Problemen im Rahmen der Täterlehre.[5]
Ansatzpunkt der Analyse dieses Problems ist die „Relativität des Tatherrschaftsbegriffes“. Darunter wird die Abhängigkeit der Tatherrschaft von dem tatbestandsmäßigen Geschehen verstanden. Tatherrschaft lasse sich nur dann adäquat bestimmen, wenn vorab feststehe, welches Verhalten der Täter beherrschen müsse, um Tatherrschaft zu haben und damit Täter zu sein.[6] Diese Grundvoraussetzung der Tatherrschaftslehre werde von ihren Anhängern jedoch in zweifacher Hinsicht missachtet. Dies äußere sich zum einen darin, dass Täterschaft bei Anwendung der Tatherrschaftslehre weitgehend „wertend“ und „ohne Maßstab“ bestimmt werde.[7] Grund hierfür soll sein, dass bei Verursachungsdelikten nicht auf ein konkret eingrenzbares Verhalten, das beherrscht werden müsse, abgestellt werden könne. Zwingende Folge aus diesem Umstand sei, dass der gesamte Kausalverlauf beherrscht werden müsse, um von Tatherrschaft sprechen zu können, weil ein einzelnes Verhalten nicht abstrakt festgelegt werden könne. Problematisch hieran sei jedoch, dass der „gesamte Kausalverlauf“ eines Deliktes keinen ohne weiteres bestimmbaren Anfang habe, weil sich die Kausalkette auf der Basis der Äquivalenztheorie bis ins Unendliche ausdehnen lasse. Dennoch oder gerade deswegen bedürfe es einer Eingrenzung, welches Verhalten beherrscht werden müsse. Diese Eingrenzung könne bei Anwendung der Tatherrschaftslehre nur in der Tatherrschaft selbst gesehen werden, weil die Tatherrschaftslehre darüber hinaus kein weiteres Abgrenzungskriterium anbiete. Das Kriterium der Tatherrschaft diene also zusätzlich dazu, das Verhalten einzugrenzen, welches beherrscht werden müsse. Vor dem Hintergrund, dass der Begriff der Tatherrschaft für sich genommen jedoch inhaltsleer und damit ausfüllungsbedürftig sei, könne eine derartige Eingrenzung nicht objektiv, sondern allenfalls „wertend“ und „ohne trennscharfen Maßstab“ bestimmt werden.[8] Dies sei der erste Umstand, den die Anhänger der Tatherrschaftslehre bei Anwendung des Tatherrschaftsgedankens auf Verursachungsdelikte nicht beachteten.
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