5. Rechtsfolgen der Vorsatztat
102
Das LFGB droht für die vorsätzliche Erfüllung der Straftatbestände der §§ 58, 59 LFGB sowohl Freiheits- als auch Geldstrafe an. Die Verhängung und Bemessung dieser Sanktionen richtet sich nach den §§ 38 ff. StGB. Dabei sind nach § 46 Abs. 2 StGB viele verschiedene Faktoren wie die Folgen der Tat oder die kriminelle Energie zu berücksichtigen.[271]
103
Bei der Strafzumessung können nach der Judikatur des BGH zum Lebensmittelstrafrecht die außerstrafrechtlichen Folgen der Tat für den TäterBerücksichtigung finden. Zwar wirken z.B. „ nachteilige, typische und vorhersehbare Folgen für den Täter“ danach „nicht schlechthin strafmildernd“ , da derjenige, der bei der Tat bestimmte Nachteile bewusst in Kauf nehme, regelmäßig keine Strafmilderung verdiene, wenn diese Folgen eintreten.[272] Jedoch sei eine Strafmilderung möglich, wenn der Täter durch besonderen medialen Druck, der weit über den hinausgehe, den jeder Straftäter zu erdulden hat, dessen Fall in der Öffentlichkeit steht, und damit verbundene Emotionalisierung und Vorverurteilung einer erheblichen seelischen Belastung ausgesetzt gewesen sei. Gleiches gelte dann, wenn der Täter aufgrund der Tat selbst wirtschaftliche Nachteile erleidet, die über die durch die Wiedergutmachung der Tatfolgen verursachten Vermögensaufwendungen weit hinausgehen.[273] Im Hinblick auf § 46 Abs. 3 StGB darf die Begehung der Tat im Kontext mit einem Lebensmittelunternehmen nicht strafschärfend berücksichtigt werden; gegen eine Strafschärfung wegen der Stellung des Täters als Inhaber des Lebensmittelunternehmensoder dafür Verantwortlicher bestehen jedoch solange keine Einwände, wie es sich nicht um Sonderdelikte handelt, die Unternehmereigenschaft also nicht bereits Merkmal des Straftatbestandes ist.[274]
VII. Das Fahrlässigkeitsdelikt im Lebensmittelstrafrecht
104
Die fahrlässige Begehung einer der in § 58 Abs. 1 bis 3 LFGB genannten Handlungen ist durch § 58 Abs. 6 LFGB mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr und mit Geldstrafe bedroht. Die Erfüllung der Ordnungswidrigkeitentatbestände des § 60 LFGB ist bei fahrlässigem Handeln ebenfalls mit Geldbuße bedroht.
105
Die Begehung der Taten nach § 58 Abs. 1-3 LFGB ist nach § 58 Abs. 6 LFGB strafbar. Die fahrlässige Verwirklichung der Tatbestände der § 59 Abs. 1-3 LFGB ist nach § 60 Abs. 1 LFGB mit Geldbuße bedroht. Gleiches gilt für die in § 60 Abs. 2–4 LFGB normierten Handlungen.
106
Bei der Fahrlässigkeit wird unterschieden zwischen der unbewussten Fahrlässigkeit, bei der sich der Täter des Risikos der Tatbestandsverwirklichung nicht bewusst ist, obwohl er die Gefahr hätte erkennen können, und der bewussten Fahrlässigkeit, bei der der Täter die Möglichkeit der Tatbestandserfüllung zwar erkannt hat, diese Eventualität aber nicht ernst genommen und unberechtigter Weise auf ein Ausbleiben des Erfolges vertraut hat.[275]
107
Bei der Fahrlässigkeit kann weiterhin zwischen einfacher Fahrlässigkeitund Leichtfertigkeitdifferenziert werden. Letztere ist gegeben, wenn der Täter bei seiner Handlung die sich ihm aufdrängende Möglichkeit der Tatbestandserfüllung aus Leichtsinn oder besonderer Gleichgültigkeit außer Acht lässt und damit eine schwerwiegende Pflichtverletzung begeht.[276] Die Leichtfertigkeit ist als Tatbestandsmerkmal in den Strafvorschriften des Lebensmittelstrafrechts nicht mehr enthalten.[277]
2. Allgemeine Sorgfaltspflichten im Lebensmittelrecht
108
Die Fahrlässigkeit beinhaltet zum einen die Pflichtwidrigkeitund zum anderen die Vorhersehbarkeitdes Erfolgseintritts.[278] Der Schwerpunkt liegt in der Praxis regelmäßig auf der Frage nach der Bestimmung der anzuwendenden Sorgfalt. Nach der zivilrechtlichen Rechtsprechung handelt sorgfältig i.S.d. § 276 BGB, wer sich so verhält, wie es von einem gewissenhaften und besonnenen Angehörigen des entsprechenden Verkehrskreises unter Berücksichtigung seiner konkreten Situation und sozialen Rolle zu erwarten ist.[279] Gegenstand der Sorgfaltsbeurteilung kann dabei zum einen das Handeln in der konkreten Situation sein, die der gesetzliche Tatbestand beschreibt. Zum anderen kann die Übernahme einer bestimmten Aufgabe sorgfaltswidrig sein, wenn der Handelnde erkennen musste, dass er den zu erfüllenden Anforderungen nicht gewachsen ist (sog. Übernahmefahrlässigkeit/Übernahmeverschulden).[280]
a) Im Verkehr mit Lebensmitteln erforderliche Sorgfalt
109
Jeden Unternehmer, der mit der Herstellung, dem Import, Transport oder dem Handel mit Erzeugnissen befasst ist, trifft gleichermaßen die Verpflichtung, im Rahmen seiner Möglichkeitenunter Berücksichtigung seiner Funktion als Hersteller, Groß- oder Einzelhändler etc. dafür zu sorgen, dass bei seiner Tätigkeit die Vorgaben des Lebensmittelrechts eingehalten werden und die Beschaffenheit, Bezeichnung, Bewerbung etc. der Erzeugnisse rechtmäßig sind; hierbei sind strenge Anforderungen zu stellen.[281] Bei Bestimmung der von einem besonnenen und gewissenhaften Lebensmittelunternehmer zu erfüllenden Sorgfaltsanforderungen ist auf die nationalen und europäischen lebensmittelrechtlichen Vorschriften, die Verkehrsauffassung, Handelsbräuche und ähnliche Erfahrungswerte zurückzugreifen.
110
Bei der Bestimmung der Pflichtenhöhesind stets der Rechtsgutsbezug und das Verhältnismäßigkeitsprinzip[282] zu beachten; das bedeutet, dass die auferlegte Pflicht durch die Bedeutung der durch sie geschützten rechtlichen Interessen sowie deren konkrete und abstrakte Bedeutung gerechtfertigt sein muss.[283] Hier ergibt sich eine Rangfolge der Schutzgüter und Pflichten, weil im Hinblick auf den Schutz der Gesundheit große Anstrengungen zumutbar sind und sich diese weiterhin erhöhen, je näher ein Unterlassen der Anstrengung an eine Gesundheitsgefährdung für den Verbraucher heranrückt. Pflichten zum Schutz vor Täuschung haben dagegen eine immer noch erhebliche, aber geringere Bedeutung, hinter der die Pflichten zur ordnungsgemäßen Information des Verbrauchers oder zum Schutz des reibungslosen Ablaufs des Kontrollverfahrens wiederum zurücktreten.
111
Die zu erfüllenden Pflichten hängen auch davon ab, welcher Art das Unternehmen ist[284] und auf welche Weise der Unternehmer ein Risiko verursachtund beherrschenkann. Daher treffen den Hersteller deutlich strengere, aber auch andere Pflichten als den Händler.[285] Bei Händlern ist zwischen Groß- und Einzelhändlern zu differenzieren und hier wiederum nach der Betriebsgröße.[286] Ferner geben auch die jeweiligen Lebensmittel, ihre Verderblichkeit oder Verpackung die Art und den Umfang der Pflichten vor, insbesondere inwiefern Stichproben zu nehmen sind.[287] Bei der Bestimmung der Pflichten, die z.T. zu erheblichen finanziellen Belastungen der Unternehmen führen, sind auch wirtschaftliche Erwägungen mit in die Abwägung einzubeziehen, wenngleich diese Aspekte nach der Rechtsprechung grundsätzlich nur einen untergeordneten Rang einnehmen.[288]
b) Allgemeine haftungsbestimmende Faktoren im Lebensmittelstrafrecht
112
Faktoren, die die Sorgfaltspflichten eines jeden Lebensmittelunternehmers bestimmen, ergeben sich im Lebensmittelstrafrecht aus unterschiedlichen Kriterien, die die hergestellten, behandelten oder in Verkehr gebrachten Erzeugnisse selbst betreffen. So ist die konkrete Beschaffenheit und Artsowie der bestimmungsgemäße oder übliche Gebrauchdes Erzeugnisses für die zu stellenden Sorgfaltsanforderungen maßgeblich: Je wahrscheinlicher ein Abweichen des konkreten Erzeugnisses von den Vorgaben des Lebensmittelrechts ist, desto strenger sind die Sorgfaltsanforderungen. Relevant ist daher insbesondere die Art und Weise der Herstellung, so dass an die Kontrolle automatisiert hergestellter Erzeugnisse andere Anforderungen zu stellen sind als an die von handwerklich hergestellten Produkten. Ferner können die Sorgfaltspflichten von Faktoren wie Verpackung, Vertriebsmengeoder Vertriebswegbeeinflusst werden, da hiervon die Häufigkeit und die Art der Regelwidrigkeiten abhängen.[289] Eine größere Eignung des konkreten Erzeugnisses, die Schutzgüter des Lebensmittelrechts zu gefährden, führt zu einer Steigerung der Sorgfaltsanforderungen. Eine geringe Wahrscheinlichkeit eines Verstoßes gegen das Lebensmittelrecht lässt es zu, die Anforderungen an die Sorgfalt im unternehmerischen Umgang mit dem Erzeugnis niedriger anzusetzen.[290] Weiterhin können in der Vergangenheit aufgetretene Verstöße gegen das Lebensmittelrecht Einfluss auf die Sorgfaltsanforderungen haben.[291]
Читать дальше