3. Allgemein- und Sonderdelikte
a) Allgemeindelikte
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Bei den Sanktionsvorschriften der §§ 58 ff. LFGB handelt es sich grundsätzlich nicht um Sonderdelikte, sondern um Allgemeindelikte.[244] Die Streichung des Gewerbsmäßigkeitsbegriffs in den Verbotstatbeständen des LFGB[245] durch das 1. ÄndG wurde zwar damit begründet, dass der Begriff der Gewerbsmäßigkeit aufgrund des eingeschränkten Geltungsbereichs des LFGB überflüssig sei,[246] so dass ohnehin nur ein Handeln mit Bezug zu dem durch § 1 Abs. 1 LFGB bestimmten gesetzlichen Schutzbereich als tatbestandlich angesehen werden kann. Dies führt jedoch nicht dazu, dass nur Täter in einer Sonderstellung die Taten begehen können, vielmehr berühren nur Tathandlungenden Schutzbereich, die nicht nur im privaten Kontexterfolgen ( Rn. 68). Diese Art der Tatbegehung ist ein tatbezogenesMerkmal, kommt es doch zum einen auf die Begehung der Tat aus dem Unternehmenskontext und zum anderen auf die Wirkung der Tat auf den Verbraucher an.
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Der Begriff der Gewerbsmäßigkeitwurde allerdings nicht durchgängig aus den Vorschriften des Lebensmittelstrafrechts gestrichen. So droht § 26 Abs. 1 Nr. 2 Diätverordnung (DiätV) die Strafbarkeit nach § 58 Abs. 1 Nr. 18, Abs. 4 bis 6 LFGB für das gewerbsmäßige Inverkehrbringen von Lebensmitteln unter Verstoß gegen bestimmte Vorschriften der DiätV an. Gewerbsmäßigkeit ist hierbei jedoch nicht i.S.d. StGB zu verstehen,[247] vielmehr erfordert dieses Merkmal im Lebensmittelstrafrecht einen Zusammenhang der Tat mit einer unternehmerischen Tätigkeiti.S.v. Art. 3 Nr. 2 bzw. Nr. 6 BasisVO.
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Sonderdelikte sind im Lebensmittelstrafecht dennoch enthalten, soweit der jeweilige Sanktionstatbestand auf besondere Unternehmerpflichtenverweist, wie z.B. auf Pflichten nach Art. 19 oder 20 BasisVO. Nur der, den diese Pflicht zur Errichtung von Informationssystemen oder zur Auskunftserteilung (vgl. Rn. 178) persönlich trifft oder auf den die Pflichterfüllung gem. § 14 StGB oder § 9 OWiG übergeleitet ist, kann diese Sanktionstatbestände erfüllen.[248]
4. Täterschaft und Teilnahme
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Auch im Hinblick auf Täterschaft und Teilnahme (§§ 25 ff. StGB) weist das Lebensmittelrecht die allgemein wirtschaftsstrafrechtliche Besonderheit auf, dass Handlungen sanktioniert werden, die typischerweise in hierarchisch organisierten Strukturenbegangen und die Entscheidungenvielfach von Gremiengetroffen werden.[249] Es gelten hier die allgemeinen Lehren von Täterschaft und Teilnahme.
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Täter ist, wer die Straftat selbst oder durch einen anderen begeht (§ 25 Abs. 1 StGB). Mittäterschaft liegt vor, wenn mehrere die Straftat gemeinschaftlich begehen (§ 25 Abs. 2 StGB). Für die Mittäterschaft(§ 25 Abs. 2 StGB) in Unternehmen haben der Vertrauensgrundsatz und Gremienentscheidungen[250] besondere Bedeutung. Hinsichtlich der Verantwortlichkeit innerhalb von Unternehmensstrukturen wird von der Rechtsprechung eine weitgehende Normativierung vorgenommen, die dazu führen kann, dass ein für den Betrieb eines Unternehmens formalrechtlich zuständiges Organmitglied aufgrund interner Aufgabenverteilung keine Verantwortung für ein Handeln oder Unterlassen der Geschäftsführung trifft, soweit sich die Entscheidung nicht auf seinen Geschäftsbereich bezieht, weil nicht jeden Entscheidungsträger im Unternehmen die Pflicht zur Kontrolle anderer Entscheidungsträger trifft.[251]
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Anders ist dies nach dem BGH[252] jedoch in Krisensituationen, insbesondere bei Rückrufentscheidungen oder einer anderen grundlegenden Entscheidung über Produkte, deren Aufmachung, Herstellung etc.; hier entsteht eine Allzuständigkeit[253] der Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs.[254] Solange aber jedes Mitglied der Geschäftsführung lediglich in seinem Bereich seine Pflichten erfüllt und keinen Anlass hat, an der Pflichterfüllung durch andere Organmitglieder auf deren jeweiligen Gebieten zu zweifeln, darf jeder der Beteiligten auf die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung durch den jeweils anderen vertrauen.[255]
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Eine Begehung eines lebensmittelstrafrechtlichen Delikts als mittelbarer Täter, also durch einen anderen, kommt insbesondere in Irrtumskonstellationen in Betracht. Ferner ist die Begehung in mittelbarer Täterschaft innerhalb eines Lebensmittelunternehmens auch im Wege der sog. Organisationsherrschaft[256] denkbar.
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Darüber hinaus kommt im Lebensmittelstrafrecht als typisches Strafrecht für Taten aus Unternehmen eine Haftung des Inhabers oder Entscheidungsträgers als Unterlassungstäter (Geschäftsherrnhaftung) in Betracht.[257] Gefahren strafrechtlicher Verantwortlichkeit können hier sowohl durch das Verhalten von Mitarbeitern, als auch durch nicht lebensmittelrechtskonforme Erzeugnisse drohen. Die Begründung der Garantenpflicht des Geschäftsherrn ist heftig umstritten, jedoch ist nach den Entscheidungen des BGH zu den Berliner Stadtreinigungsbetrieben[258] und zum Mobbing in der Solinger Baukolonne[259] wohl weitgehend unstreitig, dass eine Garantenstellung des Geschäftsherrn grundsätzlich bestehen kann. Erforderlich ist eine betriebsbezogene Pflichtverletzung des unmittelbar Handelnden, die die Straftat begründet.[260]
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Als Beteiligungsform kommt insbesondere die Beihilfein Betracht. Die Rechtsprechung hat im Lebensmittelstrafrecht etwa das Liefern von Mitteln zur Verfälschung oder unzulässigen Behandlung von Lebensmitteln als Beihilfehandlungen angesehen.[261] In subjektiver Hinsicht setzt Beihilfe zumindest Eventualvorsatz voraus, der die wesentlichen Dimensionen des Unrechts erfassen muss;[262] Kenntnis hinsichtlich der Einzelheiten der Tat ist dagegen nicht erforderlich.[263]
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Bei der Beihilfe spielt im Lebensmittelstrafrecht das berufsadäquateoder berufsneutraleHandeln eine besondere Rolle.[264] Darunter wird ein Handeln verstanden, das äußerlich keinen eigenen Unrechtsbezug aufweist, wie etwa das Liefern von zulässigen Zutaten für Lebensmittel, mithin eine „Alltagshandlung“ ist, aber objektiv einen Beitrag zur Begehung der Straftat liefert.[265] Der BGH hat eventualvorsätzliche neutrale Alltagshandlungen regelmäßig nicht als strafbare Beihilfe angesehen.[266] Jedoch sollen Alltagshandlungen ihre Neutralität verlieren, wenn sie auf die Begehung der Haupttat abzielen (deliktischer Sinnbezug), der Handelnde um die Beitragsleistung zu der Haupttat weiß und die Handlung damit eine Solidarisierung mit dem Täter darstelle.[267] Ferner gehe die Neutralität verloren, wenn der Handelnde es für möglich hält, dass sein Handeln zur Haupttat beiträgt und das „von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten […] derart hoch [war], dass er sich mit seiner Hilfeleistung‚ die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein‚ ließ“ .[268]
c) Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme
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Als Täter kommen im Lebensmittelstrafrecht der Unternehmensinhaber, die Organe eines Verbandes und leitende Angestellte, aber auch jeder Mitarbeiter in Betracht. Begehen Personen eine Tathandlung auf Weisung von betrieblichen Vorgesetzten, so steht dies ihrer Täterschaft nicht entgegen. Insofern hängt die Beurteilung im konkreten Einzelfall insbesondere davon ab, welche Verantwortung dem unmittelbar Handelnden übertragen ist und inwiefern er seine Aufgaben, deren Wahrnehmung mit der Tatbegehung zusammenhängen – z.B. beim Verkauf oder der Überwachung der Lebensmittelherstellung[269] – selbstständig wahrnimmt.[270]
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