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Die Anforderungen, die an die Entnahme von Stichproben gestellt werden, weichen jedoch für die unterschiedlichen Unternehmen, Produktionsstufen und Produkte erheblich voneinander ab, so dass keine allgemeinen Regeln benannt werden können,[315] sondern lediglich die Aussage getroffen werden kann, dass die Anzahl und Auswahl der Proben einen repräsentativen Querschnitt der zu untersuchenden Lebensmittelnach Art und Menge bedeuten und nach den Umständen des Einzelfalls zu bestimmen sind.[316] Selbst für konkrete Erzeugnisse fiele es schwer, die Vorgaben für Stichproben in einem generell-abstrakten Rechtssatz einer Verordnung festzuschreiben,[317] da bei der Kontrolle der Waren die Art des zu untersuchenden Stoffs, sein Charakter, die zu untersuchende Eigenschaft und vieles mehr von Bedeutung sein können.[318] Als Maßstab für die Dichte und Häufigkeitsind insbesondere die Gefahrenheranzuziehen, die das Versagen der Kontrolle zur Folge hätte, auch im Hinblick auf die typische Zielgruppe des Produkts, ferner erfahrungsgemäß vorkommende Mängel, übliche Anbau- und Erntemethoden im Herkunftsland oder auch die Gesamtaufmachung.[319]
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Die Frage, ob der Unternehmer auch dann verpflichtet ist, das Ergebnis einer Untersuchung eines Lebensmittels auf seine lebensmittelrechtliche Sicherheit abzuwarten, wenn das Erzeugnis darüber zu verderben droht, etwa im Falle der Untersuchung frischer Früchte, berührt das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Bestehen Anhaltspunkte für Gesundheitsgefahren, so ist das Abwarten der Ergebnisse verhältnismäßig. Ist es jedoch möglich, die Ware rechtzeitig vor dem endgültigen Inverkehrbringen wieder aufzufinden, ohne dass Gesundheitsgefahren auftreten, so dürfte eine Verhinderung der Lieferung bis zum Vorliegen der Prüfungsergebnisse unverhältnismäßig sein.[320] Darüber hinaus darf das Abwarten wohl dann für verhältnismäßig gehalten werden, wenn der Lieferant noch nicht hinreichend bewährt ist.
h) Rückrufpflichten und Pflicht zur Kooperation mit den Überwachungsbehörden
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Stellt der Unternehmer aufgrund der von ihm oder Dritten durchgeführten Untersuchungen fest, dass ein Lebensmittel nicht den rechtlichen Vorgaben entspricht, so ergibt sich neben der Pflicht, das (weitere) Herstellen oder Inverkehrbringen des Lebensmittels zu unterlassen, eine Rückrufpflicht und die Pflicht zur Kooperation mit den Überwachungsbehörden[321] (zu weitergehenden Pflichten siehe Rn. 166 ff.). Die Garantenpflichtzur Verhinderung drohender Rechtsverletzungen ergibt sich nach der Judikatur des BGH[322] bereits aus der mit dem Inverkehrbringen des regelwidrigen Lebensmittels verbundenen Gefahrschaffung. Verletzt der Unternehmer seine Rückrufpflichten, so kommt im Falle des Eintritts eines Gesundheitsschadens bei einem Verbraucher eine Strafbarkeit nach §§ 223 ff. StGB in Betracht; ferner ist eine Sanktionierung nach § 59 Abs. 2 Nr. 1c oder 1d LFGB denkbar. Damit ergibt sich für jeden Unternehmer nicht nur die Pflicht, seine Produkte vor dem Inverkehrbringen zu kontrollieren, sondern das Strafrecht und die europarechtlichen Vorgaben zwingen auch zur Überwachung von Erzeugnissen, die bereits im Markt sind ( Rn. 127).[323]
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Auch das Unionsrechtnormiert ausdrücklich eine strafbewehrte Rückrufpflicht( Rn. 163 f.) für alle an der Handelskette beteiligten Unternehmer, und zwar auf allen Handelsstufen (vgl. Art. 19 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 S. 1 BasisVO) für unsichere Lebens- und Futtermittel, die hinsichtlich Lebensmitteln folgende Stufen umfasst:
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Ist das Produkt bereits in den Markt, aber noch nicht zum Verbraucher gelangt, so ist der Unternehmer verpflichtet, die Ware aus dem Markt zu nehmen und die zuständige Behörde zu unterrichten (Art. 19 Abs. 1 S. 1 BasisVO; Rn. 165 ff.). Im Rahmen einer Rücknahme-/Rückrufaktion hat der Unternehmer dagegen die Öffentlichkeit zu informieren, wenn die Möglichkeit besteht, dass das Produkt schon an die Verbraucher gelangt ist (Art. 19 Abs. 1 S. 2 BasisVO). Darüberhinausgehende Maßnahmenhat der Unternehmer einzuleitenund die zuständige Behördedarüber zu informieren, wenn die Gefahr besteht, dass das Produkt bei Menschen zu Gesundheitsschäden bzw. -gefährdungen führen könnte (Art. 19 Abs. 3 BasisVO). Auch „Lebensmittelunternehmer, die für Tätigkeiten im Bereich des Einzelhandels oder Vertriebs verantwortlich sind, die nicht das Verpacken, das Etikettieren, die Sicherheit oder die Unversehrtheit der Lebensmittel betreffen“ , verpflichtet das Unionsrecht in Art. 19 Abs. 2 S. 1 BasisVO dazu, mit den zuständigen Überwachungsbehörden zu kooperieren.
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Mit den Regelungen des Art. 19 BasisVO wird deutlich, dass das Unionsrecht nicht an alle Unternehmer im Lebensmittelrecht identische Anforderungen im Bereich der Rückrufpflichten stellt. Die geforderten Maßnahmen im Falle der Erkennung von Risikoprodukten sind von der spezifischen Tätigkeit des Unternehmers abhängig. Den Hersteller, Importeur und Verpacker trifft eine Produktbeobachtungs-und Rückrufpflicht, auch wenn sich das Produkt nicht mehr in seinem Einflussbereich befindet. Diese Verantwortung endet dort, wo ein anderer Lebensmittelunternehmer durch selbstständige pflichtwidrige Handlungen die Sicherheit des Lebensmittels beeinträchtigt.[324] Der nicht unmittelbar auf die Lebensmittel einwirkende Unternehmer muss zwar auch das unsichere Produkt vom Markt nehmen, darüber hinaus aber nur kooperieren, um die Rückverfolgbarkeit der Lebensmittel zu gewährleisten. Insofern besteht eine gestufte Verantwortung, die den Hersteller und Importeur besonders in die Pflicht nimmt.[325]
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Nach Art. 19 Abs. 1 S. 1 BasisVO hat der Lebensmittelunternehmerfür den Fall, dass er Kenntnis davon oder Grund zu der Annahme hat, dass ein von ihm eingeführtes, erzeugtes, verarbeitetes, hergestelltes oder vertriebenes Lebensmittel den Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit (Art. 14 BasisVO) nicht entspricht, unverzüglich ein Verfahren einzuleiten, um das betreffende Lebensmittel vom Markt zu nehmen, sofern das Lebensmittel nicht mehr unter der unmittelbaren Kontrolle des ursprünglichen Lebensmittelunternehmers steht. Soweit das Erzeugnis die Verbraucher bereits erreicht haben könnte, hat er diese zudem zu informieren und das Produkt gegebenenfalls zurückzurufen (Art. 19 Abs. 1 S. 2 BasisVO). Die erforderlichen Verdachtsmomente, die die Rücknahme- und Rückrufpflichtauslösen, liegen vor, wenn der Unternehmer spezifische Umstände kennt oder sich Umstände aufdrängen, aus denen sich die Unsicherheit des Lebensmittels ergibt.[326]
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Entsprechende Pflichten zur Rücknahmebzw. zum Rückrufeines nicht den Anforderungen der Futtermittelsicherheit nach Art. 15 BasisVO entsprechenden Futtermittelssind in Art. 20 Abs. 1 S. 1 BasisVO normiert.
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Da es selbst in Kleinstbetrieben nicht möglich ist, dass der Inhaber alle Aufgaben selbst versieht und alle sich ergebenden Pflichten in eigener Person wahrnimmt, findet eine Delegation sowohl intern als auch außerhalb des Unternehmens[327] – etwa durch Einholung eines Rechts- oder Sachgutachtens – zwangsläufig und erlaubtermaßen statt.[328] Der strafrechtliche Fahrlässigkeitsvorwurf im Rahmen einer erfolgten Delegation setzt voraus, dass die gebotene Aufsichtsmaßnahme den Verstoß gegen das Lebensmittelrecht verhindert hätte.
aa) Sorgfaltspflichten bei der Auswahl Beauftragter
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