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Gelebte Risikomanagementsysteme haben hauptsächlich verfahrensrechtliche Bedeutung, weil sie regelmäßig Dokumentationsvorgängebeinhalten, die nicht nur intern der Kontrolle und Fehleranalyse dienen, sondern es Unternehmern auch ermöglichen, den Nachweis über die Einhaltung von Sorgfaltsanforderungen zu erbringen.[357]
bb) Qualitätsmanagementsysteme
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Qualitätsmanagementsysteme können weiter greifen als das spezialisierte HACCP-Konzept. Sie können alle Sorgfaltspflichtverletzungen in die Prüfung mit einbeziehen, die bei der Erstellung des Systems als erkennbar vorgegeben worden sind, insbesondere kann mit ihrer Hilfe auch versucht werden, Verstöße gegen Vorschriften zum Täuschungsschutz zu verhindern.[358] Die Vorgaben dieser Systeme sind anhand der zunächst zu ermittelnden und zu aktualisierenden Erkenntnisse über Sorgfaltspflichten im Lebensmittelrecht im Allgemeinen und für das Unternehmen und das konkrete Erzeugnis im Besonderen zu erstellen, um das System vor allem an die Gegebenheiten des konkreten Unternehmens anzupassen. Fehler, die bei der Entwicklung dieser internen Vorschriften auftreten, können bereits Sorgfaltspflichtverletzungen darstellen und einen Fahrlässigkeitsvorwurf begründen.[359]
cc) Wirkungen von Qualitätsmanagementsystemen für Dritte
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Qualitäts- und Risikomanagementsysteme können nicht nur den diese Systeme verwendenden Unternehmer entlasten, sondern sich auch auf die Sorgfaltspflichten auswirken, die anderen Unternehmern im Hinblick auf Lieferungen von Betrieben auferlegt sind, die ein zertifiziertes Sicherungssystem verwenden, soweit dieses System den Anforderungen des Lebensmittelrechts entspricht. Die Verwendung des Sicherungssystems hat Vertrauen bildende Wirkung dahingehend, dass Erzeugnisse, die von einem zertifizierten Unternehmen stammen, den Standards des Sicherungssystems entsprechen.[360] Kennt der Abnehmer das bei seinem Lieferanten installierte und umgesetzte System, so kann dies zu einem entsprechenden schutzwürdigen Vertrauen führen, insbesondere wenn eine externe Untersuchung (sog. Auditing) des Verfahrens stattfindet und so dessen Qualität abgesichert wird. Soweit sich keine gegenteiligen Anhaltspunkte ergeben, muss der Abnehmer daher die gelieferten Produkte keiner eigenen Kontrolle unterziehen, die die aufgrund des Qualitätsmanagements bereits durchgeführten Prüfungen lediglich wiederholen würden.[361]
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Im allgemeinen Strafrecht kann die Sozialadäquanz insofern eine Rolle spielen, als auch grundsätzlich gefährliche Handlungen im sozialen Kontext als angemessen und sozialadäquat angesehen werden können, weil sie im Rahmen spezifischer Handlungsfreiheiten erlaubt sind.[362] Soweit jedoch die lebensmittelrechtliche Sorgfaltspflicht reicht, kann deren Verletzung nicht im normativen Sinne sozialadäquat sein, so dass die Verletzung der Pflicht des Lebensmittelunternehmers zur Untersuchung, das Inverkehrbringen zu unterlassen oder Ähnliches, nicht sozialübliches oder branchentypisches Verhalten darstellen kann.[363]
3. Pflichtwidrigkeitszusammenhang
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Der Vorwurf fahrlässiger Deliktsverwirklichung setzt weiterhin voraus, dass zwischen der Pflichtverletzung und der Tatbestandsverwirklichung ein normativ-spezifischer Zusammenhang(Pflichtwidrigkeitszusammenhang) besteht.[364] Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn das pflichtwidrige Verhalten für die Tatbestandsverwirklichung nicht nur ursächlich geworden ist, sondern die Sorgfaltspflicht darüber hinaus zu dem Zweck statuiert ist, die Verletzung des tatbestandlichen Schutzguts zu verhindern. Das bedeutet in der Praxis zunächst, dass das Gericht zu der Überzeugung gelangen muss, dass der Tatbestand ohne das Fehlverhalten des Täters nicht erfüllt worden wäre. Es reicht insofern eine hohe Wahrscheinlichkeit aus, dass der tatbestandsrelevante Mangel des Erzeugnisses durch die Beachtung der erforderlichen Sorgfalt aufgefallen, eine Tatbestandsverwirklichung vermieden worden wäre – wovon die Judikatur beim Unterlassen jeglicher Kontrollen regelmäßig ausgeht[365] – und es sich bei dem beanstandeten Erzeugnis nicht um einen unvermeidlichen Ausreißer handelt,[366] der auch bei einer ordnungsgemäßen Stichprobe übersehen worden wäre.[367] Der BGH hat ferner angenommen, es komme nicht darauf an festzustellen, dass durch Stichproben die Missstände tatsächlich aufgedeckt worden wären; vielmehr sei der Pflichtwidrigkeitszusammenhang bereits dann gegeben, wenn dem Erfolgseintritt durch Stichproben weitgehend vorgebeugt worden wäre.[368] Im Hinblick auf den Pflichtwidrigkeitszusammenhang gilt jedoch im Strafrecht der Grundsatz in dubio pro reo.[369]
4. Subjektives Fahrlässigkeitselement
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Neben der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung erfordert die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit den individuellen Vorwurf gegenüber dem Täter, dass dieser aufgrund seiner subjektiven Fähigkeiten und individuellen Eigenschaftenpersönlich in der Lage war, den objektiv gebotenen Anforderungen gerecht zu werden.[370] Regelmäßig wird sich hier keine Abweichung vom objektiven Fahrlässigkeitsvorwurf ergeben: Wer als Lebensmittelunternehmer tätig ist, hat grundsätzlich auch über die individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten zu verfügen, den Betrieb gesetzeskonform zu organisieren und zu führen. Verfügt er über diese Voraussetzungen nicht, so liegt regelmäßig ein Übernahmeverschuldenvor, wenn er dennoch ein solches Unternehmen betreibt.[371]
VIII. Ordnungswidrigkeiten
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Die Geldbußenim LFGB sind, da sie neben der Sanktionierung auch der Gewinnabschöpfung dienen sollen, in ihrem Sanktionsrahmen verhältnismäßig hoch bemessen, wobei zwischen der fahrlässigen und der vorsätzlichen Begehung bei der Bemessung der Geldbuße wegen Verstoßes gegen § 60 Abs. 2 und 3 LFGB, nicht aber wegen § 60 Abs. 1 LFGB im Hinblick auf § 17 Abs. 2 OWiG zu differenzieren ist.[372] Nach § 17 Abs. 4 S. 1 OWiG ist bei der Verhängung der Geldbuße Sorge zu tragen, dass sie den wirtschaftlichen Vorteil der Tatübersteigt.
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Der Sanktionsrahmen der Geldbußenist in § 60 Abs. 5 LFGB geregelt und in drei Stufen gestaffelt: Fahrlässige Verstöße gegen das Verkehrsverbot für solche Lebensmittel, die zwar nicht gesundheitsschädlich, aber für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet sind (§ 59 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 2 Nr. 1 LFGB), können nach § 60 Abs. 5 Nr. 1 LFGB mit dem höchsten Sanktionsmaß, das bis zu 100.000 € reicht, geahndet werden, während fahrlässige Verstöße gegen die übrigen in § 59 Abs. 1, 2 oder 3 LFGB genannten Ge- und Verbotsnormen sowie gegen die Verstöße in § 60 Abs. 2 Nrn. 1 bis 18, 24 bis 26, Abs. 3 Nrn. 1 lit. a bis c sowie Abs. 4 Nrn. 1 lit. a und 2 lit. a LFGB in Bezug genommenen Vorschriften gem. § 60 Abs. 5 Nr. 2 LFGB mit einer Geldbuße von bis zu 50.000 € geahndet werden können. Bei allen anderen Verstößen – hierbei handelt es sich zumeist um Verstöße gegen Vorschriften über Organisations-, Unterrichtungs- und Unterstützungspflichten, also gegen Regelungen, die die Lebensmittelüberwachung ermöglichen oder erleichtern sollen – gilt nach § 60 Abs. 5 Nr. 3 LFGB ein Sanktionsrahmen bis zu 20.000 € Geldbuße.
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Im Hinblick auf die Begehung von Ordnungswidrigkeiten in Betrieben ist § 130 OWiG zu beachten, der eine Verhängung von Geldbußen gegen Aufsichtspflichtigeermöglicht.[373] Ferner kann nach § 30 OWiG ein Bußgeld auch gegen eine juristische Personverhängt werden, wenn deren Entscheidungsträger eine Ordnungswidrigkeit oder Straftat begangen haben.
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