173
Eine solche sanktionsbewehrte Pflicht zur unverzüglichen schriftlichen oder elektronischen Unterrichtung trifft nach dem durch das 2. ÄndG neu eingeführten § 44 Abs. 4a, Abs. 5a LFGB auch den in einem Labor Verantwortlichen, der aufgrund einer Lebensmittel- bzw. Futtermittelanalyse Grund zu der Annahme hat, dass das von ihm geprüfte Lebens- oder Futtermittel den Anforderungen an die Sicherheit nach Art. 14 Abs. 1 BasisVO bzw. Art. 15 Abs. 1 BasisVO nicht entspricht und daher ein Verkehrsverbot gilt.
cc) Pflicht zur Duldung von Monitoring-Maßnahmen
174
Nach § 51 Abs. 3 S. 2 LFGB besteht eine Pflicht zur Duldung von Monitoring-Maßnahmen und zur Unterstützung der damit befassten Personen. Der Begriff des Monitoringist in § 50 LFGB legaldefiniert. Es handelt sich um verdachtsunabhängige Überwachungsmaßnahmen, die insbesondere Probenahmen und das Betreten von Räumlichkeiten umfassen können.
3. Sanktionen bei Missachtung von Maßnahmen der Überwachungsbehörden
175
Nach § 59 Abs. 1 Nr. 20 LFGB sind Zuwiderhandlungen gegen vollziehbare Anordnungennach § 41 Abs. 2 S. 1, 3 oder Abs. 6 S. 1 und 3 LFGB mit Strafe bedroht. Die Strafbarkeit setzt jedoch insbesondere voraus, dass die getroffene Maßnahme vollziehbar ist, also entweder bestandskräftiggeworden oder die sofortige Vollziehbarkeit angeordnetist. Von Gesetzes wegen gilt Letzteres nach § 41 Abs. 2 S. 4 LFGB für das Abgabe- und Beförderungsverbot nach § 41 Abs. 2 S. 1 LFGB. Wird in diesen Fällen jedoch vor Begehung der Tathandlung die Aufhebung der sofortigen Vollziehbarkeit erwirkt, so steht dies der Tatbestandserfüllung entgegen.[393] Im Übrigen gelten für die Begründung einer Strafbarkeit durch eine behördliche Anordnungdie gleichen verfassungsrechtlichen Anforderungen, die auch an eine gesetzlich begründete Strafbarkeit zu stellen sind; dies erfordert insbesondere einen wirksamen, also nicht nichtigen Verwaltungsakt sowie hinreichende Bestimmtheit der behördlichen Anordnung (vgl. Rn. 58).
4. Verletzung von Mitwirkungs- und Duldungspflichten
176
Die Verletzung von unternehmerischen Handlungs- und Mitwirkungspflichten aus dem Lebensmittelrecht ist in wesentlichen Teilen bußgeldbewehrt. Dabei sind Verletzungen der sich aus Art. 18-20 BasisVO ergebenden Pflichten zur Unterrichtung der Behörde ebenso mit Geldbuße bedroht wie die Verletzung der Mitwirkungspflichten nach § 44 LFGB.
177
Durch das 2. ÄndG würdedie Pflicht zur Einleitung eines Rücknahme- bzw. Rückrufverfahrens für unsichere Lebensmittel und Futtermittel für Tiere, die der Gewinnung von Lebensmitteln dienen, nicht mehr nur durch eine Geldbuße bewehrt, sondern nach § 59 Abs. 2 Nr. 1c und 1d LFGB mit Strafe bedroht.
178
In § 60 Abs. 2 Nr. 22 , Abs. 3 Nr. 1b–i LFGBist die Verletzung der Pflichtenzur Errichtung eines Informationssystems, zur Auskunftserteilungund zur Unterrichtungnach Art. 18-20 BasisVO sowie aus § 44 Abs. 4a und Abs. 5a LFGB mit Geldbuße bedroht. Es handelt sich um Sonderpflichtdelikte i.S.d. § 9 OWiG, die tatbestandlich voraussetzen, dass der Unternehmer seine Pflichten zur Systemeinrichtung, Unterrichtung, Mitteilungetc. nicht, nicht richtig, nicht vollständigoder nicht rechtzeitig erfüllthat. Soweit es um die Pflicht zur Einrichtung eines geeigneten Informationssammlungssystems geht, wird man eine im Hinblick auf die geringe Konturierung des Sanktionstatbestandes, der von einer nicht richtigen oder nicht vollständigen Einrichtung eines Systems spricht, die Tatbestandserfüllung wohl nur annehmen können, wenn das Informationssystem so unzureichend ist, dass es nicht geeignet ist, das notwendige Minimum der verlangten Daten zu reproduzieren.[394]
179
Eine Sanktionierung der Verletzung von Mitwirkungspflichten nach § 44 LFGB knüpft an das Nichtdulden einer Probennahme, an die Nichtunterstützung von Überwachungspersonen oder an die nicht erfolgende, nicht vollständige oder nicht rechtzeitige Informationserteilung bzw. Informationsübermittlung an. Die einzelnen Tatbestandsvarianten des § 60 Abs. 2 Nr. 19–22 LFGBwird man trotz ihres Wortlauts im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als potenzielle Gefährdungsdelikte(dazu Rn. 56) ansehen müssen, die nur erfüllt sind, wenn die Effektivität der Lebensmittelüberwachung durch die Pflichtverletzung gefährdet werden kann.
180
Unter Nichtduldungist jede Behinderung der bei der Überwachung tätigen Personen bzw. von Polizeibeamten zu verstehen, also jede Handlung, die zum Ziel hat, die Betretung unmöglich zu machen oder erheblich zu erschweren. Dabei können leichte Behinderungen, die die Maßnahme als solche nicht zu gefährden vermögen, nicht ausreichen.[395]
5. Strafverfahrensrechtliche Wirkungen der Auskunfts- und Unterrichtungspflichten
181
Würde man dem Auskunfts- und Unterrichtungspflichtigen die Pflichten unter der Sanktionsdrohung auferlegen und trotzdem eine Verwendung der aus der Erklärung gewonnenen Daten zur Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten gegen den Mitteilenden zulassen, so würde dies einen Verstoß gegen den verfassungsrechtlich gesicherten Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare darstellen. Daher hat der Gesetzgeber ein umfassendes Beweisverwendungsverbotin § 44 Abs. 6 und § 44a Abs. 1 S. 2 LFGB festgeschrieben.[396] Für die Verwendung der durch Unterrichtung und Übermittlung erlangten Daten zu Zwecken der Gefahrenabwehr enthält § 44 Abs. 6 LFGB eine ausdrückliche Regelung.
6. Veröffentlichung von Verstößen gegen das Lebensmittel- und Futtermittelrecht nach § 40 Abs. 1a LFGB
182
Durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung des Rechts der Verbraucherinformation [397] ist „en passant“[398] insbesondere eine Ergänzung des § 40 LFGB um eine Nr. 2 in Abs. 1 sowie um einen neuen Abs. 1a erfolgt. Letztere Vorschrift schreibt eine Information der Öffentlichkeit über den Namen bzw. die Firma und die Adresse eines Lebensmittelunternehmers in lebensmittelstrafrechtlich oder lebensmittelbußgeldrechtlich relevanten Verdachtsfällen zwingend vor.[399] Danach informiert die „zuständige Behörde die Öffentlichkeit unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels oder Futtermittels sowie unter Nennung des Lebensmittel- oder Futtermittelunternehmens, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel oder Futtermittel hergestellt oder behandelt oder in den Verkehr gelangt ist, wenn der durch Tatsachen, im Falle von Proben nach § 39 Abs. 1 S. 2 auf der Grundlage mindestens zweier unabhängiger Untersuchungen von Stellen nach Art. 12 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004, hinreichend begründete Verdacht besteht, dass
1. |
in Vorschriften im Anwendungsbereich dieses Gesetzes festgelegte zulässige Grenzwerte, Höchstgehalte oder Höchstmengen überschritten wurden oder |
2. |
gegen sonstige Vorschriften im Anwendungsbereich dieses Gesetzes, die dem Schutz der Verbraucher vor Gesundheitsgefährdungen oder vor Täuschung oder der Einhaltung hygienischer Anforderungen dienen, in nicht nur unerheblichem Ausmaß oder wiederholt verstoßen worden ist und die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens dreihundertfünfzig Euro zu erwarten ist.“ [400] |
183
Die überwiegende Auffassung in der Literatur hält die Vorschrift über den „Internet-Verdachtspranger“[401] für verfassungswidrig.[402] Teils wurde angenommen, die Regelung beinhalte eine Verdachtsstrafe und sei aus diesem Grund verfassungswidrig.[403] Auch die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte hat nahezu übereinstimmend „durchgreifende Bedenken“ [404] gegen diese Regelung geäußert. Zwar konnten die unionsrechtlichen Zweifel durch eine Vorabentscheidung des EuGH[405] ausgeräumt werden. Die verfassungsrechtliche Kritik wiegt aber weiterhin schwer. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung hat Verstöße gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz angenommen wegen mangelnder zeitlicher Befristung der Veröffentlichung,[406] wegen eines unverhältnismäßiger Einwirkung auf den Geschäftsbetrieb[407] bzw. die Berufsausübungsfreiheit,[408] insbesondere wegen der zwingenden Veröffentlichung,[409] wegen eines nicht hinreichend gesetzlich umgrenzten Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.[410] Ferner wurde die mangelnde Bestimmtheit der Vorschrift gerügt.[411] Lediglich vereinzelte Stimmen aus der Literatur sehen § 40 Abs. 1a LFGB als mit der Verfassung vereinbar an.[412] Das Bayerische Staatsministerium für Verbraucherschutz hat in einer Pressemitteilung vom 25.3.2013 (Nr. 72/13) erklärt, die „Liste gegen Verstöße des § 40 Abs. 1a LFGB“ werde vorläufig ausgesetzt. Ähnliches gilt für Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfahlen, Hessen, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz, die die Veröffentlichungen vorläufig eingestellt haben.[413]
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