3. Verbringen und Ausführen
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Das Verbringenumfasst zunächst den Transport von Erzeugnissen und mit Lebensmitteln verwechselbaren Erzeugnissen. Soweit diese nicht den Vorgaben des nationalen und europäischen Lebensmittelrechts entsprechen, ist das Verbringen in das Inland nach § 53 Abs. 1 S. 1 LFGB verboten. Von diesem Verbot sind in § 54 LFGB Ausnahmenfür Lebensmittel, kosmetische Mittel und Bedarfsgegenstände – nicht aber für Futtermittel und mit Lebensmitteln verwechselbare Produkte – vorgesehen, die in Umsetzung der Judikatur des EuGH ein Verbringen zulassen, soweit die Erzeugnisse innerhalb der EU oder EWG, des EWR oder einem anderen Vertragsstaat rechtmäßig hergestellt worden oder rechtmäßig im Verkehr gewesen sind.[151] Rückausnahmengelten nach § 54 Abs. 1 S. 2 LFGB für Produkte, die den dort genannten gesundheitsschützenden Vorschriften widersprechen. Das Verbringenumfasst neben dem Transport der Ware über eine Binnengrenze der Union auch Handlungsweisen, die mit dem Transport in unmittelbarem Zusammenhang stehen.[152]
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Unter Ausfuhrversteht man das Verbringen, einer Ware über die Außengrenzen der Union.[153]
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Sowohl die Tatbegehung durch Verbringen, als auch durch die Ausfuhr ist mit dem Überschreiten der Grenze vollendet.[154] Das Verbringen und Ausführen ist beendet, wenn die Ware zur Ruhe gekommen ist, weil sie etwa am Bestimmungsort angekommen ist.[155]
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Verbringeroder Ausführerist derjenige, der zum Zeitpunkt des Grenzübertritts die effektive Verfügungsgewalt über das Erzeugnis – auch vermittelt durch Beauftragte[156] – besitzt. Darauf, ob er in eigenem oder fremdem Namen tätig wird, kommt es ebenso wenig an wie auf das Eigentum; allein die Verfügungsmöglichkeit ist entscheidend.[157]
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Unter Bewerben oder Werbungist jede Äußerung im Rahmen der Ausübung des Handels, eines Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs zu verstehen, die dem Ziel dient, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen zu fördern.[158]
5. Begehen der Tathandlung im Lebensmittelverkehr „für andere“
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In einer Reihe von Vorschriften des Lebensmittelrechts ist nur die Herstellung oder Behandlung von Erzeugnissen für andere verboten und unter Strafe gestellt. Insofern gelten diese Verbote nicht für den Eigenverbrauch,[159] also nicht für das Handeln in der Privatsphäre[160] oder in der rein innerbetrieblichen Sphäre. Daher sind Vor- und Zwischenerzeugnisse oder Futtermittel,[161] die privat oder rein innerbetrieblich verarbeitet oder verfüttert werden, von den jeweiligen Verboten nicht erfasst, wenn nicht mit einer Verwendung der Produkte durch Dritte – z.B. durch eine Verkostung – gerechnet werden muss. Bei entsprechender Vereinbarung und hinreichender Aufklärung ist auch die Herstellung von Kosmetika für Zwecke von Tests an externen Probanden keine Herstellung für andere .[162] Gesundheitsschädliche Zwischenprodukte dürfen daher weiterbehandelt werden, wenn das Endprodukt nicht gesundheitsschädlich ist.
V. Zur zeitlichen Geltung von Straf- und Bußgeldvorschriften: Rückwirkungsverbot und Grundsatz lex mitior
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Im Hinblick auf die Vielzahl von Änderungen im Lebensmittelrecht haben § 2 StGB und § 4 OWiG, welche die zeitliche Geltung von Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenvorschriftenbestimmen, im Lebensmittelstrafrecht besondere Bedeutung.[163] Grundsätzlich gilt zwar nach § 2 Abs. 1, 2 StGB, § 4 Abs. 1 OWiG für die Beurteilung einer Tat bzw. Handlung das Recht, das bei Beendigung der Tat bzw. Handlung geltendes Recht war. Dies schließt die Anwendung solcher Gesetze aus, die nach der Tatbegehung erlassen worden sind; es gilt das durch Art. 103 Abs. 2 GG garantierte Rückwirkungsverbot[164]. Dieser verfassungsrechtliche Grundsatz gilt jedoch nur zugunsten des Täters und schließt nachträglich Verschärfungen der Rechtslage aus.
Eine nachträgliche Milderung der Rechtslagemuss dem Täter zu Gute kommen. Hierbei handelt es sich nicht um eine ins Ermessen des Gesetzgebers gestellte Entscheidung. Vielmehr ist das Milderungsgebot in Art. 49 Abs. 1 S. 3 GR-Charta garantiert. In Deutschland sieht § 2 Abs. 3 StGB bzw. § 4 Abs. 3 OWiG vor, dass bei nachträglichen Milderungenoder im Falle der Aufhebung einer Straf- bzw. Bußgeldvorschrift die mildere Rechtslage anzuwenden ist, soweit sie vor Ergehen der Entscheidung über die Tat in Kraft tritt. Es ist stets das mildere Gesetz, die lex mitior , anzuwenden (sog. Meistbegünstigungsprinzip[165]).
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Gesetzesänderungen ergeben sich im Lebensmittelstrafrecht oftmals nicht durch unmittelbare Neuregelungen der Strafvorschriften, sondern durch die Modifikation der lebensmittelrechtlichen Bezugsnormen, auf die ein Blankettstrafgesetzbzw. -bußgeldtatbestandverweist. Auch hierbei handelt es sich über die Inbezugnahme der außerstrafrechtlichen Regelung um eine Änderung des Sanktionstatbestandes, da regelmäßig auf die jeweils geltende Fassung der Bezugsnorm verwiesen wird (sog. dynamische Verweisungen; Rn. 48). Eine Änderung blankettausfüllender Normen ist eine Änderung des Strafgesetzes selbst,[166] denn der Unrechtstatbestand entsteht erst durch ein Zusammenlesen der verweisenden Straf- bzw. Bußgeldnorm mit der außerstrafrechtlichen Regelung.[167] Daher gilt das Rückwirkungsverbotinsofern auch für die außerstrafrechtlichen Regelungen.[168]
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Gleiches gilt für das Milderungsgebot:Sowohl das Erfordernis des Gesetzesvorbehaltsals auch der dem Milderungsgebot zugrunde liegende Gedanke, die begünstigende Rechtserkenntnisdes Gesetzgebers auf noch nicht abgeschlossene Sachverhalte anzuwenden, spricht für eine uneingeschränkte Anwendung des Milderungsgebots auf blankettausfüllende Normen: Wenn das ausfüllende Gesetz aufgehoben worden ist, fehlt es zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an einer gesetzlichen Grundlage, die eine Bestrafung zulässt. Eine Verurteilung würde gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstoßen. Außerdem ist aufgrund der Regelung des § 2 Abs. 3 StGB bzw. § 4 Abs. 3 OWiG sowie des Art. 49 Abs. 1 S. 3 EUGRCH im Strafrecht grundsätzlich davon auszugehen, dass jede neue gesetzgeberische Entscheidung, die zur Aufhebung eines Gesetzes und einer Neuregelung führt, als Rechtsverbesserung gilt, die dem Täter zu Gute kommen muss, sofern sie sich mildernd auswirkt. Maßgeblicher Zeitpunktfür die Beurteilung ist das Inkrafttreten des neuen Gesetzes; dies gilt sowohl für das Inkrafttreten des LFGB (7.9.2005)[169] als auch – und hier nunmehr mit wachsender praktischer Bedeutung – für die Änderungsgesetze 2009 (29.6.2009), 2011 (4.8.2011), 2013 (28.5.2013), 2014 (13.12.2014) und 2017 (30.6.2017). Taten, die vor Inkrafttreten des LFGB bzw. der Änderungsgesetze begangen worden sind, sind gemäß § 2 Abs. 1 StGB bzw. § 4 Abs. 1 OWiG nach den mildesten Straf- bzw. Bußgeldbestimmungenzu beurteilen. Daher ist es erforderlich, in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung des gesamten sachlich-rechtlichen Rechtsstandes in allen unterschiedlichen Zeitpunkten unter Einbeziehung auch der blankettausfüllenden lebensmittelrechtlichen Vorschriften zu prüfen, welche Regelung zu der mildesten straf- bzw. bußgeldrechtlichen Beurteilung führt.
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So darf etwa die Aufstufung von Ordnungswidrigkeitenzu Straftaten, die zu einer Verschärfung der Sanktionsdrohung führt, nicht berücksichtigt werden, soweit die Straftat vor Inkrafttreten des 2. ÄndG beendet war, weil dies einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbotdes Art. 103 Abs. 2 GG bedeuten würde. Die Herabstufung von Straftaten zu Ordnungswidrigkeiten greift dagegen als milderes Gesetz auch dann durch, wenn die Tat vor dem Inkrafttreten dieser dem Täter günstigen Neuerung begangen worden ist.[170]
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