2. Differenzierte Geldbußrahmen
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Die Höhe der Verbandsgeldbußerichtet sich nach der Art der Anknüpfungstat:
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Handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit, so gilt deren angedrohtes Höchstmaß auch für die Verbandsgeldbuße (§ 30 Abs. 2 S. 2 OWiG). Bei Kartellordnungswidrigkeiten soll statt dessen gemäß § 81 Abs. 4 S. 2 und 3 GWB ein Höchstmaß von 10 % des in dem der Behördenentscheidung, d.h. dem Bußgeldbescheid, vorausgehenden Jahr weltweit erzielten Gesamtumsatzes der wirtschaftlichen Einheit gelten (s. 3. Teil 6. Kap. Rn. 47); die danach möglichen Geldbußen können den Regelbußgeldrahmen von 1 Mio. € erheblich überschreiten[42]. Im Kapitalmarktrecht haben das 1. und 2. Finanzmarktnovellierungsgesetz von 2016 und 2017[43] die Möglichkeit von Verbandsgeldbußen mit einem festen Höchstmaß bis zu 20 Mio. Euro und einem umsatzbezogenen Höchstmaß zwischen 2% und 15% des Gesamtumsatzes des Täter-Unternehmensträgers oder sogar des Konzerns geschaffen; daneben wird auch die alternative Bemessung des Geldbuß-Höchstmaßes bis zum Zweifachen oder sogar Dreifachen des aus dem Verstoß gezogenen wirtschaftlichen Vorteils zugelassen (§§ 50 Abs. 9 bis 11 BörsG, 340 Abs. 7 bis 9 KAG, 56 Abs. 6a bis 8 KWG, 332 Abs. 6 bis 8 VAG, 120 Abs. 17 bis 23 WpHG, 60 Abs. 4 bis 7 WpÜG). Auch andere Gesetze haben dieses Modell der Höchstmaßbestimmung übernommen (s. §§ 56 Abs. 2 und 4 GwG[44] 334 Abs. 3a, 3b HGB); im EnWG findet sich eine Kombination von Geldbußen bis zur dreifachen Höhe des durch die Zuwiderhandlung erlangten Mehrerlöses[45] und solchen bis zu 10% des weltweiten Gesamtumsatzes bestimmter Unternehmen (§ 95 Abs. 2). § 172 des SAG von 2014[46] ermöglicht Verbandsgeldbußen bis zu 50 Mio. Euro, 10% des Jahresnettoumsatzes oder dem Zweifachen des durch die Zuwiderhandlung erlangten Mehrerlöses.[47] |
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Bei Anknüpfung an eine Straftatbeträgt das Höchstmaß der Verbandsgeldbuße seit dem Inkrafttreten der 8. GWB-Novelle am 30.6.2013[48] im Falle vorsätzlicher Begehung bis zu 10 Mio. €, bei fahrlässiger Verwirklichung bis zu 5 Mio. € (§ 30 Abs. 2 S. 1 OWiG), zuvor seit dem EU-Rechtsinstrumente-AG von 2002 (oben Rn. 2) 1 Mio. bzw. 500 000 €. |
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Erfüllt ein Verhalten zugleichden Tatbestand einer Straftat undeiner Ordnungswidrigkeit, so kann nach § 30 Abs. 2 S. 4 OWiG für die Verbandsgeldbuße ein darüber hinausgehendes Geldbußhöchstmaß weiterhin dem Tatbestand der Ordnungswidrigkeit entnommen werden, auch wenn dieser gemäß § 21 OWiG durch die Straftat verdrängt wird. Diese Regelung ist 1997 im Blick auf den damals neu geschaffenen Straftatbestand der wettbewerbsbeschränkenden Absprachen bei Ausschreibungen (§ 298 StGB) eingeführt worden Obwohl dieser Tatbestand die Kartellordnungswidrigkeit des Sich-Hinwegsetzens über das Kartellverbot i.S. des damals geltenden § 38 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 1 GWB 1990 verdrängte (zum geltenden Recht s. näher u. 3. Teil 5. Kap. Rn. 19), sollte die (2005 dann aber beseitigte) Möglichkeit erhalten bleiben, eine Geldbuße bis zur dreifachen Höhe des durch die Zuwiderhandlung erlangten Mehrerlöses festzusetzen (§ 38 Abs. 4 GWB 1990). Ob danach auch i.S. des jetzt geltenden Kartellbußgeldrechts eine über 10 Mio. bzw. 5 Mio. € hinausgehende Verbandsgeldbuße bis zu 10 % (bzw. bei Fahrlässigkeit gemäß § 17 Abs. 2 OWiG bis zu 5 %) des Vorjahresumsatzes gemäß der – anders als § 38 Abs. 4 GWB 1990 – nur für Unternehmen und Unternehmensvereinigungen geltenden Norm des § 81 Abs. 4 S. 2 GWB verhängt werden kann, ist dagegen zweifelhaft. Denn § 30 Abs. 2 S. 4 OWiG verweist über S. 2 des gleichen Absatzes nur auf die für natürliche Personen geltende Regelung in § 30 Abs. 1 OWiG und damit wieder auf § 81 Abs. 4 S. 1 GWB, wo nur eine das Höchstmaß nach § 30 Abs. 2 S. 1 OWiG unterschreitende Geldbuße bis 1 Mio. Euro angedroht wird.[49] |
3. Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils (§ 30 Abs. 3 OWiG)
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Entscheidet sich der Rechtsanwender in Ausübung seines Handlungsermessens (o. Rn. 13) für die Verhängung einer Verbandsgeldbuße, so sollgemäß § 30 Abs. 3 i.V.m. § 17 Abs. 4 S. 1 OWiG diese den wirtschaftlichen Vorteil, den der Verband aus der Ordnungswidrigkeit gezogen hat, „übersteigen“. Die Geldbuße muss dann zusätzlich zu dem der schuldangemessenen Sanktionierung der Tat dienenden Betrag (o. Rn. 13) den aus der Tat gezogenen Gewinn umfassen, es sei denn, es gibt Sachgründe dafür, auf die Abschöpfung zu verzichten. Die Höhe des wirtschaftlichen Vorteils wird ermittelt nach dem Nettoprinzip, d.h. die zu seiner Erlangung aufgewandten Kosten und sonstigen Aufwendungen sind von dem erlangten wirtschaftlichen Zuwachs abzuziehen.[50] Reicht das gesetzliche Höchstmaß für die Summe von Sanktions- und Abschöpfungsanteil nicht aus, so kann es gemäß § 30 Abs. 3 i.V.m. § 17 Abs. 4 S. 2 OWiG überschritten werden („Lockerung des Geldbußdeckels“)[51]. Im Kartellordnungswidrigkeitenrecht soll gemäß § 81 Abs. 5 GWB die Anwendung des § 17 Abs. 4 OWiG dagegen nur fakultativ sein (dazu eingehend 3. Teil 6. Kap. Rn. 55 ff.).
VI. Verfahrensfragen
1. Verbundenes Verfahren und kumulative Verbandsgeldbuße
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Als Regeltypusder Verhängung einer Verbandsgeldbuße behandelt das OWiG in § 30 Abs. 1 die Verhängung einer kumulativen Verbandsgeldbuße im verbundenen Verfahren gegen den Täter der Anknüpfungstat und den Personenverband, für den er gehandelt hat. Obwohl es um eine Geldbuße gegen den Verband selbst geht, obwohl § 30 OWiG den Begriff der Nebenfolge nicht mehr enthält und obwohl § 33 Abs. 1 S. 2 OWiG und die Überschrift vor § 87 OWiG zwischen der Anordnung einer Nebenfolge und der Festsetzung einer Verbandsgeldbuße ausdrücklich unterscheiden, gewährt das Gesetz dem Verband in diesem Verfahren wie schon 1968 weiterhin – auch nach dem Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung von 2017 (u. Rn. 32) - nur die Stellung eines Verfahrensbeteiligten[52] (der Rechtsträger des Unternehmens als „Nebenbetroffene/r“). Der Sache nach kommt dem Verband freilich „eine dem Betroffenen ähnliche Rolle“ zu.[53]
2. Selbständiges Verfahren und isolierte Verbandsgeldbuße
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§ 30 Abs. 4 OWiG ermöglicht daneben aber auch eine isolierte Verbandsgeldbuße, die im selbständigen Verfahren allein gegen den Verband verhängtwird.[54] Dieser Verfahrenstypus setzt voraus, dass wegen der Anknüpfungstat gegen deren Täter ein Straf- oder Bußgeldverfahren nicht eingeleitet, dass ein bereits eingeleitetes Verfahren eingestellt oder dass von Strafe abgesehen wird. Dagegen ist das selbständige Verfahren seit dem 2. WiKG von 1986 prinzipiell unabhängig davon, ob ein verbundenes Verfahren (o. Rn. 16) möglich wäre oder nicht. Ausgeschlossen ist die isolierte Verbandsgeldbuße allerdings dann, wenn die Anknüpfungstat aus rechtlichen Gründen nicht verfolgt werden kann (§ 30 Abs. 4 S. 2, 1. Hs OWiG). Das gilt auch im Falle einer Verjährung der Verfolgung der Anknüpfungstat vor Einleitung des selbständigen Verfahrens; ist die Verjährung aber bei Verfahrensbeginn noch nicht eingetreten, so wird sie auch im selbständigen Verfahren durch die in § 33 Abs. 1 OWiG genannten Verfahrenshandlungen unterbrochen.[55] Zur Verjährung insgesamt näher u. Rn. 21.
3. Festsetzung der Verbandsgeldbuße ohne Ermittlung eines konkreten Täters
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Die Abkoppelung der Verbandsgeldbuße von der Ahndung der Anknüpfungstat im selbständigen Verfahren nach § 30 Abs. 4 OWiG schafft die rechtliche Möglichkeit, die Geldbuße gegen den Verband auch dann zu verhängen, wenn der Täter der konkreten Anknüpfungstat nicht ermittelt ist[56]. Das ist möglich in zwei Konstellationen:
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