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Gemäß § 30 Abs. 2a S. 2 Alt. 1 OWiG darf die Höhe der Verbandsgeldbuße gegen den Rechtsnachfolgerden Wert des übernommenen Vermögens nicht übersteigen; zusätzlich begrenzt § 30 Abs. 2a S. 2 Alt. 2 OWiG die Verbandsgeldbuße gegen den Rechtsnachfolger auf die Höhe der gegenüber dem Rechtsvorgänger angemessenen Geldbuße.[76] Ist eine Verbandsgeldbuße noch nicht festgesetzt worden, so lässt das Gesetz damit die Zumessung einer hypothetischen Geldbuße gegen den Rechtsvorgänger und die Feststellung der Umstände zu, die dafür maßgeblich gewesen wären. Zugleich kann es aber nach den allgemeinen Zumessungskriterien auch zu einer Reduzierung der Verbandsgeldbuße gegen den Rechtsnachfolger aufgrund von Umständen kommen, die nur bei ihm vorliegen[77]. Die 9. GWB-Novelle von 2017 hat allerdings für den gesamten Bereich der Kartellordnungswidrigkeiten die Anwendung dieser Begrenzungen aufgehoben (§ 81 Abs. 3b S. 3 und 4 GWB; s.u. 3. Teil 6. Kap. Rn. 43). Nach § 30 Abs. 2a S. 3 OWiG tritt der Rechtsnachfolger oder treten die Rechtsnachfolger in die Verfahrensstellungein, in der sich der Rechtsvorgänger zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Rechtsnachfolge befunden hat. Verfahrenshandlungen des Rechtsvorgängers und gegenüber dem Rechtsvorgänger wirken danach gegen ihre(n) Rechtsnachfolger; das gilt insbesondere für die Verjährungsunterbrechung.[78]
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§ 30 Abs. 2a OWiG deckt aber nur einen Teil der für eine Umstrukturierung bestehenden Möglichkeiten ab. Nicht erfasstvon der Neuregelung werden folgende Gestaltungen:
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Wenn bei der Rechtsnachfolge auf der einen oder anderen Seite eine natürliche Personbeteiligt ist, greift die Norm nicht ein. Weder der Wechsel eines einzelkaufmännischen Unternehmens in die Rechtsform einer juristischen Person oder Personenvereinigung noch die Fortführung eines ursprünglich von einer juristischen Person oder Personenvereinigung betriebenen Unternehmens durch eine Einzelperson als deren Rechtsnachfolger oder die Anwachsung bei einer natürlichen Person fallen unter die allein für die Verbandsgeldbuße geltende Regelung.[79] |
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§ 30 Abs. 2a OWiG erfasst von den Formen der partiellen Gesamtrechtsnachfolge allein die Aufspaltung (§ 123 Abs. 1 UmwG), nicht aber die Abspaltungund die Ausgliederungi.S. von § 123 Abs. 2 und 3 UmwG, in denen der ursprüngliche Rechtsträger zumindest vorläufig weiter bestehen bleibt.[80] |
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Die Neuregelung spart die Einzelrechtsnachfolge,also den Erwerb einzelner wesentlicher Vermögensgegenstände im Wege der Einzelrechtsübertragung, völlig aus.[81] Das betrifft besonders den „asset deal“, die Betriebsübertragung durch sachenrechtliche Verfügungen bei Fortbestand der gesellschaftlichen „Hülle“; problematisch kann aber auch eine Entreicherung des ursprünglichen Vermögensträgers durch Übertragung von Vermögensgegenständen sein, welche sich bei der Zumessung der Geldbuße auswirkt.[82] |
In Kartellbußgeldsachen haben einige Unternehmen die in diesen Begrenzungen des § 30 Abs. 2a OWiG liegenden Gestaltungsmöglichkeiten genutzt, um Unternehmensträger, gegen die Verbandsgeldbußen festgesetzt worden waren, erlöschen zu lassen, ohne dass ein Übergang der Geldbußschuld auf einen Nachfolger möglich war; insbesondere im Falle des vom BKartA 2014 mit Geldbußen in Höhe von insgesamt ca. 338 Mio. Euro geahndeten Wurstkartells hatte das dazu geführt, dass nur etwa 100 Mio. Euro vollstreckt werden konnten. Als Reaktion darauf hat die 9. GWB-Novelle von 2017 zur Schließung dieser polemisch so genannten „Wurstlücke“ in dem neuen Abs. 3a bis 3e des § 81 GWB eine auf das Kartellrecht beschränkte „unternehmensgerichtete Sanktion“ geschaffen (3. Teil 6. Kap. Rn. 42 ff.). Außerhalb davon bestehen die Möglichkeiten einer kreativen Ausnutzung der Grenzen des § 30 Abs. 2a OWiG also weiter.
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Völlig kontrovers beurteilt wird die intertemporale Rechtsanwendungbei dem Übergangvon den zu § 30 OWiG a.F. entwickelten Rechtsprechungsgrundsätzen zu der Neuregelung in § 30 Abs. 2a OWiG in Fällen, in denen die Anknüpfungstat einer Verbandsgeldbuße vor dem 30.6.2013 beendet war. Einige nehmen an, dass die Rechtsprechungsgrundsätze ergänzend oder alternativ zu der Neuregelung gelten.[83] Dagegen spricht jedoch die Überzeugung aller gesetzgebenden Instanzen, dass die Neuregelung in § 30 Abs. 2a OWiG auch insoweit als abschließend und nur durch gesetzgeberische Maßnahmen abänderbar anzusehen ist, als sie bestimmte Gestaltungen nicht regelt.[84] Andere befürworten die Anwendbarkeit der Neuregelung nur dann, wenn sowohl die Kartellordnungswidrigkeit als auch der Rechtsnachfolgetatbestand nach (oder genauer: seit) dem 30.6.2013 verwirklicht wurden.[85] Eine differenzierende Auffassung will dagegen die Neuregelung schon dann anwenden, wenn zwar die Tat vor diesem Stichtag beendet, der maßgebliche Zivilrechtsakt für die Gesamtrechtsnachfolge aber erst nach dem Inkrafttreten des § 30 Abs. 2a OWiG vorgenommen wurde.[86] Dagegen wiederum spricht indes, dass die Rechtsprechung die Anwendbarkeit von § 30 OWiG auf die Rechtsnachfolge insgesamt zu Recht an Art. 103 Abs. 2 GG gemessen hat;[87] diese Verfassungsgarantie stellt aber auf den Zeitpunkt ab, „bevor die Tat begangen wurde“. Danach greift nicht nur das Analogieverbot, sondern auch das ebenfalls aus dieser Verfassungsgarantie hergeleitete Verbot der belastenden Rückwirkung straf- und bußgeldrechtlicher Regelungen ein, das für den Gesamt-Tatbestand aus Begehung der Anknüpfungstat, Begründung der Verbandsverantwortlichkeit und Übergang auf einen Rechtsnachfolger gelten muss.[88] Nach allgemeinen Regeln gilt insoweit als Ergänzung des verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbots das Meistbegünstigungsgebotdes § 4 Abs. 3 OWiG. Danach wirkt das neue Recht zurück, soweit die Neuregelung sich für den betroffenen Unternehmensträger konkret günstiger auswirkt (etwa bei § 30 Abs. 2a S. 2 OWiG); soweit es strenger ist, gilt dagegen das Rückwirkungsverbot.
7. Vermögensarrest nach Erlass eines Bußgeldbescheids (§ 30 Abs. 6 OWiG)
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Im Zusammenhang mit § 30 Abs. 2a OWiG steht die in § 30 Abs. 6 OWiG angeordnete entsprechende Anwendung der für die Geldstrafe aus einem Urteil geltenden Norm des § 111e Abs. 2 StPO auf den Bußgeldbescheid; danach kann zur Sicherung der Geldbußforderung aus einem Bußgeldbescheidein Vermögensarrestangeordnet werden.[89] § 30 Abs. 6 OWiG soll nach dem Willen des Gesetzgebers dazu dienen, „Vermögensverschiebungen entgegenzuwirken, die außerhalb von Rechtsnachfolgetatbeständen erfolgen und in ähnlicher Weise die Festsetzung und Vollstreckung einer angemessenen Geldbuße erschweren“.[90] In Kartellbußgeldverfahren wird die Vorschrift insofern überlagert von der durch die 9. GWB-Novelle neu geschaffenen „Ausfallhaftung im Übergangszeitraum“ gemäß § 81a GWB 2017.[91] Der Vermögensarrest soll allein Verbandsgeldbußen gemäß § 30 OWiG sichern.[92] Der Bußgeldbescheid muss noch nicht in Rechtskraft erwachsen sein. Anders als § 111d Abs. 2 StPO a.F. enthält § 111e StPO n.F. keine Verweisung auf das Erfordernis eines Arrestgrundes i.S.v. § 917 ZPO. Dem RegE des VermAbschRefG zufolge sollen die Anforderungen an den Sicherungsgrund in der Sache aber nicht abgesenkt werden.[93] Der Bericht des BT-Wirtschaftsausschusses zur 8. GWB-Novelle hatte mit Recht auf die Verpflichtung der Behörde und des Gerichts hingewiesen, insbesondere im Rahmen der anzustellenden Verhältnismäßigkeitsprüfungzu erwägen, ob durch die Anordnung das Unternehmen gleichsam faktisch handlungsunfähigwürde. Weil das Vermögen zu einem Zeitpunkt arretiert wird, in dem der Bußgeldbescheid noch keine Rechtskraft erlangt hat, verlange Art. 14 GG eine Abwägung des Sicherstellungsinteresses des Staates mit der Eigentumsgarantie des von der Maßnahme Betroffenen[94] Auch der RegE des VermAbschRefG fordert „besonders in Wirtschaftsstrafsachen“ eine sorgfältige Prüfung des Sicherungsbedürfnisses für die Anordnung eines Vermögensarrests.[95]
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