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Eine Verbandsgeldbuße kann nur verhängt werden, wenn jemand in einer Leitungsfunktion für das Unternehmengehandelt hat (§ 30 Abs. 1 OWiG), nämlich
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als generell (s. näher 1. Teil 3. Kap. Rn. 9) vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person oder Mitglied eines solchen Organs (Nr. 1), |
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als Vorstand oder Vorstandsmitglied eines nicht rechtsfähigen Vereins (Nr. 2), |
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als vertretungsberechtigter Gesellschafter einer rechtsfähigen Personengesellschaft (Nr. 3), |
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als Generalbevollmächtigter oder in leitender Stellung als Prokurist oder Handlungsbevollmächtigter eines der Normadressaten des § 30 OWiG (Nr. 4) oder |
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als sonstige Person, die für die Leitung des Betriebes oder Unternehmens eines der gesetzlich genannten Normadressaten verantwortlich handelt, wozu nach ausdrücklicher gesetzlicher Formulierung „auch die Überwachung der Geschäftsführung oder die sonstige Ausübung von Kontrollbefugnissen in leitender Stellung gehört“ (Nr. 5). |
Mit der Einfügung der Nr. 5 durch das hier sog. EU-Rechtsinstrumente-AG von 2002 (o. Rn. 2)[24] hat der Gesetzgeber eine Generalklauselan die Stelle des zuvor in den Nrn. 1–4 formal-zivilrechtlich eingegrenzten numerus clausus von Leitungspositionen gesetzt, die nur noch zur Erleichterung der Rechtsanwendung als bloße Ausfüllungsbeispiele stehen geblieben sind.[25] Maßgeblich ist nunmehr das materielle Kriteriumdes für die Leitung des Betriebes oder Unternehmens verantwortlichen Handelns. Davon erfasst wird bei der GmbH & Co KG auch das Handeln des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH[26]. Zudem sind danach prinzipiell auch die Mitglieder des Aufsichtsrats einer AG oder ggf. einer GmbH und die anderer derartiger Kontrollgremien taugliche Täter einer Anknüpfungstat des § 30 OWiG.
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Die Tragweite dieser Änderungist freilich nicht ganz so groß, wie der erste Anschein glauben macht. Denn das Verhalten der in Nr. 5 Genannten begründet nur dann die Verhängung einer Geldbuße gegen den von ihnen geleiteten Personenverband, wenn es einen Straf- oder Bußgeldtatbestand gibt, der auch für diesen Personenkreis gilt.[27] Der Gesetzgeber hat indes in § 14 StGB und § 9 OWiG die dort für Sonderdelikte des Unternehmensträgers vorgesehene Ausdehnungswirkung nicht auf den gesamten möglichen Täterkreis der Anknüpfungstaten in § 30 Abs. 1 OWiG erstreckt. Deshalb bleibt es etwa für das Vorenthalten von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1 StGB oder für die Aufsichtspflichtverletzung gemäß § 130 OWiG dabei, dass die dort verlangte Sonderpflichtposition als Arbeitgeber bzw. als Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens nur auf die in §§ 14 StGB, 9 OWiG genannten Funktionsträger übergeht, die deshalb auch einzig eine Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit nach diesen Vorschriften als Anknüpfungstat des § 30 OWiG begehen können. S. zum Ganzen näher 1. Teil 3. Kap. Rn. 8 ff.
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Schließlich ermöglicht es die materielle Formulierung der neuen Nr. 5 auch, die Festsetzung einer Verbandsgeldbuße an das bloße faktische Tätigwerdenwie ein bestelltes Organ oder ein rechtsgeschäftlich berufener Vertreter zu knüpfen. Das OWiG stellt in § 30 Abs. 1 Nr. 5 nur noch auf das verantwortliche Handeln für die Leitung des Betriebs oder Unternehmens ab, und der Gesetzgeber des hier sog. EU-Rechtsinstrumente-AG hat zudem ausdrücklich seinen Willen formuliert, dass die Leitungspersonen „ohne Beschränkung auf die Innehabung einer formalen Rechtsposition erfasst werden“ sollen.[28]
2. Handeln „als“ verantwortliche Leitungsperson
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Die Verhängung einer Verbandsgeldbuße ist nur begründet, wenn der Täter der Anknüpfungstat in seiner Funktion „als“ Organ, Vertreter oder sonst verantwortliche Leitungsperson gehandelt hat. Dieses Erfordernis soll das Handeln beider eigentlichen Wahrnehmung der Funktionabschichten von dem Handeln bei bloßer Gelegenheit der Tätigkeit für den Verband.[29] Ob dem Merkmal ein darüber hinausgehender Aussagewert entnommen werden kann, ist strittig. Z.T. wird im Sinne einer funktionalen Betrachtung darauf abgestellt, ob der Täter mit der Anknüpfungstat Wirkungsmöglichkeiten nutzt oder zu nutzen unterlässt, die sich gerade aus der Funktion ergeben, an welche die Zurechnung anknüpft.[30] Auch nach Aufgabe der Interessentheorie durch BGHSt 57, 229 bezieht ein Teil der Literatur zu § 30 OWiG zusätzlich das Kriterium des verfolgten Interesses in die Betrachtung mit ein: Der Täter müsse zumindest auch im Interesse des Unternehmens gehandelt haben; bei ausschließlichem Eigeninteresse fehlt es danach, unabhängig von der Wahrnehmung funktionsspezifischer Wirkungsmöglichkeiten, an einem Handeln „als“ Leitungsperson[31].
Beispiel
Ein Vorstandsmitglied einer im Baugewerbe tätigen AG lässt sich durch das Versprechen und die Zahlung eines beträchtlichen Bestechungsgeldes von dem Repräsentanten eines Arbeitnehmerverleihers dazu bewegen, bei Ausführung eines Bauvorhabens durch die AG für typische Arbeitertätigkeiten entgegen dem Verbot des § 1b AÜG in erheblichem Umfang Leiharbeiter einzusetzen. Insoweit handelt der Täter durchaus noch in Ausübung seiner Organstellung, auch für die funktionelle Betrachtung läge eine Wahrnehmung funktionsspezifischer Handlungsmöglichkeiten vor. Anders müsste aber wohl anhand des Interessenkriteriums entschieden werden. Wenn allerdings das Vorstandsmitglied bei den Verhandlungen den Verhandlungspartner bestiehlt, handelt es nicht mehr „als“ Organ des Verbandes, sondern nur noch bei Gelegenheit der dadurch begründeten Verhandlungssituation[32].
3. Mehrzahl verantwortlich handelnder Personen
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Überschreitet bei einer mehrköpfigen Unternehmensleitungeines ihrer Mitglieder die interne Kompetenzabgrenzung, so hindert das die Zurechnung der Tat nicht, solange sich der Handelnde im Rahmen des Geschäfts und Wirkungskreises des Verbandes und damit im Aufgabenbereichseiner Leitungsorganehält.[33] Wird der Geschäftsleitung ein Unterlassen vorgeworfen, so kommt es darauf an, ob nach dem Grundsatz der Generalverantwortung und Allzuständigkeit aus besonderem Anlass – wie etwa in Krisen und Ausnahmesituationen – das Unternehmen als Ganzes betroffen und deshalb jedes einzelne Mitglied der Geschäftsleitung zum Handeln verpflichtet ist.[34]
V. Die Verbandsgeldbuße als Rechtsfolge
1. Die Doppelfunktion der Geldbuße
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Die Verbandsgeldbuße ist eine Geldbuße i.S.v. §§ 1 und 17 OWiG. Wie die Geldbuße gegen eine natürliche Person erfüllt ihre Verhängung (oder im Sprachgebrauch des § 30 OWiG: Festsetzung) zwei Funktionen:[35]
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Sie dient der gerechten Ahndung der Anknüpfungstatdurch ein Maß der Sanktion, das den auch für strafrechtsähnliche Sanktionen maßgeblichen Anforderungen des Schuldmaßprinzips (Strafe oder strafähnliche Sanktion nach dem Maß der Schuld) entspricht. Dafür stellt § 17 Abs. 3 OWiG Parameter auf, die auch für die Verbandsgeldbuße Bedeutung haben, obwohl § 30 OWiG darauf nicht ausdrücklich Bezug nimmt.[36] Im Kartellordnungswidrigkeit gilt ergänzend § 81 Abs. 4 S. 6 GWB, der zusätzlich auf die Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung abhebt (s.u. Teil 3 Kap. 6 Rn. 52 ff.). |
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Zugleich dient die Verbandsgeldbuße aber – im Regelfall – auch der Abschöpfung des aus der Ordnungswidrigkeit gezogenen wirtschaftlichen Vorteils durch die Geldbuße. § 30 Abs. 3 erklärt § 17 Abs. 4 OWiG für entsprechend anwendbar. Danach soll die Verbandsgeldbuße den wirtschaftlichen Vorteil „übersteigen“, den hier nicht wie in § 17 Abs. 3 OWiG der Täter, sondern der durch die Tat begünstigte Verband[37] aus der Ordnungswidrigkeit gezogen hat (unten Rn. 15). Da es sich um eine Soll-Vorschrift handelt, gilt der Grundsatz, dass durch die Geldbuße der wirtschaftliche Vorteil auch tatsächlich abzuschöpfen ist; von ihm kann nach pflichtgemäßem Ermessen, m.E. aber nur im Rahmen sachlich benennbarer Ausnahmekonstellationen, abgewichen werden.[38] In welcher Höhe die Geldbuße ahndender und in welcher Höhe sie abschöpfender Natur ist, muss sich aus den Entscheidungsgründen ergeben;[39] das gilt wegen der steuerlichen Absetzbarkeit des Abschöpfungsanteils gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 EStG schon für den Bußgeldbescheid.[40] Näher zu den steuerlichen Konsequenzen s. 3. Teil 6. Kap. Rn. 59 und 7. Kap. Rn. 27. |
Entsprechend dem im Ordnungswidrigkeitenrecht geltenden Opportunitätsprinzip (§ 47 OWiG) steht die Verhängung der Verbandsgeldbuße im pflichtgemäßen Ermessen der Entscheidungsinstanz, was § 30 OWiG durch das Wort „kann“ verdeutlicht[41] (zu § 17 Abs. 4 OWiG s.u. Rn. 15).
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