S. ergänzend die Nachweise zum 1. Kap.
1. Teil Das Unternehmen im Wirtschaftsstrafrecht› 2. Kapitel Sanktionen gegen Unternehmen› A. Die Verbandsgeldbuße (§ 30 OWiG)
A. Die Verbandsgeldbuße (§ 30 OWiG)
I. Charakter und Funktion
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Seit 1968 enthält das OWiG eine allgemeine Regelung, welche das ermöglicht, was als Rechtsfolge mit Strafqualität bisher nicht vorgesehen ist: die Verhängung einer ahndenden Geldsanktion gegen eine überpersonale Einheit, einen Personenverband als solchen. Das OWiG spricht in § 30[1] von einer „Geldbuße gegen juristische Personen und Personenvereinigungen“, die Wissenschaft zumeist von der Verbandsgeldbuße. Die synonym verstandene Bezeichnung als „Unternehmensgeldbuße“ empfiehlt sich dagegen nicht, weil § 30 OWiG anders als das europäische Kartellbußgeldrecht gerade nicht Unternehmen und Unternehmensvereinigungen, sondern ausschließlich einzelne Rechtsträger von Unternehmen sanktioniert; es gilt also das Rechtsträgerprinzip.[2] Als Unternehmensgeldbuße verstehen kann man dagegen die 2017 durch die 9. GWB-Novelle[3] auf lenkende Gesellschaften im Unternehmen sowie ihre rechtlichen und wirtschaftlichen Nachfolger ausgedehnte Kartellgeldbuße gemäß § 81 Abs. 3a bis 3e GWB (unten 3. Teil 6. Kap. Rn. 42 ff.); dieser Zusammenhang verbietet geradezu die früher übliche Terminologie. Die Verbandsgeldbuße kann nach der ausdrücklichen Anordnung in § 30 Abs. 1 OWiG nicht nur in Anknüpfung an eine (betriebsbezogene) Ordnungswidrigkeit, sondern auch als Rechtsfolge einer Straftat festgesetzt werden, die von einer Leitungsperson des Unternehmensträgers verwirklicht worden ist. Die ursprüngliche Kennzeichnung der Verbandsgeldbuße als „Nebenfolge“ der von einer Leitungsperson des bebußten Unternehmensträgers begangenen Zuwiderhandlung hat das 2. WiKG von 1986[4] aus der Vorschrift gestrichen. Um klarzustellen, dass die Verbandsgeldbuße keine Nebenfolge mehr sein soll, hat die nachfolgende Gesetzgebung stehen gebliebene verbale Reste der Nebenfolgekonzeption an anderer Stelle (§ 33 Abs. 1 Satz 2 OWiG und in der Überschrift vor § 87 OWiG) beseitigt (unten Rn. 16).[5] Die Verbandsgeldbuße ist heute eine echte Hauptfolge eigener Art[6] bzw. eine eigenständige oder „selbständige Sanktion“[7]. Wie jede Geldbuße (s. § 1 Abs. 1 OWiG) dientsie der Ahndungdes ordnungswidrigen oder strafbaren Verhaltens, an das sie anknüpft,[8] sie begründet also nicht eine bloße vermögensrechtliche Haftung des sanktionierten Unternehmensträgers[9]. Sie zielt auch keineswegs allein oder auch nur vorrangig auf die Abschöpfung der dem Verband zugeflossenen Gewinne ab, wie die Begründung zum RegE des OWiG 1968 noch ganz im Bann der Nebenfolgekonzeption ausgeführt hatte.[10] Mit ihr wird vielmehr im Sinne einer nachdrücklichen Pflichtenmahnung[11] gegenüber dem sanktionierten Rechtsträger eines Unternehmens der objektive Tadel eines Pflichtverstoßes und der Vorwurf schuldhaft vermeidbaren Fehlverhaltens durch seine Leitungspersonen ausgedrückt.[12] Damit hat die Verbandsgeldbuße teil an der präventiven Aufgabe jeder Geldbuße: Sie soll im Sinne der positiven Generalprävention das Vertrauen der Rechtsgenossen in die fortdauernde Gültigkeit der mit der Tat negierten Rechtsnorm und ihre normative Orientierung erhalten und verstärken, indem die zuständigen Instanzen auf den Rechtsverstoß mit einer angemessen strengen, dem Schuldgehalt der Tat entsprechenden Sanktion reagieren.[13]
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Eine Verbandsgeldbuße konnte nach der ursprünglichen Fassung des § 30 OWiG und seines Vorläufers nur angeordnet werden gegen juristische Personen, nicht rechtsfähige Vereine und Personenhandelsgesellschaften. Das – hier so genannte – EU-Rechtsinstrumente-AGvom August 2002[14] hat jedoch den Kreis der in § 30 Abs. 1 OWiG erfassten Normadressaten wesentlich ausgedehnt.
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Mögliche Adressaten einer Verbandsgeldbuße sind zunächst juristische Personen(§ 30 Abs. 1 Nr. 1 OWiG). Die wichtigsten sind die Aktiengesellschaft, die Kommanditgesellschaft auf Aktien, die GmbH, die eingetragene Genossenschaft und der eingetragene Verein, aber auch die Societas Europaea (SE) gemäß Art. 1, 3 VO (EG) 2157/2001, §§ 1, 3 SE-AusführungsG vom 22.12.2004[15]. Auch gegen juristische Personen des öffentlichen Rechts kann nach überwiegender Auffassung eine Verbandsgeldbuße verhängt werden.[16] Die Maßnahme kann sich gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 2 OWiG auch gegen nicht-rechtsfähige Vereinei.S.v. § 55 BGB richten, die durchaus – man denke nur an die Gewerkschaften oder die politischen Parteien – Träger wirtschaftlicher Interessen sein können.
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Als Normadressaten nennt § 30 Abs. 1 Nr. 3 OWiG darüber hinaus heute aber alle rechtsfähigen Personengesellschaften, also solche, die mit der Fähigkeit ausgestattet sind, Rechte zu erwerben und Verbindlichkeiten einzugehen (§ 14 Abs. 2 BGB). Darunter fallen die schon immer in § 30 OWiG erfassten Personenhandelsgesellschaften, d.h. die offene Handelsgesellschaft (oHG, §§ 105 ff. HGB) und die Kommanditgesellschaft (KG, §§ 161 ff. HGB) mitsamt der GmbH & Co KG als einer ihrer besonderen Erscheinungsformen. Wie eine oHG in diesem Sinne ist nach der VO (EWG) Nr. 2137/85 und § 1 des EWIV-AusführungsG vom 14.4.1988[17] auch die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) anzusehen.[18]
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Seit dem EU-Rechtsinstrumente-AG vom August 2002 (o. Rn. 2) ist aber auch die am Rechtsverkehr teilnehmende Gesellschaft bürgerlichen Rechts(§§ 705 ff. BGB) als Außengesellschafttaugliche Adressatin der Verbandsgeldbuße. Ihre Rechtsfähigkeit, die der BGH zuvor endgültig anerkannt hatte,[19] wird vom RegE des EU-Rechtsinstrumente-AG als unzweifelhaft vorausgesetzt.[20] Damit rückt auch die Partnerschaftsgesellschaft für Angehörige freier Berufe nach dem PartGG v. 25.7.1994[21] in den Adressatenkreis der Maßnahme ein.
III. Notwendigkeit einer Anknüpfungstat
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Gemäß § 30 Abs. 1 OWiG kann eine Geldbuße gegen den Verband nur dann verhängt werden, wenn eine ihm zurechenbare Anknüpfungstat begangen worden ist. Das Gesetz verlangt dafür eine von einer Leitungsperson des Verbandes (u. Rn. 8) begangene Straftatoder Ordnungswidrigkeitim technischen Sinne (§ 1 Abs. 1 OWiG) – d.h. eine einen Straf- oder Bußgeldtatbestand erfüllende, rechtswidrig und schuldhaft bzw. (im Sinne der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Terminologie) vorwerfbar begangene Zuwiderhandlung –, durch die entweder betriebsbezogene Pflichten des Verbandes verletzt wurden oder der Verband bereichert wurde bzw. werden sollte.
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Als betriebsbezogenwerden dabei Pflichtenbezeichnet, welche „die juristische Person oder die Personenvereinigung treffen“ (§ 30 Abs. 1 OWiG). Das sind in erster Linie Pflichten, die für den Verband aus seinem besonderen Wirkungskreis resultieren, wie etwa als Arbeitgeber, als Betreiber einer Anlage o. Ä. Eine betriebsbezogene Pflicht in diesem Sinne ist auch die von § 130 OWiG vorausgesetzte Aufsichtspflicht (vgl. 1. Teil 3. Kap. Rn. 38 ff.). Daneben können aber auch jedermann treffende Pflichten dann betriebsbezogen sein, wenn sie sich für den Verband im Zusammenhang mit der Führung des Betriebes ergeben,[22] etwa die Pflicht, die Arbeitnehmer vor Gefahren zu schützen, denen sie am Arbeitsplatz ausgesetzt sind, so dass auch eine fahrlässige Körperverletzung oder fahrlässige Tötung insoweit als Anknüpfungstat in Betracht kommt.[23]
IV. Täterkreis der Anknüpfungstat
1. Innehabung einer materiell für die Unternehmensleitung verantwortlichen Position
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