bb) Strafrechtliche Verantwortlichkeit durch aktives Tun
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Weniger im Fokus des strafrechtlichen Interesses steht bislang eine mögliche Strafbarkeit des Compliance-Beauftragten durch aktives Tun. Das hat mehrere Gründe. Zum einen drängt sich die Problematik der Strafbarkeit wegen Unterlassens – nicht zuletzt durch die „BSR“-Entscheidung des BGH ( Rn. 75) – eher auf. Zum anderen wird man schnell Einigkeit darüber erzielen können, dass in dem Fall aktiven Tuns eben die „allgemeinen Grundsätze“ Anwendung finden können.[344] Allerdings ist in diesem Zusammenhang durchaus besonderer Hervorhebung wert, dass für sämtliche Compliance-Beauftragte – nicht nur für Compliance Officer[345] – insbesondere auch eine Strafbarkeit in mittelbarer Täterschaft kraft Organisationsherrschaft ( Rn. 71 f.) sowie in Zukunft möglicherweise vermehrt in fahrlässiger Mittäterschaft[346] in Betracht kommt.[347]
c) Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der übrigen Unternehmensmitarbeiter
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Hinsichtlich derjenigen Unternehmensmitarbeiter, die weder arbeitsvertraglich noch tatsächlich Compliance-Aufgaben übernommen haben, gelten die allgemeinen Grundsätzezur Begründung strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Zwar scheidet für sie die Annahme einer auf die Funktion als Compliance-Beauftragter gestützten Garantenpflicht zur Verhinderung unternehmensbezogener Straftaten (vgl. o. Rn. 78) naturgemäß aus; allerdings – auch das hat die „BSR“-Entscheidung des BGH ( Rn. 75) in Erinnerung gerufen – kommt die Annahme einer Garantenpflicht aufgrund der dienstlichen Stellung oder eben der arbeitsvertraglichen Verpflichtung (so ihr denn auch tatsächlich nachgekommen wird) durchaus auch für solche Unternehmensmitarbeiter in Betracht, die nicht per se zur Einhaltung der Compliance auf Posten gestellt sind.
2. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit Unternehmensexterner
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Hinsichtlich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit nicht im Unternehmen bzw. für das Unternehmen Beschäftigter ist zu unterscheiden. So wird es insbesondere in größeren Unternehmen mit den dementsprechenden finanziellen Ressourcen häufig so sein, dass externe Rechtsanwälteals Compliance-Beauftragte fungieren.[348] In diesem Fall hat der Anwalt mit sämtlichen Compliance-typischen Schwierigkeiten zu kämpfen[349]; es lässt sich leicht vorhersehen, dass die Rechtsprechung hier sicher (noch) höhere Sorgfaltsanforderungen stellen wird, als an unternehmensinterne Compliance-Beauftragte, bei denen es sich vielfach nicht um Juristen handeln wird. Inwieweit es bei der Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Rechtsanwälten als externe Compliance-Beauftragte um mehr als die bekannten Fragen der Anwaltshaftunggeht,[350] ist wissenschaftlich noch nicht untersucht. Die Unternehmensleitung gerät damit freilich in ein kaum aufzulösendes Dilemma: Beauftragt sie externe Berater, kann im ungünstigsten Fall die strafrechtliche Verantwortlichkeit von – nach Ansicht einer möglicherweise sehr strengen Rechtsprechung[351] – nicht hinreichend sorgfältig agierenden Anwälten auf die Unternehmensleitung zurückfallen. Überträgt sie die Realisierung eines Compliance-Management-Systems auf (nichtjuristische) Unternehmensmitarbeiter, läuft sie Gefahr, den Anforderungen an ein funktionierendes Compliance-System ebenfalls (und erst recht) nicht gerecht zu werden. Im besten Fall wird „die Compliance“ in Zusammenarbeit von unternehmensinternen und -externen Compliance-Beauftragten geleistet werden müssen, die in schwierigen Fällen auch vor der Einholung eines (neutralen und objektiven) Rechtsgutachtens nicht zurückschrecken[352] – für viele mittelständische Unternehmen freilich zweifellos eine wenig realistische Option.[353]
VIII. Zur Zukunft von Criminal Compliance
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Innerhalb der letzten zehn Jahre hat das Phänomen der Criminal Compliance eine beachtliche Karriere gemacht. Die manchmal nicht ganz rationale Aufgeregtheit um kriminalitätsbezogene Compliance hat sich recht schnell gelegt. Die wissenschaftliche Diskussion um Criminal Compliance ist mit kaum gekannter Rasanz und Vehemenz in der Mitte der (internationalen) Strafrechtswissenschaft angekommen. In der Praxis hat (strafrechtliche) Compliance sich in von Beginn an nicht immer von Besonnenheit geprägtem Aktionismus längst als fester Bestandteil der Unternehmenswirklichkeit etabliert. Mittlerweile lässt sich zumindest das immense Ausmaß des Phänomens absehen; die Vorwürfe der „Bedeutungsübersteigerung“ (vgl. Rn. 3) sind zu Recht verstummt. Und noch immer gilt, dass eine Vielzahl weiterer materieller, materiell-rechtlicher und verfahrensrechtlicher Fragen zukünftig diskutiert werden muss. Schon jetzt zeigt sich freilich, dass sich zum einen in Wissenschaft und Praxis fast schon zwei gegenläufige Compliance-Welten etabliert haben, zum anderen die Strafrechtswissenschaft jedenfalls derzeit die Chancen und Schwierigkeiten der Internationalität und Interdisziplinarität des Themas nicht in hinreichender Weise zu erkennen scheint. Auch wenn es häufig nicht immer um vollständig neue und unbekannte Probleme geht, werden aber doch zunehmend – freilich häufig beschränkt auf die nationale Perspektive – spezifische Compliance-Fragen erkannt und diskutiert. Der bereits in der Vorauflage an dieser Stelle antizipierte Paradigmenwechselist in vollem Gange.
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Daneben lässt sich eine Sensibilisierung für die durchaus bereits zu Beginn[354] der strafrechtlichen Compliance-Diskussion erkannten Strafbarkeitsrisiken durch Compliance( Rn. 37, 43) beobachten. Diese Gefahren sind vielfältig: übersteigerte unternehmensinterne Anforderungen, die den Verhaltensmaßstab von Strafnormen mitkonstituieren ( Rn. 43),[355] eine Rechtsprechung, die sich ohne konkreten Anlass von der Compliance-Diskussion nicht unbeeindruckt zeigt und ohne dogmatische Fundierung gleichsam nebenbei strafrechtliche Verantwortlichkeiten generiert (vgl. Rn. 75, 78) oder die Existenz von Compliance-Management-Systemen zum Ankerpunkt ihrer Verantwortlichkeitsbegründung macht ( Rn. 56), eine Gesetzgebung, die (bewusst?) einen Verstoß gegen interne Compliance-Regelungen zum systemfremden Strafbarkeitsmodell erhebt ( Rn. 37) oder die korruptionsfördernde Wirkung von Criminal Compliance[356] sind nur einige Beispiele.[357] Das muss und wird nicht gleich den Abgesang auf Compliance einläuten, kann aber zumindest zu einer rationaleren Diskussion des Compliance-Phänomens im Strafrecht beitragen.
[1]
Vgl. etwa – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – Ahlbrecht/Schlei wistra 2015, 128 (China); Pelz/Saito Sampaio CCZ 2017, 50 (Brasilien); Schumacher/Saby CCZ 2017, 68 (Frankreich). Vgl. insgesamt auch Tiedemann Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 12 ff. m.w.N.
[2]
Engelhart S. 286. Auch im Rahmen der Korruptionsvorwürfe im Siemens-Verfahren richteten sich die Hauptvorwürfe gegen die unzureichende Schaffung von Kontrollmechanismen durch ein Compliance-Programm bzw. die bewusste Umgehung von vorhandenen Kontrollmechanismen im Konzern, vgl. ders. S. 2 ff. Zum FCPA vgl. noch Rübenstahl NZWiSt 2012, 401 (Teil 1), 2013, 6 (Teil 2); Rübenstahl/Skoupil wistra 2013, 209; Grützner CCZ 2016, 231; Kraft FS Wessing, S. 79.
[3]
Wray/Hur 43 Am. Crim. L. Rev. 2006, 1095 (1113 f.).
[4]
Vgl. dazu eingehend Grützner CCZ 2016, 231.
[5]
Engelhart S. 287.
[6]
Vgl. Engelhart S. 287 in Fn. 17.
[7]
www.dii.org.
[8]
Pitt/Groskaufmanis 78 Geo. L. J. 1989–90, 1559 (1598 ff.).
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