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Bei Whistleblowing geht es um die durch Unternehmensangehörige erfolgende unternehmensinterne oder -externe Weitergabe von Informationen über unternehmensbezogene Regelverstöße.[255] Dementsprechend lassen sich internesund externes Whistleblowingunterscheiden.[256] Beim internen Whistleblowingwird die betreffende Information vom Unternehmensmitarbeiter z.B. an seinen Vorgesetzten, die Unternehmensleitung oder eben den Compliance Officer weitergegeben. Beim externen Whistleblowing[257] erfolgt die Weitergabe der Information vom Unternehmensmitarbeiter unmittelbar – also ohne vorherige unternehmensinterne Abklärung – an die Strafverfolgungs- oder die betreffenden Aufsichtsbehörden.[258] Grundsätzlich beklagt wird allenthalben der mangelhafte Schutz von Whistleblowern, der ihrer von den Unternehmen anerkannten Notwendigkeit nicht entspreche.[259] Tatsächlich lässt sich nicht bestreiten, dass zwischen der zumindest theoretischen Bedeutung von Whistleblowern bei der Korruptionsbekämpfung – an privaten Anzeigen fehlt es im Bereich der „opferlosen Heimlichkeitsdelikte“[260] fast völlig[261] – und ihrer rechtlichen Absicherung – noch[262] – eine tiefe Kluft herrscht. Während in den USA[263] und Großbritannien[264], aber auch seitens der EU-Kommission[265], zumindest Versuche zur Klärung der rechtlichen Rahmenbedingungen unternommen worden sind, herrscht in Deutschlandim Zusammenhang mit arbeitsrechtlichen Sanktionen nach einer erstatteten Strafanzeige gegen andere Unternehmensangehörige[266] aufgrund einer mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts[267] jedenfalls nicht ohne Weiteres in Einklang zu bringenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts[268] größte Unsicherheit (s. noch Rn. 65). Auch die jüngste Rechtsprechung des EGMR[269] reicht nicht aus, um insoweit eine stabile Rechtslage herbeizuführen.
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Auch wenn internes Whistleblowingarbeits- oder gar strafrechtliche Sanktionen nicht zu rechtfertigen vermag,[270] sind die praktischen Probleme eines häufig als Denunziantentum aufgefassten Hinweisgebersystems[271] offensichtlich. Bei externem Whistleblowinggerät der Hinweisgeber schnell in den Dunstkreis arbeitsrechtlicher oder gar nebenstrafrechtlicher Sanktionsrisiken. So bleibt nach der Rechtsprechung des BAG (s. bereits Rn. 64) eine Kündigungauch bei wahrheitsgemäßen Anzeigen möglich.[272] In Betracht kommt sogar eine Strafbarkeitdes Whistleblowers.[273] Inwieweit hier eine mögliche Rechtfertigung gem. § 34 StGB eingreift, ist noch nicht abschließend geklärt.[274] Derzeit befindet sich in Umsetzung der EU-Richtlinie 2016/943[275] ein Gesetzesentwurf der Bundesregierung[276] im Gesetzgebungsverfahren. Mit ihm sollen insbesondere mit dem Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGesG)[277] auch Whistleblower besser geschützt werden. Nach dem Gesetzesentwurf kann die Erlangung, Nutzung oder Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses durch Whistleblowing gerechtfertigt sein, wenn dies zum Schutz eines berechtigten Interesses erfolgt. Ein solches berechtigtes Interesse soll insbesondere u.a. dann vorliegen, wenn der Betreffende zur Aufdeckung einer rechtswidrigen Handlung oder eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens handelt. Dabei muss die das Geschäftsgeheimnis erlangende, nutzende oder offenlegende Person in der Absicht handeln, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen.[278]
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Die Diskussion um Whistleblowing als Mittel der Criminal Compliance wird naturgemäß nicht immer rational geführt. Auch wenn in diesem Querschnittsbereich von Kriminalpolitik, Dogmatik und Lobbyismusmoralische und rechtliche Fragen aufscheinen, die von einer Klärung weit entfernt sind, lässt Whistleblowing sich als letztlich konsequente Ausprägung des im Bereich der allgemeinen Kriminalität allenthalben für notwendig und selbstverständlich gehaltenen privaten Anzeigeverhaltens nicht ohne Weiteres und in Bausch und Bogen verdammen.[279]
VII. Zurechnungsfragen in ihrer Bedeutung für Criminal Compliance
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Wenn Criminal Compliance (insbesondere) wirtschaftsstrafrechtliche Sachverhalte zum Gegenstand hat (oben Rn. 36), so macht einen wesentlichen Schwerpunkt kriminalitätsbezogener Compliance-Expertise die Beantwortung der Frage aus, ob ein bestimmtes ökonomisch indiziertes Verhalten die Voraussetzungen eines Straftatbestandes erfüllt. Die Erörterung dieser Fragen – die sinnvollerweise branchenspezifisch zu erfolgen hat – kann hier nicht geleistet werden.[280] Daneben stellen sich im Unternehmenskontext grundlegende allgemeine Zurechnungsfragen. Mit ihnen beschäftigt sich der folgende Abschnitt. Dabei lässt sich grundsätzlich zunächst zwischen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Unternehmensangehörigen( Rn. 68 ff.) und der strafrechtlichen Verantwortlichkeit Unternehmensexterner( Rn. 82) unterscheiden. Hinsichtlich der Strafbarkeit von Unternehmensangehörigen kann zwischen Angehörigen der Unternehmensleitung ( Rn. 68 ff.), den spezifisch für Compliance Zuständigen („Compliance-Beauftragte“, Rn. 78 ff.) sowie den übrigen Unternehmensmitarbeitern ( Rn. 81) differenziert werden. Mit der zunehmenden Inanspruchnahme externer Compliance-Berater gerät darüber hinaus auch deren mögliche Strafbarkeit in den Fokus des Interesses ( Rn. 82).
1. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmensangehörigen
a) Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Unternehmensleitung
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Im Hinblick auf eine mögliche strafrechtliche Verantwortlichkeit der Leitungspersonen eines Unternehmens (einer Organisation, vgl. oben Rn. 36) sind zwei Problemkreise zu unterscheiden. Dabei geht es zum einen um die Verantwortung der Leitungspersonen für das Verhalten der Mitarbeiter, die durch ein aktives Tun( Rn. 69 ff.) begründet wird. Unter Compliance-Gesichtspunkten sind es dabei zwei gleichermaßen berühmte BGH-Entscheidungen, die die täterschaftliche Verantwortlichkeit von Angehörigen der Geschäftsleitung auf durchaus bemerkenswert unterschiedliche Art und Weise begründen ( Rn. 69 ff.). Zum anderen muss der Frage nachgegangen werden, was aus einer strafrechtlich relevanten Untätigkeitder Unternehmensleitung ( Rn. 73 ff.) folgt und welche Anforderungen an eine strafrechtliche Verantwortlichkeit insoweit zu stellen sind. Insoweit hat ein aktuelles BGH-Urteil die bereits zuvor herrschende Meinung in der Literatur bestätigt und konkretisiert ( Rn. 75).
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Bereits seit einiger Zeit geraten zunehmend nicht mehr nur die eine Straftat unmittelbar Ausführenden – also die gem. § 25 Abs. 1 Var. 1 StGB als unmittelbare Täter strafrechtlich (häufig recht unproblematisch) Verantwortlichen –, sondern verstärkt auch die Hintermänner als für die Begehung einer Straftat „eigentlich“ Verantwortlichen in den Fokus von Strafverfolgungsbehörden und Strafrechtswissenschaft. Diese Entwicklung ist im Kernstrafrecht ebenso zu beobachten wie im Wirtschaftsstrafrecht. Dabei lassen sich zwei grundsätzliche Modelleder Begründung strafrechtlicher Verantwortlichkeitunterscheiden:
(1) Generalverantwortung und Allzuständigkeit – BGHSt 37, 106 („Lederspray“)
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Das erste Modellzeichnet sich dadurch aus, dass insbesondere im Unternehmenskontext die gesellschaftsrechtliche Pflichtenstellung des präsumtiven Täters in das Strafrecht übertragen wird. Danach ist dann nicht mehr die traditionell für erforderlich gehaltene faktische Beherrschung eines Geschehensablaufs, sondern nur noch und bereits die (außerstraf-)rechtliche Zuständigkeit ausschlaggebend. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit wird dabei über einen normativen Abgleich mit der zivilrechtlichen Haftung zugeschrieben. Auf diese Weise ist der BGHinsbesondere in der bekannten „ Lederspray“-Entscheidung ( BGHSt 37, 106)vorgegangen, wo er den Grundsatz der Generalverantwortung und Allzuständigkeitjedenfalls für Krisensituationen, in denen „das Unternehmen als Ganzes betroffen“ ist,[281] in das Strafrecht überträgt.[282] Nicht zuletzt aufgrund dieser recht unbekümmerten Gleichschaltung von zivil- und strafrechtlicher Verantwortlichkeit hat der BGH vielfältige Kritik erfahren.[283] Nicht zu Unrecht hat man in der Perspektivenänderung von der traditionellen bottom up- zur modernen top down-Zurechnung einen Paradigmenwechsel erblickt, der überkommene strafrechtliche Zurechnungskategorien ohne grundlegende dogmatische Fundierung auf den Kopf stellt.[284] Obwohl insbesondere im Wirtschaftsstrafrecht in einigen Bereichen eine deutliche Abkehr von einer zivilistischen und eine Hinwendung zu einer eher faktischen („wirtschaftlichen“) Auslegung zu beobachten ist,[285] stellt die Entscheidung des BGH insoweit auch einen Beleg für eine prägnante und weiter zunehmende Normativierung der Beteiligungsdogmatik – auch und gerade im Wirtschaftsstrafrecht – dar (vgl. auch insoweit noch Rn. 71).
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