– |
im Unternehmen durchgeführte Maßnahmen, |
– |
die nicht von Regelprüfungen mit umfasst sind, |
– |
die durch Informationen jedweder Art[220] veranlasst sind, die den Verdacht eines Regelverstoßes begründen, |
– |
die durch das von dem Sachverhalt betroffene Unternehmen selbst initiiert werden, |
– |
die von Unternehmensmitarbeitern oder im Auftrag des Unternehmens von Dritten durchgeführt und |
– |
separat von der staatlichen Ermittlungstätigkeit ausgeführt werden, und |
– |
mit dem Ziel der Wahrheitserforschung (= Versuch der Aufklärung eines [straf-]rechtlich relevanten Sachverhaltes) zum Zwecke der Sanktionierung erfolgen. |
59
Zu Recht weitgehend unbestritten ist die grundsätzliche zivil- bzw. arbeitsrechtliche Zulässigkeit interner Ermittlungen.[221] Ebenso unmittelbar einsichtig ist freilich, dass unternehmensinterne – private – Ermittlungen die Gefahr bergen, in Widerspruch zu den Garantien des staatlichen Strafverfahrens zu geraten. Die Absicherung der Beschuldigtenrechte erscheint daher in besonderem Maße wichtig (s. Rn. 60 f.).
60
Prinzipielle rechtliche Bedenkengegen unternehmensinterne Ermittlungen (vgl. Rn. 58) bestehen nicht.[222] Dem Zivilprozess (Stichwort: Beibringungsgrundsatz) sind solche Ermittlungen sogar nachgerade immanent.[223] Aber auch im Strafprozess ist es dem Verteidiger nicht verwehrt, selbst zur Aufklärung beizutragen.[224] Dem Beschuldigten und dem Angeklagten bleibt es – auch bei parallel laufendem staatlichem Strafverfahren – unbenommen, eigene Ermittlungsmaßnahmen zu ergreifen.[225] Rechtswidrig sind solche Ermittlungen nicht per se, vielmehr werden sie es erst dann, wenn die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit – etwa durch Täuschung, Drohung, Manipulation etc. – überschritten werden. Auch Zwangsmittel – z.B. Beschlagnahme und Durchsuchung – stehen im Rahmen privater Ermittlungen selbstverständlich nicht zur Verfügung. Nach Jahn ist die Grenze privater Ermittlungstätigkeit dort zu ziehen, wo sie „das aus dem Legalitätsprinzip fließende Ermittlungsmonopol der Staatsanwaltschaft im ganzen ernsthaft herausfordert.“[226]
61
Die besondere Problematikder unternehmensinternen Untersuchungen für das Strafverfahren resultiert daraus, dass die arbeitsrechtliche Aussagepflichtmit dem strafrechtlichen Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusarezu kollidieren droht.[227] Tatsächlich geht die herrschende Meinung im Zivilrecht davon aus, dass die Aussage des betroffenen Mitarbeiters durch arbeitsrechtliche Sanktionen zulässigerweise erzwungen werden kann.[228] Diese Auskunftspflicht besteht nicht nur gegenüber dem Unternehmen selbst, sondern auch und zugleich gegenüber einer von diesem gegebenenfalls mandatierten Kanzlei.[229] Dass der Mitarbeiter sich als Beschuldigter im Strafverfahren auf sein Schweigerecht berufen kann, hilft ihm dann tatsächlich nichts, da die von den Strafverfolgungsorganen begehrte Information Eingang in das Strafverfahren über die Zeugenaussage desjenigen finden kann, der im Rahmen der internal investigations mit der Vornahme der betreffenden privaten Ermittlungsmaßnahme betraut war.[230] Damit stellt sich die Frage nach Existenz und Reichweite eines Beweisverwertungsverbots.[231] Im Ergebnis wird man mit Teilen der Literatur nicht nur ein auf Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG zu stützendes[232] selbstständiges Beweisverwertungsverbotannehmen,[233] sondern diesem – entgegen zum Teil geäußerter Ansicht[234] – darüber hinaus eine Fernwirkungim Sinne eines Beweisverwendungsverbotsattestieren müssen.[235] Damit ist sowohl – in Erweiterung des traditionellen Schutzbereichs des Selbstbelastungsverbots[236] – einer bloßen Duldungspflicht des Beschuldigten ebenso eine Absage erteilt,[237] wie auch im Wege eines nachwirkenden[238] Verwendungsverbots es den Strafverfolgungsorganen untersagt ist, die aufgrund der zivilrechtlichen Aussagepflicht erlangten Informationen zum Ansatzpunkt für weitere Ermittlungen zu machen oder zur Schaffung selbstständiger Beweismittel zu nutzen.[239] Wer hier anders entscheidet, und also zulässt, dass im Rahmen interner Ermittlungen gemachte Äußerungen von den Strafverfolgungsbehörden zum Anlass genommen werden können, Ermittlungen gegen den betreffenden Unternehmensmitarbeiter aufzunehmen, und dessen spätere Verurteilung auf selbstständige, erst im Strafverfahren gewonnene und von der Aussage gegenüber den privaten Ermittlungspersonen nicht abhängige Beweise gestützt werden kann, obwohl Ausgangspunkt der Ermittlungen erzwungene, eigenbelastende Aussagen waren,[240] untergräbt die Schutzgarantie des Selbstbelastungsverbots: Insbesondere im Zusammenhang mit unternehmensinternen Ermittlungen, die häufig einen Wust an Informationen zutage fördern und so eine Vielzahl von Anhaltspunkten für weitere Ermittlungen oder die Gewinnung selbstständiger Beweismittel schaffen, liefe der Schutz des nemo tenetur-Grundsatzes faktisch leer.[241] Dass die zivilrechtlich erzwungene Aussage als solche nicht verwertet werden kann, hilft dem Beschuldigten dann faktisch nichts.
62
Für die Frage nach der Zulässigkeit der Beschlagnahmevon im Rahmen interner Untersuchungenangefertigten Akten und Daten hat das Bundesverfassungsgericht in mehreren mit Spannung erwarteten Entscheidungen nunmehr im Juni 2018 freilich zu Ungunsten der Beschwerdeführer entschieden. In drei Kammerbeschlüssen hat das Bundesverfassungsgerichtdie Verfassungsbeschwerden der Volkswagen AG[242], der Kanzlei Jones Day[243] sowie dreier beteiligter Rechtsanwälte[244] nicht zur Entscheidung angenommen. Dabei hat es insbesondere in der ersten Entscheidung[245] ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin (VW) zwar in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen sei[246]; dieser Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sei jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt[247]. Dabei wird die Zulässigkeit von Beschlagnahmen im konkreten Fall ausschließlich an § 97 StPO gemessen, § 160a Abs. 1 S. 1 StPO werde grundsätzlich verdrängt.[248] Dabei formuliert die Kammer ausdrücklich: „Von Verfassungs wegen ist es dagegen nicht geboten, eine beschuldigtenähnliche Stellung, die einen Beschlagnahmeschutz aus § 97 Abs. 1 StPO nach sich zieht, bereits dann anzunehmen, wenn ein Unternehmen ein künftiges gegen sich gerichtetes Ermittlungsverfahren lediglich befürchtet und sich vor diesem Hintergrund anwaltlich beraten lässt oder eine unternehmensinterne Untersuchung in Auftrag gibt.“[249] Es liegt auf der Hand, dass diese Entscheidung einschneidenden Einfluss auf die Entwicklung strafrechtlicher Compliance haben wird.
63
Auch die Probleme, die aus dem der amerikanischen Unternehmenspraxis entstammenden Whistleblowing[251] resultieren, sind dem Strafrecht schon im Rahmen der allgemeinen Kriminalitätsbekämpfung durchaus nicht unbekannt. So wird bereits im Bereich der allgemeinen Kriminalität das Eingreifen der Strafverfolgungsorgane in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle[252] durch private Anzeigen angestoßen.[253] Aber auch im Unternehmenskontext erhält die Thematik eines unternehmensgebundenen Hinweisgebersystemsals von vielen für unverzichtbar gehaltenes[254] Wesensmerkmal der Criminal Compliance – ähnlich wie bei den unternehmensinternen Ermittlungen (vgl. dazu oben Rn. 57 ff.) – eine eigenständige Qualität ( Rn. 64). Denn der Unternehmensmitarbeiter hat, anders als der private Hinweisgeber, als dem Unternehmen angehörender Informant ihn unmittelbar treffende Konsequenzen arbeitsrechtlicher oder gar strafrechtlicher Art zu fürchten ( Rn. 65).
Читать дальше