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Nach neuem Recht erfolgt die Bestimmung des „erlangten Etwas“ (als einem Kernthema des materiellen Abschöpfungsrechts) in zwei Schritten: Zunächst werden nach einem weit zu verstehenden Kausalitätsansatz alle „durch“ oder „für“ die rechtswidrige Tat erlangten Vermögenswerte auf Basis des Bruttoprinzips erfasst (§ 73 Abs. 1 StGB).[769] Dabei sind alle messbaren oder zu schätzenden (§ 73d Abs. 2 StGB) wirtschaftlichen Werte, die durch oder für die Anlasstat in das Vermögen des Täters, Teilnehmers oder Drittbegünstigten geflossen sind, in ihrer Gesamtheit erfasst. Ist ein Zugriff auf den ursprünglichen erlangten Tatgegenstand nicht oder nicht mit seinem ursprünglichen Wert möglich (bei Geldbeträgen tritt dies grds. bereits bei Vermischung ein), wird nach § 73c StGB die Einziehung des Wertes des Tatertrags angeordnet. Dieser wird gem. § 73d Abs. 1 StGB in einer mehrstufigen Gedankenoperation normativ unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens von § 817 S. 2 BGB („Was in Verbotenes investiert wurde, muss unwiederbringlich verloren sein“ [770]) festgesetzt.[771] Konkret bleibt es bei einer Bruttoabschöpfung , wenn der Tatbeteiligte bzw. Drittbegünstigte etwas vorsätzlich [772] für die Vorbereitung oder Begehung der Tat aufgewendet hat (§ 73d Abs. 1 S. 2 1. Var. StGB);[773] anderenfalls sind unter Rückgriff auf eine Nettobetrachtung Aufwendungen abzuziehen (§ 73d Abs. 1 S. 1 und Abs. 1 S. 2 StGB).[774] Entscheidend für die Abgrenzung ist, dass der Begriff der Tat i.S.v. § 73d Abs. 1 StGB tatbestandlich-formal bzw. deliktsbezogen und nicht in einem weiteren Sinne mit Blick auf das wirtschaftliche Gesamtprojekt des Täters bzw. Teilnehmers interpretiert wird.[775] Erfasst ist dabei die Phase der Vorbereitung der Tat bis hin zu deren materieller Beendigung.[776] Erlangt – wie häufig – das Unternehmen des bestechenden Mitarbeiters durch dessen Tat Etwas (beispielsweise einen lukrativen Auftrag), ermöglicht § 73b Abs. 1 StGB auch die Abschöpfung bei diesem an der Bestechungstat unbeteiligtem Dritten (sog. Drittempfängereinziehung).[777] In Vertretungsfällen (Nr. 1)[778] tritt der Vermögensvorteil beim Unternehmen unmittelbar auf Grund des Handelns des Täters als Organ bzw. Vertreter des Dritten oder auch als sonstiger Angehöriger der Organisation in deren Interesse (z.B. als Angestellter) ein.[779] Sieht man das Aushandeln von Vorteilen für den Geschäftsherrn mit dessen Einverständnis bzw. Billigung – wie bereits dargestellt[780] – richtigerweise nicht als strafbare Zuwendung an einen Dritten i.S.d. § 299 StGB (und damit als nicht tatbestandsmäßig) an, ist in diesen Fällen auch die Anordnung einer (Wertersatz-) Einziehung nicht möglich.
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Bei Korruptionsdeliktensind nach reformiertem Recht alle Vermögensflüsse unter Abschöpfungsgesichtspunkten zu betrachten, die mit dem regelwidrigen Vorteilsaustausch ( do ut des ) kausal zusammenhängen, denn sie (bzw. ihr Wert) sind „durch“ die Bestechungstat erlangt (§§ 73 Abs. 1, 73c StGB).[781] Zunächst unterliegt der gezahlte Bestechungslohn(oder dessen Wert) der Einziehung bei demjenigen, der ihn in seinen Händen hat.[782] In den Wettbewerbsvarianten(§ 299 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB) ist weiter zu ermitteln, was angesichts der unlauteren Bevorzugung im Wettbewerb – etwa bei korruptiver Auftragsmanipulation– zugeflossen ist. Nach altem Recht bestanden die Schwierigkeiten hier in der Bestimmung des erlangten „Etwas“. Der 5. BGH-Strafsenat hatte den Vermögenszuwachs in der Ende 2005 ergangenen (Leit-)Entscheidung zum „Kölner Müllskandal“ wie folgt bestimmt: Erfasst sei der gesamte wirtschaftliche Wert des Auftrags im Zeitpunkt des Vertragsschlusses, also der – wenn nötig nach § 73b StGB a.F. zu schätzende – kalkulierte Gewinn nebst etwaiger weiterer (mittelbarer) wirtschaftlicher Vorteile aus dem Auftrag. Der vereinbarte Werklohn selbst sei dagegen nicht unmittelbar aus der Bestechung erlangt.[783] Diese Berechnungsmethode hatte der 1. BGH-Strafsenat – wenngleich in einem Urteil zur strafbaren Werbung i.S.v. § 16 Abs. 1 UWG – in Frage gestellt.[784] Nach neuem Recht erfolgt die Bestimmung des erlangten Etwas – wie ausgeführt ( Rn. 125) – zweistufig in einem Zusammenspiel von §§ 73 Abs. 1 und § 73d Abs. 1 StGB (normativ korrigiertes Bruttoprinzip). D.h. etwa im Fall des durch Bestechung erlangten Werkvertrages Folgendes: Zunächst ist der gesamte (kausale) wirtschaftliche Zufluss das „durch“ die Bestechungstat Erlangte, also insbesondere auch der erhaltene (Werk-)Lohn (§§ 73 Abs. 1, 73c StGB). Erst im zweiten Schritt werden die im zeitlichen und sachlichen Kontext stehenden Aufwendungen und damit sowohl das gezahlte Bestechungsgeld als auch die Kosten für Bauplanung- und Durchführung nach § 73d Abs. 1 StGB berücksichtigt. Jedoch unterfällt das Bestechungsgeld dem Abzugsverbot, also der Rückausnahme gem. § 73d Abs. 1 S. 2 Hs. 1 StGB, denn es wurde zur Begehung der Tat aufgewendet. Dagegen sind insbesondere die Personal- und Materialkosten keine Investitionen in „Verbotenes“ (nicht zur Tatbegehung oder Vorbereitung aufgewendet), sondern in „Erlaubtes“ und bleiben damit (als beanstandungsfreie Leistungen) abzugsfähig. Im Ergebnis wird also der Gewinn abgeschöpft, der (regelmäßig) mindestens so hoch ist, wie die im Werklohn eingepreisten Bestechungskosten.[785]
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Es stellt sich weiter die Frage, welche Werte bei der Pflichtverletzungsvariantegem. § 299 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 StGB einzuziehen sind. Ein typischer Anwendungsfall, der auch dem Gesetzgeber vor Augen stand, ist die erkaufte, gegen bankinterne Richtlinien verstoßende Kreditvergabe ohne Bonitätsprüfung außerhalb einer Wettbewerbssituation.[786] Als mögliche Abschöpfungsadressaten kommen hier – je nach Einzelfall – Bankmitarbeiter, Kreditempfänger und sogar die auszahlende Bank in Betracht. Zur Veranschaulichung der Thematik ein.
Beispiel
Ein Unternehmer besticht einen Bankangestellten, um trotz erheblicher Liquiditätsschwierigkeiten ohne Bonitätsprüfung einen Kredit zu erhalten. Nach dem vermeintlich positiven Prüfungsergebnis wird in einer anderen Abteilung der Kreditvertrag ohne Bestellung von werthaltigen Sicherheiten geschlossen und die Darlehenssumme ausgezahlt. In der Folgezeit gelingt es dem Unternehmer nicht, sein Geschäft zu beleben. Er kann den Kredit nicht zurückzahlen.
Der (erste) Bankmitarbeiter hat § 299 Abs. 1 Nr. 2 StGB verwirklicht, da er im Gegenzug für die unterlassene Bonitätsprüfung den Bestechungslohn annahm. „Durch“ diese Tat hat er eine Geldzahlung erlangt.[787] Ihr Wert ist nach § 73c StGB einzuziehen. Indem der Bankangestellte die Bonität des Unternehmers zu Unrecht bestätigt hat, täuschte er einen anderen Bankmitarbeiter und schädigte dadurch im Ergebnis das Vermögen der Bank. Neben § 299 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist durch eine weitere Handlung ggf. auch § 263 Abs. 1 StGB tatmehrheitlich verwirklicht.[788] § 73 Abs. 1 StGB ist aber nicht zweifach anzuwenden. Denn nach Sinn und Zweck der §§ 73 ff. StGB ist die strafrechtswidrige Bereicherung beim bestochenen Bankmitarbeiter nur einmal abzuschöpfen.
Der Unternehmer hat § 299 Abs. 2 Nr. 2 StGB verwirklicht, indem er den Bankmitarbeiter für das Unterlassen der Bonitätsprüfung bezahlte. „Durch“ die Tat hat er zunächst den Anspruch auf die Kreditauszahlung erlangt (§ 73 Abs. 1 StGB). Die ausgezahlte Darlehenssumme ist als Surrogat nach § 73 Abs. 3 Nr. 2 StGB abschöpfbar. Da das nicht mehr möglich ist, muss nach § 73c StGB ihr Wert eingezogen werden. Dabei ist § 73d StGB zu berücksichtigen.[789] Nach dieser Vorschrift mindern Aufwendungen des Täters oder Teilnehmers den Einziehungsumfang (Abs. 1 S. 1), es sei denn, das Vermögen wurde „für die Begehung der Tat oder ihre Vorbereitung aufgewendet oder eingesetzt“ (Abs. 1 S. 2 Var. 1). Eine Ausnahme vom Abzugsverbot gilt wiederum für Leistungen zur Erfüllung einer Verbindlichkeit gegenüber dem Tatverletzten (Abs. 1 S. 2 Var. 2).
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