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Ob die vom Gesetzgeber mit der Schaffung des Einwilligungsvorbehalts angestrebte Rechtssicherheit für die Agenten in der Praxis tatsächlich erreicht wird, hängt auch und gerade von klaren Zuständigkeitenab. Eine gesetzliche Regelung findet sich hierzu (leider) nicht. In diesem Zusammenhang bestehende große Unsicherheiten im Anwendungsbereich der Untreue lassen an dieser Stelle nichts Gutes erahnen[505] In der Sache sollte Konsens darüber zu erzielen sein, dass es sich um eine Frage der internen Geschäftsverteilungund damit um eine Frage der Binnenorganisation des jeweiligen Unternehmenshandelt.[506] Zuständig für die Abgabe des Einverständnisses ist der Prinzipal (bei kleinen Unternehmen etwa der Inhaber selbst) oder die von ihm bzw. kraft Gesetzes ermächtigte Person.[507]
6. Subjektive Erfordernisse
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In subjektiver Hinsicht setzt § 299 Abs. 1 StGB (zumindest bedingten) Vorsatzbezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale voraus,[508] d.h. der Täter muss seine Stellung als Angestellter oder Beauftragter eines Unternehmens zutreffend erfasst haben und für möglich halten sowie billigend in Kauf nehmen, dass sein Verhalten im geschäftlichen Verkehr bei dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen erfolgt. In der Tatvariante des Forderns muss der Täter darüber hinaus den Abschluss der Unrechtsvereinbarung anstreben, also in der Absicht (i.S.d. dolus directus 1. Grades) handeln, den Vorteil als Gegenleistung für die angebotene Bevorzugung oder die pflichtwidrige Handlung zu erhalten,[509] während es bei den Handlungsmodalitäten des Sichversprechenlassens und der Annahme eines Vorteils ausreicht, dass sich der Täter der Unrechtsvereinbarung bewusst ist.[510] Auf die vom Täter errechneten Erfolgschancen kommt es dagegen nicht an.[511]
Beispiel
Einkäufer A fordert von Anbieter B eine Zahlung von 3% der Auftragssumme dafür, dass er ihm den Auftrag trotz eines günstigeren Angebots von C erteile. Tatsächlich hat A weder vor, das Geld anzunehmen, noch, B den Auftrag zu erteilen. Er möchte nur „testen“, ob B auf seine Forderung eingeht. Nach ganz h. M. macht A sich durch dieses Verhalten nicht nach § 299 Abs. 1 StGB strafbar, weil er keine auf eine Unrechtsvereinbarung gerichtete Absicht hat.[512]
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Um Vorsatz bezüglich der „unlauteren“ Bevorzugung gem. § 299 Abs. 1 Nr. 1 StGBzu haben, muss der Täter nur die das Werturteil der Unlauterkeit tragenden tatsächlichen Umstände kennen – d.h. nach hier vertretener Ansicht wissen, dass neben der Bezugsvereinbarung noch eine Unrechtsvereinbarung abgeschlossen wird bzw. werden soll[513] – und sich ihrer sozialen Bedeutung laienhaft bewusst sein;[514] anderenfalls bleibt er wegen Vorliegens eines Tatumstandsirrtums (vgl. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB) straflos.[515] Ein Irrtum über die normative Bedeutung des Begriffs der Unlauterkeit ist dagegen nach § 17 StGB zu beurteilen.[516] Von der Unlauterkeit der Bevorzugung, die hier in der Sache als negatives Tatbestandsmerkmal behandelt wird, ist schon dann auszugehen, wenn sich der Täter hinsichtlich der die Unlauterkeit ausnahmsweise ausschließenden Gründe ([unter-]gesetzliche Freistellungen, Sozialadäquanz) keine Vorstellungen macht („Umkehrungsthese“).[517]
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Hinsichtlich der Pflichtverletzungsvariante gem. § 299 Abs. 1 Nr. 2 StGBreicht es für den Vorsatz, wenn der Täter die Umstände kennt, die die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens gegenüber dem Unternehmen begründen; mangelt es daran, handelt er im Tatumstandsirrtum (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB). Fehlbewertungen zur Pflichtwidrigkeitsebene des Verhaltens können allenfalls zum Verbotsirrtum nach § 17 StGB führen. Gleiches gilt mit Blick auf die Einwilligung des Prinzipals in die Vorteilsannahme und die pflichtwidrige Handlung, die bei der Geschäftsherrenvariante bereits den Tatbestand ausschließt.[518]
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Stellt sich der Vorteilsgeberzu seinen Gunsten vor, der Angestellte oder Beauftragte sei Unternehmensinhaber, handelt er ohne Vorsatz und damit straflos. Der umgekehrte Fall der irrtümlichen Annahme einer Angestellten- oder Beauftragtenstellung, obwohl der Vorteilsnehmer Betriebsinhaber ist, führt zum untauglichen Versuch, der bei § 299 Abs. 1 StGB straflos ist.[519] Auf Vorteilsnehmerseite wirkt sich die fälschliche Vorstellung des Gebers, der Agent sei Geschäftsherr, allerdings nicht aus. Denn die Unrechtsvereinbarung erfordert keine zutreffende gemeinsame Vorstellung (Konsens) von der Täterstellung.[520]
7. Sonderproblem: „Entschleierte Schmiergelder“
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Eine verbreitete Form der Verkaufsförderung besteht darin, dass Hersteller von Waren oder Anbieter von Dienstleistungen im Rahmen sog. „Incentive-Programme“den Angestellten von unabhängigen[521] Händlern oder Vermittlern Prämien in Aussicht stellen, damit diese möglichst viele Produkte der Herstellers verkaufen bzw. Dienste des Dienstleisters vermitteln.[522] Im Regelfall findet die Vorteilszuwendung an die Angestellten mit Wissen und Billigung des Geschäftsinhabersstatt,[523] weshalb man auch von „entschleierten“ Schmiergeldern spricht[524] (s. schon Rn. 51). Dazu ein berühmtes Beispiel:
Beispiel (nach RGSt 48, 291 ff. – „Korkengeldfall“)[525]
Ein Sekthersteller verspricht Kellnern eines Restaurants mit Billigung des Inhabers für jede an einen Gast verkaufte Flasche eines Sektes aus eigener Produktion ein „Korkengeld“ von 0,50 €.
Das Reichsgericht hat den Sekthersteller[526] in seinem „Korkengeld“-Urteil von 1914 nach § 12 Abs. 1 UWG a.F. verurteilt, der dem heutigen § 299 Abs. 2 Nr. 1 StGB bis auf hier nicht relevante Änderungen entspricht.[527] Dass der Restaurantinhaber dem Prämienprogramm zugestimmt hatte, hielt der Senat dabei für strafrechtlich irrelevant.[528]
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Angesichts der weiten Verbreitung von „Incentive-Programmen“, deren Ausgestaltung der „Korkengeld“-Konstellation ähnelt, ist es bemerkenswert, dass die strafbarkeitsbejahende Entscheidung des Reichsgerichts in der Literatur lange Zeit kaum angegriffen wurde.[529] In den letzten Jahren hat insofern allerdings ein Umdenken eingesetzt; die Akzeptanz des „Korkengeld“-Urteils schwindet– auch und gerade bei – sich vertiefender mit § 299 StGB auseinandersetzenden Autoren[530] – merklich.[531] Die nunmehr überwiegende Auffassung hält „entschleierte Schmiergelder“ jedenfalls im Bereich von Standardprodukten und -dienstleistungen[532] zu Recht für straflos.[533] Jüngere Entscheidungen der Obergerichte zu dieser Frage existieren – soweit ersichtlich – nicht, sodass es heute überaus fraglich ist, ob diese Ansicht des RG auch nach den zwischenzeitlich erfolgten wirtschaftlichen und insbesondere wirtschaftsrechtlichen Veränderungen (durch die UWG-Reform) noch Geltung beanspruchen kann.[534] Es bleibt aber eine erhebliche Rechtsunsicherheit nicht nur im Umgang mit „Verkäufer-Incentive-Programmen“ bestehen.[535]
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Gegen die „Korkengeld“-Entscheidung lässt sich Verschiedenes anführen. Systematischist zunächst zu monieren, dass die Bestrafung der beteiligten Vorteilsempfänger in Fällen dieser Struktur zu einem Wertungswiderspruch führt. Denn der Geschäftsherr darf – insoweit unbestritten – selbst Vorteile sowohl von Dritten annehmen („straflose Geschäftsherrenbestechung“[536]) als auch seinen eigenen Mitarbeitern gewähren („straflose Innenbestechung“[537]). Eine nur unwesentlich abweichende Gestaltung des Geschehens etwa dergestalt, dass sich der Geschäftsherr den Vorteil selbst geben lässt, um ihn dann (zumindest teilweise) an seine Angestellten (z.B. als Verkaufsprämie) weiterzuleiten, müsste demnach zur Straflosigkeit führen (der Ansatz des Reichsgerichts „privilegiert also Komödien“).[538] „Konstruktiv“ lässt sich dieses Ergebnis durch die Annahme vermeiden, der Geschäftsinhaber mache sich durch die (ausdrückliche oder konkludente) Billigung das Verhalten seines (zumeist weisungsgebundenen) Angestellten zu eigen und „verdränge“ dadurch dessen Handlung, so dass im Ergebnisvon einer tatbestandslosen Geschäftsinhaberbestechungauszugehen ist.[539] Für eine solche teleologische Reduktion des Normanwendungsbereichs spricht auch, dass der Grund für die Straflosigkeit des Geschäftsinhabers in der besonderen Achtung des Gesetzgebers vor dessen Vertragsfreiheit liegt.[540] In einer arbeitsteiligen Wirtschaft wird sich der Geschäftsinhaber aber in vielen Fällen seiner Angestellten bedienen, um Verträge einzugehen, im Extremfall durch die bloße „Billigung“ des Vertragsschlusses,[541] so dass letztlich auch in der Annahme einer Strafbarkeit des Angestellten in solchen Fällen ein Eingriff in die Vertragsfreiheit des Geschäftsinhabers liegen kann. Dieses Ergebnis lässt sich weiter mit einer rechtsgutsbezogenen Argumentation untermauern.[542] Wenn die Gegenmeinung für ihre These (im Kern) anführt, der lautere Wettbewerb sei für den Geschäftsinhaber nicht disponibel, ist das bei vordergründiger Betrachtung zwar richtig. Sie übersieht aber in eklatanter Weise die vorstehend skizzierten Auswirkungen der Geschäftsinhaberzustimmung auf ein konsistentes Norm- und Rechtsgutsverständnis und kann so nicht aufrechterhalten werden.[543]
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