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Als Schutzinteressendes § 299 StGB (nunmehr der Nrn. 1 der Abs. 1 und 2 des § 299 StGB)[7] präsentiert die h.M.zumeist ein Rechtsgutbündel in Form von Haupt- und Nebenrechtsgütern, über deren Verhältnis zueinander wenig Klarheit herrscht. Weitgehenden Konsens gibt es noch darüber, dass die Tatvarianten gem. § 299 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB vorrangig den lauteren Wettbewerb als Allgemeininteresse schützen.[8] Daneben sollen auch die (Vermögens-)Interessen der Mitbewerber[9] und des gutgläubigen Geschäftsherren[10] in den Schutzbereich fallen; z.T. werden darüber hinaus die Kunden des Unternehmens (gegen Verteuerung der Ware und unrichtige Beratung), generell die Verbraucher und das allgemeine Wettbewerbsinteresse an marktgerechten – d.h. nicht durch Schmiergeld überhöhten – Preisen als mittelbar geschützt angesehen.[11] Der Kreis der durch die Wettbewerbsvarianten des § 299 StGB geschützten Personen korrespondiert danach in etwa mit den Strafantragsberechtigten i.S.v. § 301 StGB.[12] Diese „Mixtur“ ( Volk ) gestufter Schutzinteressen, in der anscheinend schon jeder Schutzreflex und auch jedes noch so nebensächliche gesetzgeberische Motiv zum Rechtsgut(bestandteil) avanciert,[13] ist unbefriedigend und einem klaren, dem Rechtsanwender bei der Tatbestandsauslegung als Orientierung dienenden Rechtsgutbild abträglich.[14] Ohne Frage wirkt sich jede Beeinträchtigung des Wettbewerbs[15] zwingend auf die Marktteilnehmer aus. „Auswirkung“ bedeutet jedoch nicht dasselbe wie „Rechtsgutseingriff“. Anderenfalls müsste dasselbe Verfahren bei der Amtsträgerkorruption mit der Folge angewandt werden, dass hier (etwa bei Ausschreibungen staatlicher Stellen) ebenfalls zahlreiche fiskalische Interessen bzw. solche von Mitbewerbern und Bürgern zum Rechtsgut erhoben würden.[16] Einen solchen weitreichenden Schutz diskutiert im Bereich der §§ 331 ff. StGB aber niemand. Die hypertrophe Rechtsgutbeschreibung bei § 299 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB steht damit auch einer Parallelisierung der Tatbestands-, insb. Rechtsgutsstruktur dieser Norm mit den Bestechungsdelikten im Amt im Wege, für die die Angestelltenbestechung eine Auffangfunktion erfüllen soll.[17]
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Richtig ist es daher, mit zahlreicher werdenden Stimmen im Schrifttum allein das Kollektivinteresse des „lauteren“ Wettbewerbs, genauer den Leistungswettbewerb,[18] als Rechtsgut des § 299 StGB anzugeben;[19] darüber hinausgehende Einzelinteressen werden dagegen nur als Reflex mitgeschützt.[20] Dieser Rechtsgutsanalyse scheint entgegenzustehen, dass die Tat bei Fehlen eines besonderen öffentlichen Interesses nur auf Antrag verfolgbar ist (vgl. § 299 i.V.m. § 301 StGB). Die h. M. zählt zu den antragsberechtigten Verletzten jedenfalls die Mitbewerber und (bei treuwidrigem Verhalten des Angestellten oder Beauftragten) den Geschäftsherren.[21] Methodisch sauber wäre es jedoch allein, die Verletzteneigenschaften aus dem Schutzgut abzuleiten, statt das Rechtsgut von der Strafantragsberechtigung abhängig zu machen.[22] Die Spannungen zwischen dem hier vertretenen Ergebnis – Kollektivinteresse des Leistungswettbewerbs als exklusives Rechtsgut des § 299 StGB – und der Strafantragsberechtigung für Mitbewerber und (gutgläubige) Geschäftsherren ließen sich nur durch Ausnahmen von der Regel des § 77 Abs. 1 StGB abbauen, wonach grundsätzlich allein Verletzten das Antragsrecht zusteht.[23] Da es sich nach der Ausweitung der Verfolgungsmöglichkeiten von Amts wegen durch das KorrBekG 1997 bei § 299 StGB in der Sache ohnehin um ein Offizialdelikt handelt,[24] wird sich die Kontroverse praktisch kaum auswirken. – § 299 Abs. 3 StGB a.F. stellte klar, dass auch der Wettbewerb im Ausland geschützt ist; inhaltlich ist diese Aussage in § 299 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB übernommen worden.[25] – Die Wettbewerbstatbestände sind als abstrakte Gefährdungsdelikteeinzuordnen: Das Leistungsprinzip (als Kern des Wettbewerbs) ist erst mit der durch die Schmiergeldzahlung motivierten Bevorzugung beeinträchtigt, diese ist aber nicht Voraussetzung der Tatbestandserfüllung; der (formelle) Vollendungszeitpunkt liegt also deutlich vor dem Eintritt der materiellen Rechtsgutsschädigung.[26]
2. Das Geschäftsherrenmodell
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Wie beim „Wettbewerbsmodell“ fällt auch beim „Geschäftsherrenmodell“ die Bestimmung der Schutzinteressen der einschlägigen Tatbestände nicht leicht. Die mit dem KorrBekG 2015 neu eingefügten Geschäftsherren-/Pflichtwidrigkeitsvarianten gem. § 299 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 StGB sind schon weit im Vorfeld der Gesetzgebungsaktivitäten in der 18. Legislaturperiode heftig kritisiert worden.[27] Der Gesetzgeber hielt sich allerdings aufgrund internationaler Rechtsakte (insbesondere des EU-Rb 2003/568/JI) für verpflichtet, bisher durch § 299 StGB a.F. nicht erfasste Pflichtverletzungen außerhalb von Wettbewerbslagen in den Tatbestand einzubeziehen.[28] Im Unterschied zu den klassischen Wettbewerbsvarianten – jetzt § 299 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB – zielt die bei den Pflichtwidrigkeitsvarianten der Nummern 2 der Abs. 1 und 2 ebenfalls erforderliche Unrechtsvereinbarung nicht auf eine unlautere Bevorzugung im Wettbewerb, sondern auf die Vornahme einer Handlung oder Unterlassung, die sich gegenüber dem Unternehmen (d.h. dem Prinzipal) als pflichtwidrig erweist. Parallel zu den Wettbewerbsvarianten muss auch hier das tatbestandsmäßige Verhalten im „geschäftlichen Verkehr“ und „bei dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen“ erfolgen. Ein Blick in die Materialien zeigt, dass der Gesetzgeber mit den neuen Tatvarianten die „ Interessen des Geschäftsherrn an der loyalen und unbeeinflussten Erfüllung der Pflichten durch seine Angestellten und Beauftragten im Bereich des Austausches von Waren und Dienstleistungen“ schützen will.[29] Die Ausdeutung dieses schmalen legislativen Hinweises zwecks Bestimmung des tatbestandlich zu schützenden Rechtsguts vor dem Hintergrund des umzusetzenden EU-Rahmenbeschlusses hat sich schnell zum zentralen Diskussionspunkt der neuen Geschäftsherrenvarianten entwickelt. Das Interpretationsfeld ist dabei weit gesteckt und reicht von abstrakt verhaltensbezogenen „Loyalitätsinteressen“ des Prinzipals bis hin zu nuancenreichen Versuchen, den Pflichtwidrigkeitsvarianten letztlich doch einen überindividuellen Schutzzweck (zumeist den Wettbewerb) abzuringen (bzw. einzupflanzen)[30] – und hierbei zu betonen, diese Auslegung sei mit dem Unionsrecht vereinbar[31] oder von diesem gar erzwungen.[32]
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Diese Rechtsanwendungsschwierigkeiten waren nach der seit 2006 breit vorgetragenen Kritik absehbar; es gilt nun, nachdem „das Kind in den Brunnen gefallen (oder gestoßen worden) ist“, das Beste aus der misslichen Gesetzeslage zu machen um zu verhindern, dass jegliche Pflichtverletzung im Innenverhältnis Agent-Prinzipal strafbarkeitsbegründend wirkt. Verfassungsrechtlich abgesicherte Garantien wie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG) und das Gesetzlichkeitsprinzip (Art. 103 Abs. 2 GG) fordern bei derart unbestimmter Tatbestandsformulierung, wie sie der nicht weiter eingeschränkte Pflichtenverstoß gegenüber dem Geschäftsherrn gem. § 299 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 StGB darstellt, eine restriktive Auslegungdes Tatbestandes.[33] Loyalität ist kein Selbstzweck; sie eignet sich nicht zum die Norminterpretation anleitenden Rechtsgut. (Loyalitäts-)Interessen müssen, um sie für die Rechtsanwendung greifbar zu machen, auf etwas (zweckhaft) bezogen sein.[34] Gleichzeitig lässt sich den Vorgaben des EU-Rahmenbeschlusses und auch dem deutschen Gesetzestext nebst Begründung entnehmen, dass die Strafbarkeit nach den Pflichtwidrigkeitsvarianten keine unlautere Bevorzugung im Rahmen einer konkreten Wettbewerbslage verlangt; eine tatsächliche oder nur mögliche Wettbewerbsverzerrung als Konsequenz des Tatverhaltens wird nicht vorausgesetzt.[35] Damit können auch die zahlreich unternommenen (Einschränkungs-)Versuche, Pflichtverletzungen nur dann als tatbestandsmäßig einzustufen, wenn sie geeignet erscheinen, den Wettbewerb zu beeinträchtigen,[36] nicht überzeugen. Denn eine unbefangene Gesamtschau auf das anzuwendende Recht zeigt, dass schon nach Auslegung des EU-Rahmenbeschlusses mehr für einen primär individualrechtsschützenden Charakter der Pflichtwidrigkeitsvarianten spricht und sich auch der deutsche Gesetzgeber in diesem Sinne positioniert hat.[37]
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