aa) Schädigung der Gesundheit
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Unter Gesundheitsschädigungist jeder nachteilige Einfluss auf die Gesundheit zu verstehen. Die kasuistisch ausgerichtete lebensmittelrechtliche Praxis und Literatur hat bereits nicht lediglich vollkommen unerhebliche Kopfschmerzen,[15] Übelkeit, Brechreiz und Durchfall[16] als ausreichend angesehen, nicht hingegen bloße Ekelgefühle oder andere ganz unwesentliche Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit wie eine rasch abklingende Bläschenbildung im Mundraum, leichte Rötungen der Haut oder einen leichten Juckreiz.[17]
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Die Prüfung der wahrscheinlichen sofortigen und/oder kurzfristigen Auswirkungen des Lebensmittels auf die Gesundheit der Verbraucher erfordert eine Risikobewertungnach Art. 6 BasisVO unter Berücksichtigung des Vorsorgeprinzips nach Art. 7 BasisVO. Letzteres Prinzip verlangt die Einbeziehung wahrscheinlicher Auswirkungen auf die Gesundheit nachfolgender Generationen. Insofern reichen nicht alle theoretisch möglichen, wissenschaftlich aber nicht begründeten Folgen aus, um eine Gesundheitsschädlichkeit des Lebensmittels zu begründen. Insbesondere darf die Beweislast für die fehlende Gesundheitsschädlichkeit nicht dem Täter auferlegt werden. Der Verweis auf das Vorsorgeprinzip ist im Strafrecht ohnehin bedenklich, weil er erhebliche Ungewissheit mit sich bringt. Daher sind lebensmittelrechtliche Verbote, die für nachfolgende Generationenwahrscheinlich schädliche Lebensmittel betreffen, zulässig, sinnvoll und wünschenswert. Eine Strafbarkeit, die auf eine solche, lediglich zukunftsgerichtete Gefahr, gestützt wird, wäre mangels hinreichender Bestimmtheit verfassungswidrig (vgl. auch Rn. 45).
195
Hecker geht von einer Orientierung des Begriffs der Gesundheitsschädlichkeit am Gesundheitsschutz der §§ 223 ff. StGB aus, da es sich um Vorfeldtatbestände der Körperverletzungsdelikte handele.[18] Dies würde eine Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 58 LFGB auf Erzeugnisse bedeuten, deren Verwendung die Verursachung eines nicht nur unerheblichen pathologischen Zustandes zur Folge haben kann. Diese Restriktion würde damit zu einer Reduzierung des lebensmittelstrafrechtlichen Gesundheitsschutzes im Sinne einer Vorverlagerung des durch das Kernstrafrecht gewährten Gesundheitsschutzes führen. Zwar nimmt die h.M. an, dass typische Begleiterscheinungen von Lebensmittelvergiftungen wie Übelkeit, Erbrechen, Leibkrämpfe und Durchfall die Voraussetzungen der Körperverletzung nach §§ 223, 229 StGB erfüllen,[19] gleichwohl geht die EU als Normgeber bei Art. 14 Abs. 2 lit. a BasisVO von einem extensiveren Gesundheitsbegriff aus, wenn in Art. 14 Abs. 4 BasisVO bei der Entscheidung der Frage, ob ein Lebensmittel gesundheitsschädlich ist, auf die Auswirkungen des Lebensmittels auf nachfolgende Generationen und wahrscheinlich kumulative toxische Auswirkungen abzustellen ist.[20] Mit den Vorgaben des Europarechts – insbesondere des Art. 14 Abs. 2 lit. a BasisVO – wäre die restriktive, an §§ 223 ff. StGB orientierte, Auslegung schwerlich in Einklang zu bringen, zumal die BasisVO gerade ein besonders hohes Schutzniveau für die Gesundheit garantieren soll ( Rn. 188, 366). Auch aus Art. 168 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV ergibt sich, dass das Unionsrecht besonderen Wert auf den Schutz der menschlichen Gesundheit legt: „Die Tätigkeit der Union ergänzt die Politik der Mitgliedstaaten und ist auf … die Beseitigung von Ursachen für die Gefährdung der körperlichen und geistigen Gesundheit gerichtet ...“ Gerade die geistige Gesundheit wird nach h.M. durch die §§ 223 ff. StGB nicht geschützt.
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Ein Erzeugnis ist auch dann potenziell gesundheitsschädlich, wenn es erst bei fortgesetztem Genuss durch Kumulierunggeeignet ist, Gesundheitsschädigungen hervorzurufen. Ein Erzeugnis ist weiterhin gesundheitsschädlich, wenn zu erwarten ist, dass die Krankheitserreger bei bestimmungsgemäßer oder vorauszusehender Verwendung der Ware zwar abgetötet werden, durch das betreffende Produkt aber Krankheitserreger in den Lebensmittelbetrieb oder Haushalt eingeschleppt werden und auf diese Weise mittelbar eine nicht unbeträchtliche Gefahr der Gesundheitsschädigung entsteht.[21]
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Während manche Beanstandungsgründe zum Schutz vor Täuschung durch eine entsprechende Kenntlichmachungausgeschlossen werden können, bewirkt das Vorliegen der Gesundheitsschädlichkeit grundsätzlich ein absolutes Verkehrsverbotfür das Lebensmittel (vgl. Rn. 33).
bb) Eignung zur Schädigung der Gesundheit
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Die Eignung eines Stoffes, die Gesundheit zu schädigen, muss sich aus dessen Beschaffenheitunter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ergeben. Das Tatobjekt muss also eine bestimmte stoffliche Eigenschaft aufweisen, aus der sich die Gefahr ergibt, dass der Verzehr die menschliche Gesundheit schädigt. Deshalb reicht es nicht aus, dass die Gefährdung oder Schädigungseignung lediglich hypothetischer Natur ist. Die konkrete Eignung des Tatobjekts zur Gesundheitsschädigungmuss vielmehr aufgrund spezifischer Eigenschaften des Lebensmittels feststehen.[22] Es kommt dabei nicht darauf an, dass sich die Eignung zur Gesundheitsschädigung aus der Substanz des Lebensmittels selbst ergibt. Auch wenn sie aus einem im Lebensmittel befindlichen Fremdkörperwie Glassplittern, Steinen oder Stahlspänen[23] resultiert, reicht dies aus, um die Eignung zur Gesundheitsschädigung zu begründen.
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Wenn bei bestimmten Lebensmittelinfektionen, so z.B. bei Listeriose, die Gesundheitsschädigungseignung von der Lebensmittelart und der Keimzahlhöhe abhängt, erfordert die Erfüllung des Straftatbestandes nicht, dass der Verzehr des Lebensmittels mit Gewissheit zu einer Gesundheitsschädigung führt. Da es sich um ein potenzielles Gefährdungsdelikt ( Rn. 191 ff.) handelt, genügt bereits die generelle Möglichkeit des Eintritts von Gesundheitsschäden beim Konsumenten. Bei der hierfür erforderlichen Gefahrenprognose bleiben nur solche für die Gesundheit nachteiligen Folgen außer Betracht, deren Eintritt nach dem bisherigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis äußerst unwahrscheinlich ist.[24]
cc) Maßstab für die Prüfung des Eignungsmerkmals
200
Zahlreiche Lebensmittel können bei nicht sachgerechtem Konsumverhaltenoder auf Grund besonderer Empfindlichkeit des Verbrauchers(z.B. Allergiker, Diabetiker etc.) Gesundheitsschäden hervorrufen. Ein generelles Verbot, solche Lebensmittel in den Verkehr zu bringen, wäre jedoch mit der verfassungsrechtlich und europarechtlich verankerten Garantie des freien Lebensmittelverkehrs nicht vereinbar. Deshalb ist Maßstab für die Prüfung des Eignungsmerkmals der gesunde Menschbeziehungsweise der typische Vertreter der Konsumentenkategorie, für welche das Lebensmittel bestimmt ist.
201
Es ist grundsätzlich darauf abzustellen, welche Auswirkungender bestimmungsgemäße (gewöhnliche) Verzehr auf die Gesundheit eines gesunden (nicht überempfindlichen) Menschenhat.[25] Etwas anderes gilt, wenn das Lebensmittel i.S.d. Art. 14 Abs. 4 lit. c BasisVO für eine besondere Gruppe von Verbrauchern bestimmt ist, bei der höhere Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit zu stellen sind.[26] Wenn ein Lebensmittel (auch) zum Verzehr durch Kinder und Kleinkinderbestimmt ist, ist auf die gesundheitlichen Auswirkungen bei diesem Personenkreis abzustellen. Deshalb liegt eine Eignung zur Gesundheitsschädigung vor, wenn mit Kolibakterien verunreinigte Milch zwar nicht bei Erwachsenen, wohl aber bei Kleinkindern schwere Darmerkrankungen hervorrufen kann.[27]
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