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Aufgezwungene Vermögensopfer sind nicht nur im Hinblick auf das im Insolvenzverfahren erzielte Ergebnis, sondern auch im Hinblick auf die von den Beteiligten infolge des Zeitablaufs während des Verfahrens hinzunehmenden Nachteile zu vermeiden. Sonst könnten insolvente Unternehmen unter wettbewerbsfremden Sonderbedingungen weiterwirtschaften und ihren Wettbewerbern Schaden zufügen. Es käme zu wirtschaftlich fehlerhaften Verwertungsentscheidungen, wenn die Ausgestaltung des Verfahrens zu Vermögensverschiebungen unter den Beteiligten führen würde.
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Die zivilrechtliche Güterzuordnung ist auch unabhängig davon durchzusetzen, mit welchem Ergebnis oder in welcher Form (Zwangsverwertung oder Plan) das Schuldnervermögen verwertet oder genutzt wird, soweit nicht die Beteiligten einer abweichenden Regelung in einem Plan zustimmen. Die zivilrechtliche Haftungsordnung muss nicht nur dann maßgeblich sein, wenn das Schuldnervermögen zwangsverwertet wird, sondern auch dann, wenn es im Rahmen einer Fortführung oder Sanierung investiert bleibt, wenn also nicht nur ein Liquidations-, sondern ein Fortführungswert erzielt wird. Sämtlichen Beteiligtengruppen, auch den absonderungsberechtigten Gläubigern, ist deshalb das Anrecht darauf zu verbürgen, ihrem Rang gemäß an einem Fortführungserfolg teilzuhaben. Nur so ist gewährleistet, dass die Entscheidung über Zerschlagung oder Sanierung nicht zur Erlangung von Sondervorteilen genutzt werden kann und dann das wirtschaftlich richtige Ziel verfehlt.
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Die Abwicklung oder planmäßige Umgestaltung auch nachrangiger Verbindlichkeiten und der Eigentümerbeiträge ist ebenfalls unter dem Gesichtspunkt notwendig, dass Vermögensverschiebungen im Verhältnis von Gläubigern zum Schuldner und zu den an ihm beteiligten Personen vermieden werden müssen.
6. Achtung der Investitionsfreiheit des Einzelnen
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In der marktwirtschaftlichen Ordnung steht die Investitionsfreiheit jedem einzelnen Bürger zu. Auch im Insolvenzverfahren soll kein einzelner Beteiligter gezwungen werden, die auf seinen Zahlungsanspruch entfallende Liquidationsquote in das Schuldnerunternehmen dauernd oder zeitweilig zu reinvestieren oder für sein Recht eine von ihm nicht gewünschte Abfindung hinzunehmen. In wirtschaftlichen Angelegenheiten hat die Mehrheit prinzipiell nicht mehr recht als die Minderheit. Mehrheitsentscheidungen garantieren nicht das wirtschaftliche Optimum. Im Insolvenzverfahren ist das Mehrheitsprinzip nicht ein Element politischer oder verbandsrechtlicher Demokratie, sondern ein technischer Behelf zur Erleichterung der Entscheidungsfindung einer unkoordinierten Vielzahl Beteiligter.
7. Einbindung dinglich gesicherter Gläubiger
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Die Koordinierung der Beteiligten durch das Insolvenzverfahren findet ihre Rechtfertigung darin, dass sich nur so marktkonforme Entscheidungsbedingungen für die günstigste Masseverwertung herstellen lassen. Die Masseverwertung wird behindert, wenn einzelne Sicherungsgläubiger das ihnen haftende Sicherungsgut aus dem technisch-organisatorischen Verbund des Schuldnervermögens lösen und damit die Realisierung oder Erhaltung des Verbundwerts verhindern können. Gesicherte Gläubiger können damit anderen Verfahrensbeteiligten Schaden zufügen, ohne selbst einen entsprechenden Nutzen zu erzielen. Es entspricht dem Ziel der Marktkonformität, solche externen Wirkungen des Individualzugriffs auszuschalten und die gesicherten Gläubiger in das Insolvenzverfahren einzubinden.
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Damit marktwidrige Verfahrensergebnisse, insbesondere Wettbewerbsverzerrungen im Verhältnis des insolventen zu gesunden Unternehmen, vermieden werden, muss die den Sicherungsgläubigern zeitweilig vorenthaltene Nutzung des Sicherungsguts, insbesondere die ihnen vorenthaltene Liquidität, jedoch mit einem marktgerechten Preis versehen werden. Die Sicherungsgläubiger sind demnach für die Beschränkung des Individualzugriffs angemessen zu entschädigen.
8. Obstruktionsverbot für Beteiligtengruppen
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So wenig eine Minderheit innerhalb einer Abstimmungsgruppe eine bestimmte, für die anderen Beteiligten dieser Gruppe vorteilhafte Art der planmäßigen Masseverwertung sollte verhindern können, so wenig verdienen auch einzelne Beteiligtengruppen ein schrankenloses Vetorecht gegen einen für andere Gruppen vorteilhaften Plan. Ein solches Vetorecht ließe sich dafür einsetzen, für die betreffende Gruppe ungerechtfertigte Sondervorteile zu erzielen; das wirtschaftlich optimale Verfahrensziel wäre gefährdet. Es fördert marktkonforme Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse, wenn klar obstruktives Verhalten einer Gruppe unbeachtet bleibt.
9. Einheitliche Zumessung der Mitwirkungsrechte nach dem Vermögenswert der Beteiligtenrechte
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Da den Beteiligten sämtliche Arten der Masseverwertung gleichrangig angeboten werden sollen, muss ihr Recht, auf die Wahl des Verfahrensergebnisses Einfluss zu nehmen, grundsätzlich unabhängig von der angestrebten Verwertungsart und von der Verwertungsform (Zwangsverwertung oder Plan) zugemessen werden. Ebenso ist ein einheitlicher Schutz der Vermögensrechte der Beteiligten erforderlich, soweit nicht einverständlich in einem Plan etwas anderes vereinbart wird. Diese Forderungen sind für die Behandlung nachrangiger Gläubiger, insbesondere von Gläubigern aus kapitalersetzenden Darlehen, und für die Behandlung des Schuldners und der an ihm beteiligte Personen (Eigentümer) von besonderer Bedeutung.
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In der Insolvenz kann ein marktkonformes Verfahren dem Rechtsträger eines Unternehmens nicht den Fortbestand und den am Unternehmensträger beteiligten Personen nicht die Fortdauer ihrer unternehmerischen oder mitgliedschaftsrechtlichen Stellung gewährleisten. Möglich und im Interesse der Marktkonformität geboten ist es jedoch, die vermögensrechtliche Stellung des Schuldners und der an ihm beteiligten Personen einheitlich zu schützen, also unabhängig davon, ob das Schuldnervermögen zu Liquidationswerten veräußert oder ob sein Fortführungswert im Rahmen einer Sanierung realisiert wird und ob dies im Wege der Zwangsverwertung oder durch einen Plan geschieht. Auch nachrangige Forderungen müssen einheitlich in Höhe ihres jeweiligen Marktwerts vollwertigen Schutz genießen.
10. Beteiligtenautonomie bei Entscheidungen über den Ablauf des Verfahrens
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Nicht nur die Entscheidung über die Form und die Art der Masseverwertung, sondern auch die Entscheidungen über die Gestaltung des Verfahrens, insbesondere über die Fortführung des schuldnerischen Unternehmens und über die Verfahrensdauer berühren Interessen der Beteiligten unmittelbar. Solche Entscheidungen müssen stets unter Unsicherheit getroffen werden; sie sind immer risikoreich. In der Marktwirtschaft muss grundsätzlich das Urteil derjenigen Personen maßgeblich sein, deren Vermögenswerte auf dem Spiel stehen und die deshalb die Folgen von Fehlern zu tragen haben. Daraus ergibt sich die grundsätzliche Forderung, dass nicht nur der Ausgang, sondern auch der Gang des Insolvenzverfahrens von den Beteiligten, und zwar nach Maßgabe des Werts ihrer in das Verfahren einbezogenen Rechte, bestimmt werden muss. Die Einbindung der absonderungsberechtigten Gläubiger, denen der weit überwiegende Teil des Vermögens insolventer Unternehmen zusteht, und die daraus folgenden Auswirkungen auf ihre wirtschaftlichen Interessen machen es erforderlich, ihre Mitspracherechte im Verfahren wesentlich auszubauen.
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Das Insolvenzgericht ist nicht als Sachwalter allgemeiner, im Insolvenzverfahren nicht repräsentierter wirtschaftlicher oder sozialer Interessen anzusehen. Es ist im Wesentlichen Hüter der Rechtmäßigkeit des Verfahrens. Darüber hinaus können Richter und Rechtspfleger kraft ihrer fachlichen Autorität in den Verhandlungen der Beteiligten vermittelnd und schlichtend wirken und so eine Einigung fördern. Auch der Insolvenzverwalter darf nicht als Gegenspieler der privaten Beteiligten auftreten. Seine Aufgabe ist es, die Interessen der Beteiligten, insbesondere der Gläubiger, zu wahren. In wichtigen Fragen ist er deshalb an die Entscheidung der Gläubigerversammlung zu binden. Vergütung und Auslagenerstattung des Insolvenzverwalters müssen so geregelt werden, dass von ihnen kein Anreiz für den Verwalter ausgeht, eine bestimmte Verwertungsart oder -form vor der anderen zu bevorzugen.
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