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Bei § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB besteht die Tathandlung in der Beibringung von Gift oder eines anderen gesundheitsschädlichen Stoffs. Gift ist jeder organische oder anorganische Stoff, der durch chemische oder chemisch-physikalische Wirkung die Gesundheit schädigen kann (z.B. Salzsäure oder pflanzliche oder tierische Gifte).[123] Andere gesundheitsschädliche Stoffe sind solche, die sich von selbst auf mechanisch oder thermische Weise nachteilig auf die Gesundheit auswirken können (z.B. zerstoßenes Glas oder auch Masernviren[124]).[125] Von § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB sind auch Stoffe des täglichen Bedarfs erfasst, wie beispielsweise Speisesalz in übermäßiger Menge, wenn im Einzelfall eine konkrete Gefahr einer erheblichen Schädigung wegen des Beibringens des Stoffes angenommen werden kann.[126]
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Eine qualifizierte Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB liegt vor, wenn die Körperverletzung mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugsbegangen wird. Eine Waffe ist nach überwiegender Auffassung ein Gegenstand, der nach seiner Art dazu bestimmt ist, bei Menschen erhebliche Verletzungen zu verursachen.[127] Als gefährliches Werkzeug gilt jeder bewegliche Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und der konkreten Art der Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen.[128] Hierunter fallen neben recht evidenten Gegenständen, wie etwa einem Hammer oder einem Küchenmesser, auch an sich unauffällige Alltagsgegenstände, wie z.B. eine Sprühflasche mit Haushaltsreiniger[129], ein Laserpointer[130] oder aber ein Kraftfahrzeug. Bei letzteren muss indes die Werkzeugqualität gesondert geprüft werden, d.h. es ist festzustellen, ob das Fahrzeug auch tatsächlich als Werkzeug verwendet wurde.[131] Das gefährliche Werkzeug bildet bei Nr. 2 den Oberbegriff („ andere gefährliche Werkzeuge“).[132] Die Differenzierung zwischen Waffe und Werkzeug ist häufig nicht von Bedeutung;[133] bei Zweifeln über die Waffeneigenschaft ist eine Wahlfeststellung zulässig.[134] „Mittels“ des Werkzeugs wird die Verletzung begangen, wenn sie durch das Werkzeug, also unter dessen zweckgerichteter Verwendung durch den*die Täter*in, verursacht wurde.[135] Nach der restriktiven Linie der Rechtsprechung erfordert dies eine unmittelbare Einwirkung des Gegenstandes auf den Körper des Opfers.[136]
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Die Körperverletzung wird mittels eines hinterlistigen Überfalls(§ 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB) begangen, wenn es sich für das Opfer um einen überraschenden Angriff handelt und der*die Täter*in hierbei seine*ihre Angriffsabsicht planmäßig verbirgt, um dadurch dem*der Gegner*in die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs und die Vorbereitung auf die Verteidigung zu erschweren.[137] Das bloße Ausnutzen des Überraschungsmoments reicht nicht aus.[138] Das planvolle „Fallenstellen“ durch Hereinbitten des Opfers in die Geschäftsräume außerhalb der Geschäftszeiten und das anschließende Alleinlassen im Büro, in welchem weitere Tatbeteiligte warten, soll aber ausreichen.[139]
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Eine Qualifikation nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB liegt vor, wenn der*die Täter*in mit einem*einer anderen Beteiligten gemeinschaftlichhandelt, also einverständlich am Tatort zusammenwirkt.[140] Hierfür genügt jede aktive physische oder psychische Unterstützung eines*einer Beteiligten jeder Art (Mittäter*in, Anstifter*in, Gehilfe*Gehilfin), die über die bloße Anwesenheit am Tatort hinausgeht.[141] Dieses Zusammenwirken muss auf einem mindestens konkludent gefassten gemeinschaftlichen Willensentschluss beruhen.[142] Das Qualifikationsmerkmal knüpft an die besondere Gefährlichkeit der Ausführung an, da ein Handeln mehrerer Personen am Tatort die Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers einschränkt, die Eskalationsgefahr erhöht und zu erheblichen Verletzungen des Opfers führen kann.[143] Für die abstrakte Gefährlichkeit, die § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB unter Strafe stellt, genügt bereits die gefahrerhöhende Mitwirkung am Tatort.[144] Diejenige Person, die durch einen aktiven Gehilfenbeitrag die Tat zu einer gemeinschaftlichen i.S.d. Nr. 4 macht, ist jedoch nicht automatisch als Mittäter*in zu bestrafen.[145]
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Zuletzt liegt eine qualifizierte Körperverletzung auch vor, wenn sie mittels einer das Leben gefährdenden Behandlungbegangen wird, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Die Behandlung bezieht sich auf die Körperverletzungshandlung an sich und nicht auf den Körperverletzungserfolg.[146] Während die Rechtsprechung[147] eine abstrakte Gefahr für das Leben ausreichen lässt – d.h. die Handlung ist generell geeignet, das Leben zu gefährden – fordern einige Stimmen in der Literatur den Eintritt eines tatsächlichen Gefährdungserfolgs, also eine konkrete Gefahr.[148] § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB steht mit § 226 StGB in Tateinheit, da bei Gesetzeskonkurrenz das besondere Unrecht der lebensgefährdenden Handlung, das über die schwere Folge der Körperverletzung hinausgeht, nicht zum Ausdruck käme.[149]
c) (Erfolgs-)Qualifikationen wegen dauerhafter schwerer Folgen (§ 226 StGB)
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§ 226 StGB stellt als Erfolgsqualifikation bestimmte schwere Folgen der Körperverletzung besonders unter Strafe. Das setzt zunächst ein vollendetes Grunddelikt voraus; dies kann eine Körperverletzung nach §§ 223, 224, 225 oder auch 226a StGB sein.[150] Weiterhin muss die handelnde Person durch das Grunddelikt eine der genannten schwerwiegenden Folgendauerhaft herbeigeführt haben. Diese Folgen müssen gerade bei der verletzten Person auftreten.
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§ 226 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfasst den Verlust bestimmter Funktionen des Körpers (Sehvermögen, Gehör, Sprechvermögen, Fortpflanzungsfähigkeit).[151] Die dauernde Unbrauchbarkeit eines wichtigen Körperglieds nach § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist bereits gegeben, wenn eine verbleibende Restfähigkeit praktisch wertlos ist.[152] Beim Verlust eines wichtigen Glieds des Körpers nach § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist hingegen eine Abtrennung des Körperglieds notwendig.[153] Die schwere Folge der „erheblichen Entstellung“ nach § 226 Abs. 1 Nr. 3 Var. 1 StGB wird dann angenommen, wenn das äußere Erscheinungsbild der Person nachhaltig unästhetisch verändert ist.[154] Unter Siechtum wird ein chronischer, den Gesamtorganismus des*der Verletzten ergreifender Krankheitszustand verstanden, der mit dem Schwinden der körperlichen und/oder geistigen Kräfte verbunden ist und allgemeine Hinfälligkeit zur Folge hat.[155] Eine Lähmung i.S.v. § 226 Abs. 1 Nr. 3 Var. 3 StGB ist die erhebliche Beeinträchtigung der bestimmungsgemäßen Bewegungsfähigkeit eines Körperteils.[156] Eine dauernde, erhebliche Behinderung gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 Var. 5 StGB ist gegeben, wenn durch schwere Hirnverletzungen die volle geistig-intellektuelle Leistungsfähigkeit nicht mehr erreicht werden kann und das Tatopfer anhaltend auf Hilfe und Pflege angewiesen sein wird.[157]
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Ein Körperglied i.S.v. § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGBist ein nach außen in Erscheinung tretendes Körperteil, das eine in sich abgeschlossene Existenz mit besonderer Funktion im Gesamtorganismus erfüllt.[158] Ein Körperteil wird als wichtig eingestuft, wenn der Verlust eine wesentliche Beeinträchtigung des Körpers in seinen regelmäßigen Verrichtungen bedeutet.[159] Die frühere Rechtsprechung nahm die Wichtigkeit eines Glieds nur dann an, wenn der Verlust für jeden normalen Menschen („jedermann“) eine wesentliche Beeinträchtigung bedeutet, wobei es auf besondere Verhältnisse der verletzten Person nicht ankam.[160] Für die herrschende Lehre hingegen müssen auch die individuellen Verhältnisse bei der Bestimmung der Wichtigkeit Berücksichtigung finden.[161] § 226 StGB schütze zwar keine individuellen Interessen, allerdings handelt es sich um ein konkretes Verletzungsdelikt, sodass der Körperverletzungserfolg mit Blick auf die betroffene Person zu bestimmen sei. Bei der Bestimmung, ob ein Körperverletzungserfolg i.S.v. § 226 StGB bei der konkret betroffenen Person eingetreten ist, müssen demnach individuelle Voraussetzungen mit in die Betrachtung einbezogen werden. Auch stünde nur diese Auslegung im Einklang mit dem heutigen Verständnis eines gleichberechtigten Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher körperlicher Beschaffenheit.[162] Dieser Ansicht folgt auch die neuere Rechtsprechung und beachtet nunmehr individuelle Körpereigenschaften inklusive Vorschädigungen.[163] Inwieweit auch soziale Faktoren – wie beispielweise der Beruf – Berücksichtigung finden sollen, ist nicht abschließend beantwortet.[164]
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