Bis vor Inkrafttreten von § 217 StGB am 10. Dezember 2015 kannte das deutsche StGB keine spezifische strafgesetzliche Regelung der Beihilfe zum Suizid. Nach § 217 StGB wird nun bestraft, wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmässig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt.[387] Bei diesen Tathandlungen handelt es sich, ähnlich wie bei Art. 115 schwStGB, um verselbstständigtes Teilnahmeunrecht.[388] Im Gegensatz zu Art. 115 schwStGB, welcher in subjektiver Hinsicht zusätzlich selbstsüchtige Beweggründe verlangt, umfasst die Geschäftsmässigkeit im Sinne von § 217 StGB „das nachhaltige Betreiben oder Anbieten gegenüber Dritten mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht“, womit der Anwendungsbereich von § 217 StGB über denjenigen von Art. 115 schwStGB hinausgeht. Die insbesondere im Bereich der organisierten Suizidhilfe im Vergleich zu Deutschland generell aufgeschlossenere Haltung der Schweiz drückt sich auch in den medizinisch-ethischen Richtlinien beider Länder aus: Während es in der deutschen Muster-Berufsordnung für Ärzte in Bezug auf die Mitwirkung eines Arztes bei einem Suizid eines Patienten heisst, dass Ärzte keine Hilfe zur Selbsttötung leisten dürfen,[389] erwähnen die schweizerischen Richtlinien differenzierter: „Auf der einen Seite ist die Beihilfe zum Suizid nicht Teil der ärztlichen Tätigkeit, weil sie den Zielen der Medizin widerspricht. Auf der anderen Seite ist die Achtung des Patientenwillens grundlegend für die Arzt-Patienten-Beziehung. Diese Dilemmasituation erfordert eine persönliche Gewissensentscheidung des Arztes. Die Entscheidung, im Einzelfall Beihilfe zum Suizid zu leisten, ist als solche zu respektieren.“[390]
1. Abschnitt: Schutz von Leib und Leben› § 2 Sterbehilfe› Ausgewählte Literatur
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Frau Dr. Jasmine Stössel danke ich herzlichst für ihre tatkräftige Unterstützung bei der Vorbereitung und Ausarbeitung dieses Beitrags.