§ 19. ( Substanzen und Accidenzen haben in der Philosophie wenig Nutzen .) Als man zuerst auf den Begriff der Accidenzen, als einer Art Dinge, die des Anhängens bedürften, gerieth, musste man das Wort Substanz erfinden, um sie zu tragen. Hätte der arme indische Philosoph (der meinte, auch die Erde bedürfe Etwas, was sie trage) nur das Wort Substanz gekannt, so hätte er sich mit seinem Elephanten nicht zu bemühen brauchen, der sie tragen sollte, und nicht mit der Schildkröte, um den Elephanten zu tragen; das Wort: Substanz hätte dies allein geleistet. Und der indische Philosoph hätte auf die Frage, was Substanz sei, ganz gut, ohne zu wissen, was sie sei, antworten können, sie sei das, was die Erde trage, da man es ja für eine genügende Antwort und gute Lehre halte, wenn ein europäischer Philosoph ohne zu wissen, was die Substanz ist, sage, sie sei das, was die Accidenzen trage. Man hat daher von der Substanz keine Vorstellung, was sie ist, sondern nur eine verworrene und dunkle von dem, was sie thut.
§ 20. Wie sich auch ein Gelehrter hierbei verhalten mag, so würde ein einsichtiger Amerikaner bei seiner Untersuchung der Dinge sich schwerlich zufrieden geben, wenn er unsre Baukunst lernen wollte, und dabei ihm gelehrt würde, dass die Säule ein Ding sei, was von der Unterlage getragen werde, und die Unterlage das, was eine Säule trage. Er würde sich durch solche Antwort für geäfft, statt belehrt halten. Wer die Natur der Bücher und ihres Inhaltes nicht kennt, könnte dann für sehr ausreichend belehrt gelten, wenn er hörte, dass alle gelehrten Bücher aus Papier und Buchstaben beständen, und dass die Buchstaben Dinge seien, die dem Papiere anhafteten, und Papier ein Ding, was die Buchstaben festhalte. Dies wäre ein schätzbarer Weg, klare Vorstellungen von Buchstaben, und Papier zu erlangen. Würden die lateinischen Worte: Inhärentia und Substantia in einfache entsprechende vaterländische Worte übersetzt, und Anhängsel und Unterstützendes genannt, so wurde man die angebliche Klarheit dieser Lehre von Substanzen und Anordnungen besser erkennen und sehen, was sie für die Entscheidung philosophischer Fragen nützen.
§ 21. ( Ein leerer Raum jenseit der äussersten Grenze der Körper .) Um auf unsere Vorstellung des Raumes zurückzukommen, so frage ich, wenn man den Stoff nicht für endlos annehmen will, was wohl Niemand thun wird, ob, wenn Jemand von Gott an das Ende der körperlichen Dinge gestellt würde, er nicht seine Hand über seinen Körper hinausstrecken könnte? Könnte er es, so bringt er seinen Arm dahin, wo vorher ein Raum ohne Körper war, und wenn er da seine Finger spreizte, so würde wieder ein Raum zwischen denselben ohne Körper sein. Könnte er seine Hand aber nicht ausstrecken, so müsste etwas ihn daran hindern, da ich annehme, dass er lebt und dieselben Kräfte, sich bewegen zu können, wie jetzt, hat; ein Fall, der, wenn es Gott so beliebt, an sich nicht unmöglich sein würde (wenigstens ist es Gott nicht unmöglich, den Menschen so zu bewegen) und nun frage ich: Ist das, was seine Hand in diesem Fall hindert, eine Substanz oder eine Accidenz? Etwas oder Nichts? Wenn man dies gelöst haben wird, wird man vielleicht auch lösen können, was das ist, was zwischen zwei von einander abstehenden Körpern ist, und dabei kein Körper ist und keine Dichtheit hat. Bis dahin ist wohl auch der Grund, dass, wo Nichts hindert (nämlich jenseit der Grenze der Körper), ein angestossener Körper sich bewegen wird, ebenso gut, wie der, dass wo nichts dazwischen ist, zwei Körper sich berühren müssen; denn der leere Raum genügt, die Notwendigkeit der Berührung aufzuheben, und der blosse Raum vermag eine Bewegung nicht anzuhalten. Die Wahrheit ist, dass man entweder zugestehen muss, man nehme den Stoff als unendlich an, obgleich man vermeidet, es auszusprechen, oder man muss einräumen, dass der Raum kein Körper ist; denn ich möchte wohl den verständigen Mann sehen, der sich eine Grenze des Raumes eher vorstellen könnte, wie eine Grenze der Zeit, oder der im Vorstellen das Ende bei einem von beiden erreichen zu können hoffte. Ist daher seine Vorstellung der Ewigkeit unendlich, so ist es auch seine Vorstellung der Unermesslichkeit; sie sind entweder beide endlich oder beide unendlich.
§ 22. ( Die Kraft, zu vernichten, beweist den leeren Raum .) Ferner muss man, wenn man leugnet, dass ein Raum ohne Körper bestehen könne, den Stoff nicht allein unendlich setzen, sondern auch Gott die Macht, einen Theil des Stoffes zu vernichten, absprechen. Niemand wird wohl leugnen, dass Gott alle Bewegung des Stoffes aufheben und die Körper im Weltall in vollkommne Ruhe und Stillstand versetzen kann, und dass er dies so lange währen lassen kann, als ihm beliebt. Wer dann anerkennt, dass Gott während einer solchen allgemeinen Ruhe dies Buch oder den Körper des Lesers vernichten kann, muss auch die Möglichkeit des leeren Raumes anerkennen, da der Raum, den ein so vernichteter Körpers einnahm, bleiben und ohne Körper sein wird; denn die benachbarten Körper sind in vollkommner Ruhe, und bilden daher einen diamantenen Wall, welcher das Eindringen jedes andern Körpers verhindert. Auch ist die Nothwendigkeit, dass sofort ein Stofftheil die Stelle eines seinen Platz verlassenden Stofftheiles einnehme, nur die Folge, dass man den Raum als erfüllt setzt; dies bedarf deshalb eines besseren Beweises, als die blosse Annahme eines Vorganges, der nie durch Versuche dargelegt werden kann; vielmehr überzeugen uns unsere eigenen klaren und deutlichen Vorstellungen, dass zwischen Raum und Dichtheit keine nothwendige Verknüpfung besteht, da man eine ohne die andere vorstellen kann. Wer daher für oder gegen den leeren Raum kämpft, gesteht damit, dass er die bestimmte Vorstellung eines leeren und eines erfüllten Raumes habe, d.h. dass er die Vorstellung einer Ausdehnung, die an Dichtheit leer ist, habe, wenn er auch deren Wirklichkeit leugnet; sonst fehlt aller Streitgegenstand. Wer aber die Bedeutung der Worte so weit ändert, dass er die Ausdehnung Körper nennt, und daher das Wesen des Körpers in leere Ausdehnung ohne Erfüllung umwandelt, spricht widersinnig, wenn er von einem leeren Raum spricht, da es für die Ausdehnung unmöglich ist, ohne Ausdehnung zu sein; denn der leere Raum, mag man ihn annehmen oder nicht, bezeichnet einen Raum ohne Körper, dessen Dasein Niemand als unmöglich bestreiten kann, der nicht den Stoff unendlich setzen, und Gott die Kraft einen Theil des Stoffes zu vernichten, nehmen will.
§ 23. ( Die Bewegung beweist den leeren Raum .) Ich brauche indess nicht über die äussersten Grenzen des Stoffes hinauszugehen oder auf Gottes Allmacht mich wegen des leeren Raumes zu berufen, da die Bewegung der uns umgebenden und sichtbaren Körper mir ihn klar zu beweisen scheint. Denn Niemand wird einen dichten Körper von irgend einer beliebigen Grösse so theilen können, dass dessen dichte Theile sich innerhalb der Grenzen seiner Oberfläche nach oben oder unten und nach allen Richtungen frei bewegen können, wenn nicht ein leerer Raum gelassen wird, der wenigstens so gross ist, als der kleinste Theil, in den er den besagten Körper getheilt hat. Selbst wenn der kleinste Theil nur so gross wie ein Senfkorn ist, so ist doch ein Raum so gross wie ein Senfkorn nöthig, am Raum für die freie Bewegung der Theile des getrennten Körpers innerhalb der Grenzen seiner Oberfläche zu schaffen; und selbst wenn die Stofftheilchen hundert Millionenmal kleiner als ein Senfkorn wären, so muss ein ebenso grosser leerer Raum da sein; gilt es hier, so gilt es auch dort, und so fort ohne Ende. Ist nun dieser leere Raum auch noch so klein, so hebt er doch die Annahme der Raumerfüllung auf, da, wenn es einen leeren Raum von der Grösse des kleinsten, jetzt in der Natur bestehenden Stofftheils geben kann, er immer ein leerer Raum bleibt, und der Unterschied zwischen Raum und Körper ist dann ebenso gross, als bestände eine grosse Kluft, soweit als irgend eine in der Natur zwischen beiden. Selbst wenn man den zur Bewegung notwendigen leeren Raum nicht gleich dem kleinsten Stofftheil, sondern nur zu einem Zehntel oder Tausendstel dieser Grösse annimmt, bleibt doch die Folge, dass es einen leeren Raum giebt.
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