§ 13. Bei Blödsinnigen liegt also der Fehler in der geringen Beweglichkeit, Thätigkeit und Schnelligkeit ihrer geistigen Vermögen; deshalb fehlt ihnen der Verstand; dagegen leiden die Wahnsinnigen an dem entgegengesetzten Uebermaass; sie haben nicht die Fähigkeit zu denken eingebüsst, aber sie haben einzelne Vorstellungen falsch verbunden und halten sie für Wahrheiten; sie irren, wie Leute, die aus falschen Gesetzen richtig folgern. Die Uebermacht ihrer Einbildungen lässt sie ihre innern Gebilde für Wirklichkeiten nehmen und daraus richtige Folgerungen ziehen. So verlangt ein Wahnsinniger, der sich für einen König hält, die dem entsprechende Achtung, Aufmerksamkeit und Folgsamkeit, und Andere, die glauben, sie seien von Glas, brauchen die nöthige Vorsicht, welche solche zerbrechliche Körperverlangen.
Deshalb kann ein mässiger und sonst verständiger Mann in einem einzelnen Punkte so verrückt sein, wie irgend einer im Irrenhause, sobald durch plötzliche heftige Eindrücke oder lange ausschliessliche Beschäftigung mit einem Gedanken ungehörige Vorstellungen sich so fest bei ihm verbunden haben, dass sie sich nicht mehr trennen lassen. In dem Wahnsinn und der Verrücktheit giebt es indess Grade; die Verbindung verkehrter Vorstellungen ist bei dem Einen grösser, als bei dem Andern. Der Unterschied zwischen Blödsinnigen und Wahnsinnigen liegt also darin, dass die Wahnsinnigen die Vorstellungen falsch verbinden, damit falsche Sätze bilden, aber nach diesen richtig schliessen und verfahren, während Blödsinnige keine oder wenig Sätze bilden und wohl gar nicht vernünftig denken.
§ 14. ( Mein Verfahren .) Dies werden die nächsten Vermögen und Thätigkeiten sein, welche die Seele beim Verstehen gebraucht; sie übt sie zwar bei allen ihren Vorstellungen überhaupt aus; indess habe ich bisher sie nur in Beziehung auf einfache Vorstellungen dargelegt und die Erklärung dieser Vermögen der der einfachen Vorstellungen nachfolgen lassen, ehe ich zu den zusammengesetzten Vorstellungen übergehe, und zwar aus folgenden Gründen: Erstens werden manche dieser Vermögen zunächst und hauptsächlich an einfachen Vorstellungen geübt, und man wird deshalb, wenn man so der Natur in ihrem Verfahren folgt, sie in ihrem Entstehen, Fortschreiten und allmählichen Vervollkommnen aufspüren und verfolgen können. Zweitens kann man, wenn man diese Vermögen in ihrer Wirksamkeit bei einfachen Vorstellungen beobachtet hat, die bei den meisten Menschen klarer und bestimmter als die zusammengesetzten Vorstellungen zu sein pflegen, dann desto besser prüfen und erkennen, wie die Seele bei den zusammengesetzten Vorstellungen, wo viel leichter Missverständnisse möglich sind, trennt, benennt, vergleicht und ihre übrigen Vermögen ausübt. Drittens sind es diese Thätigkeiten der Seele in Bezug auf Vorstellungen aus der Sinneswahrnehmung, welche, wenn sie an sich betrachtet werden, eine andere Art von Vorstellungen ergeben, die aus der anderen Quelle unseres Wissen, der Selbstwahrnehmung, sich ableiten. Auch deshalb eignen sie sich zur Betrachtung nach den einfachen Sinnesvorstellungen. Das Verbinden, Vergleichen, Trennen u.s.w. habe ich hier nur erwähnt, da ich an einem andern Orte ausführlicher darüber zu handeln Gelegenheit haben werde.
§ 15. ( Dies sind die Anfänge des menschlichen Wissens .) Somit habe ich eine kurze und, ich meine, wahre Darstellung der ersten Anfänge des menschlichen Wissens gegeben und gezeigt, woher die Seele ihre ersten Gegenstände hat, und auf welchen Wegen sie ihre Vorstellungen allmählich sammelt und aufhäuft, aus denen das ganze Wissen sich bildet, dessen sie fähig ist. Ich berufe mich auf die Erfahrung und Beobachtung, ob ich die Wahrheit getroffen; denn der beste Weg zu ihr ist, dass man die Dinge prüft, wie sie wirklich sind, und nicht folgert, sie seien so, wie man sie sich einbildet, oder wie Andere es uns gelehrt haben.
§ 16. ( Berufung auf die Erfahrung .) Offen gestanden, erscheint mir dies als der einzige Weg, wie die Vorstellungen der Dinge in den Verstand gelangen; sollten Andere angeborene Vorstellungen oder eingeflösste Grundsätze besitzen, so mögen sie sich deren erfreuen, und wenn sie dessen gewiss sind, so kann ein Anderer ihnen diesen Vorzug nicht abstreiten, den sie vor ihren Mitmenschen voraus haben. Ich kann nur das sagen, was ich in mir finde, und was den Begriffen gemäss ist, welche, wenn man den ganzen Lebenslauf der Menschen nach Verschiedenheit des Alters, des Landes und der Erziehung betrachtet, auf den Grundlagen ruhen dürften, die ich hier gelegt habe und mit dieser Methode in allen ihren Theilen und Abstufungen übereinstimmen.
§ 17. ( Ein dunkler Raum .) Ich will nicht belehren, sondern erforschen; ich muss deshalb nochmals bekennen, dass die innere und äussere Wahrnehmung die einzigen Wege sind, die ich für das Wissen der Seele auffinden kann. Sie sind die einzigen Fenster, durch welche Licht in diesen dunklen Raum dringt; denn mir scheint der Verstand einer gegen das Licht ganz verschlossenen Kammer zu gleichen; nur eine kleine Oeffnung ist geblieben, um die äussern sichtbaren Bilder oder Vorstellungen von den Aussendingen einzulassen; blieben die in einen solchen Raum eindringenden Bilder darin, und zwar in einer Ordnung, dass sie sich leicht finden liessen, so würde er in hohem Maasse dem Verstande des Menschen rücksichtlich aller sichtbaren Gegenstände und deren Vorstellungen gleichen.
Dies sind meine Ansichten über die Mittel, wie der Verstand die einfachen Vorstellungen erlangt und fest hält, so wie über die Arten derselben und die sie betreffenden Thätigkeiten. Ich werde nun einige dieser einfachen Vorstellungen mit ihren Besonderungen ein wenig näher betrachten.
Zwölftes Kapitel.
Von den zusammengesetzten Vorstellungen
Inhaltsverzeichnis
§ 1. ( Die Seele bildet sie aus den einfachen .) Bisher habe ich die Vorstellungen betrachtet, bei deren Aufnahme die Seele sich nur leidend verhält, und welche in den einfachen, durch die Sinnes- und Selbstwahrnehmung empfangenen Vorstellungen bestehen, die die Seele nicht selbst erzeugen kann, und aus denen jedwede andere Vorstellung besteht. Allein so wie die Seele bei Aufnahme aller einfachen Vorstellungen sich nur leidend verhält, so ist sie doch auch mannichfach thätig und bildet aus diesen einfachen Vorstellungen alle andern, wobei jene ihr als Stoff und Grundlage dienen. Die Thätigkeiten in Bezug auf diese einfachen Vorstellungen sind hauptsächlich dreierlei Art: 1) ein Verbinden mehrerer einfachen zu einer zusammengesetzten Vorstellung; die letztem entstehen nur auf diese Weise; 2) ein Zusammenstellen zweier Vorstellungen, gleichviel ob einfach oder zusammengesetzt, und ein Aneinanderbringen derselben in der Art, dass sie beide mit einem Blick übersehen werden, ohne jedoch sie zu verbinden; auf diese Weise gewinnt die Seele alle Beziehungs-Vorstellungen; 3) ein Abtrennen derselben von allen andern in der Wirklichkeit sie begleitenden Vorstellungen; dies ist das Abtrennen, wodurch die allgemeinen Vorstellungen gebildet werden. Hieraus erhellt, dass die Kraft des Menschen und deren Wirkungsweise in der stofflichen und in der geistigen Welt sich so ziemlich gleich sind. In beiden hat der Mensch keine Macht, den Stoff zu schaffen oder zu vernichten; Alles, was er vermag, ist, diesen Stoff zu verbinden, neben einander zu stellen oder zu trennen. Ich werde mit der ersten Kraft in der Betrachtung der zusammengesetzten Vorstellungen beginnen und die anderen später an ihrem Orte behandeln. Die einfachen Vorstellungen zeigen sich in mannichfacher Weise verbunden, und die Seele hat daher die Kraft, mehrere einfache Vorstellungen durch deren Verbindung als eine aufzufassen, und zwar nicht blos so, wie sie in den äussern Gegenständen verbunden sind, sondern auch, wie sie selbst sie verbunden hat. Solche aus mehreren einfachen Vorstellungen gebildete Vorstellungen nenne ich zusammengesetzte , wie z.B.: Schönheit; Dankbarkeit; ein Mensch; ein Heer; die Welt. Obgleich sie aus mehreren einfachen Vorstellungen gebildet sind, so kann doch die Seele solche aus mehreren einfachen bestehenden Vorstellungen jede für sich als ein ganzes Ding auffassen und mit einem Worte bezeichnen.
Читать дальше