§ 5. Ob es sich nun so verhalten mag oder nicht, will ich hier nicht entscheiden; aber ich berufe mich auf die eigene Erfahrung eines Jeden, ob nicht der Schatten eines Menschen, wenngleich er nur in der Abwesenheit von Licht besteht (und je mehr das Licht darin fehlt, desto erkennbarer ist der Schatten), wenn man auf ihn sieht, eine ebenso klare bejahende Vorstellung in der Seele erweckt als ein ganz von der Sonne beschienener Mensch? Ebenso ist der gemalte Schatten ein bejahender Gegenstand. Wir haben allerdings verneinende Worte, die nicht geradezu bejahende Vorstellungen bezeichnen, sondern nur deren Abwesenheit; z.B. geschmacklos, Stille, Nichts u.s.w. Diese Worte beziehen sich auf bejahende Vorstellungen, z.B. auf Geschmack, Laut, Sein, mit der Bezeichnung, dass sie nicht vorhanden sind.
§ 6. ( Bejahende Vorstellungen von verneinenden Ursachen .) Und so kann man in Wahrheit sagen, dass man die Dunkelheit sieht. Denn man nehme eine vollkommen dunkle Höhle, die kein Licht zurückwirft, und man wird ihre Gestalt sehen; ebenso wenn sie gemalt ist; auch wird die Dinte, mit der ich schreibe, schwerlich eine andere Vorstellung als eine solche veranlassen. Diese verneinenden Ursachen von bejahenden Vorstellungen, die ich hier angegeben habe, stimmen mit der gewöhnlichen Ansicht; indess ist es schwer zu entscheiden, ob wirklich gewisse Vorstellungen von verneinenden Ursachen bewirkt werden, bevor nicht entschieden ist, ob Ruhe mehr eine Verneinung ist als Bewegung.
§ 7. ( Vorstellungen in der Seele; Eigenschaften in den Körpern .) Um die Natur unserer Vorstellungen besser zu erkennen und verständlicher von ihnen zu sprechen, muss man sie, so weit sie Vorstellungen oder Wahrnehmungen in unserer Seele sind, von den Veränderungen des Stoffes in den Gegenständen unterscheiden, welche diese Wahrnehmungen in uns verursachen, damit man sie nicht (wie gewöhnlich geschehen mag) für die genauen Abbilder von Etwas in dem Gegenstande ansehe, da die meisten dieser Wahrnehmungen in der Seele den äusseren Gegenständen so wenig gleichen, wie die Worte den damit bezeichneten Vorstellungen, obgleich bei dem Hören dieser Worte diese Vorstellungen erweckt werden.
§ 8. Alles, was die Seele auffasst, oder was unmittelbar der Gegenstand der Auffassung, des Denkens oder des Verstandes ist, nenne ich Vorstellung ; dagegen nenne ich die Kraft, eine Vorstellung in unserer Seele hervorzubringen, Eigenschaft des Gegenstandes, indem diese Kraft enthalten ist. So hat ein Schneeball die Kräfte, die Vorstellungen von Weiss, Kalt und, Rund in uns hervorzubringen, und ich nenne deshalb diese Kräfte in dem Schneeball seine Eigenschaften, und die Wahrnehmungen oder Auffassungen derselben in unserm Verstande nenne ich Vorstellungen, und wenn ich von diesen Vorstellungen mitunter so spreche, als wenn sie in den Gegenständen selbst wären, so meine ich damit die Eigenschaften in den Gegenständen, welche jene Vorstellungen in uns erwecken.
§ 9. ( Erste Eigenschaften .) Wenn man die Eigenschaften in den Körpern so betrachtet, so ergeben sich zunächst solche, welche von dem körperlichen Gegenstande ganz untrennbar sind, gleichviel in welchem zustande er sich befindet; er behält sie trotz aller Veränderungen, die er erleidet, und aller gegen ihn gebrauchten Kraft; sie werden in jedem Stofftheilchen wahrgenommen, das noch wahrnehmbar ist, und die Seele findet, dass sie von keinem Stofftheilchen abgetrennt werden können, selbst wenn diese so klein sind, dass sie von unsern Sinnen nicht mehr wahrgenommen werden können. Man nehme z.B. ein Weizenkorn und theile es in zwei Theile; jeder Theil hat noch Dichtheit, Ausdehnung, Gestalt und Beweglichkeit; man setzt nun die Theilung fort, bis die Theile nicht mehr wahrnehmbar sind, und die Theilchen müssen dennoch all diese Eigenschaften behalten. Keine Theilung (und mehr vermag weder die Mühle, noch ein Stösser, noch sonst ein Körper, wenn er einen Gegenstand auf unsichtbare Theilchen zurückführt) kann die Dichtheit, Ausdehnung, Gestalt und Beweglichkeit einem Körper entziehen; es werden dadurch nur zwei oder mehr Gegenstände aus einem gemacht; diese Theile können als so viele bestimmte Körper angesehen und nach der Theilung gezählt werden. Diese Eigenschaften der Körper nenne ich die ursprünglichen oder ersten , und man bemerkt, dass sie einfache Vorstellungen in uns, wie Dichtheit, Ausdehnung, Gestalt, Bewegung oder Ruhe und Zahl, hervorbringen.
§ 10. ( Zweite Eigenschaften .) Zweitens giebt es Eigenschaften, welche in Wahrheit in den Gegenständen selbst nichts sind, als Kräfte, welche verschiedene Empfindungen in uns durch ihre ursprünglichen Eigenschaften hervorbringen. Wenn sie z.B. durch die Masse, Gestalt, das Gewebe und die Bewegung ihrer unsichtbaren Theilchen Farben, Töne, Geschmäcke u.s.w. hervorbringen, so nenne ich diese zweite Eigenschaften . Diesen könnte man noch eine dritte Art von Eigenschaften beifügen, die man für blosse Kräfte nimmt, obgleich sie ebenso gut solche Eigenschaften in dem Gegenstande sind, wie die, welche ich, dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zu Liebe, Eigenschaften genannt habe, aber der Unterscheidung wegen zweite Eigenschaften. Denn die Kraft des Feuers, vermöge seiner ursprünglichen Eigenschaften, im Wachs oder Thon eine neue Farbe oder Beschaffenheit hervorzubringen, ist ebensogut eine Eigenschaft des Feuers, als die Kraft, die es hat, in mir eine neue Vorstellung oder Wahrnehmung von Wärme oder Brennen hervorzubringen, die ich vorher durch dieselben ursprünglichen Eigenschaften nicht fühlte, d.h. durch die Grösse, das Gewebe und die Bewegung seiner kleinsten Theile.
§ 11. ( Wie die urspünglichen Eigenschaften ihre Vorstellungen hervorbringen .) Die nächste Frage ist nun, wie Körper Vorstellungen in uns hervorbringen; offenbar geschieht dies durch Stoss, da dies die einzige Art ist, wie Körper nach unserer Auffassung auf einander einwirken können.
§ 12. Sind also äussere Gegenstände mit unserer Seele nicht eins, wenn sie Vorstellungen darin hervorbringen, und nehmen wir dennoch diese ursprünglichen Eigenschaften in denen wahr, die unsern Sinnen geboten werden, so muss offenbar eine gewisse Bewegung sich von ihnen durch unsere Nerven oder Lebensgeister, durch gewisse Theile unsers Körpers zu dem Gehirn oder dem Sitz der Empfindung fortsetzen und dort die besondern Vorstellungen in der Seele hervorbringen, welche wir von ihnen haben. Da nun die Ausdehnung, Gestalt, Zahl und Bewegung von Körpern, die eine wahrnehmbare Grösse haben, durch die Augen aus der Ferne wahrgenommen werden kann, so müssen offenbar einzelne, nicht wahrnehmbare Körperchen von ihnen zu den Augen kommen und damit dem Gehirn eine gewisse Bewegung zuführen, welche die Vorstellungen hervorbringen, welche wir von ihnen haben.
§ 13. ( Wie die zweiten Eigenschaften ihre Vorstellungen hervorbringen .) In derselben Weise, wie die Vorstellungen dieser ursprünglichen Eigenschaften in uns hervorgebracht werden, mögen auch die Vorstellungen der mittelbaren hervorgebracht werden, nämlich durch die Wirksamkeit der kleinsten Theilchen auf unsere Sinne. Denn es giebt Körper, und zwar in grosser Menge, die so klein sind, dass man ihre Masse, Gestalt oder Bewegung mit den. Sinnen nicht wahrnehmen kann; dergleichen bilden offenbar die Theilchen der Luft und des Wassers; auch giebt es noch viel kleinere in Verhältniss zu den Luft- oder Wassertheilchen, als diese kleiner sind, wie Erbsen- oder Hagelkörner. Man kann also annehmen, dass die verschiedenen Bewegungen und Gestalten, Massen und Mengen solcher Theilchen durch die Erregung der verschiedenen Sinnesorgane in uns diese verschiedenen Wahrnehmungen hervorbringen, die wir in den Farben und Gerüchen der Körper haben. So bewirkt z.B. ein Veilchen durch den Stoss solcher kleinsten Theilchen von besonderer Gestalt und Umfang und durch die verschiedenen Grade und Maassgaben ihrer Bewegung die Vorstellungen der blauen Farbe und des angenehmen Geruchs, welche diese Blume in unserer Seele hervorbringt; denn man kann ebenso gut begreifen, dass Gott solche Vorstellungen mit solchen Bewegungen verknüpft hat, mit denen sie keine Aehnlichkeit haben, als dass er die Vorstellung des Schmerzes mit der Bewegung eines Stuckes Stahl verknüpft hat, welches uns das Fleisch zerschneidet, obgleich diese Vorstellung keine Aehnlichkeit damit hat.
Читать дальше