§ 23. ( Der Mensch muss selbst denken und erkennen .) Diese Zweifel an angeborenen Grundsätzen werden vielleicht von Männern getadelt werden, die damit alle Grundlagen der Erkenntniss und Gewissheit für aufgehoben halten; allein ich bin überzeugt, dass der Weg, den ich gehe, der Wahrheit nützt und deren Grundlagen fester legt. Ich kann wenigstens versichern, dass ich bei meinen Untersuchungen die Autorität Anderer weder verleugne, noch ihr folge; vielmehr ist nur die Wahrheit mein Ziel, und wo ein Weg zu ihr sich zeigt, bin ich ihm ohne Voreingenommenheit mit meinem Denken gefolgt und habe mich nicht gekümmert, ob auch Andere diesen Weg gegangen sind oder nicht. Ich achte die Meinungen Anderer; aber ich achte die Wahrheit noch höher; es wird nicht anmassend klingen, wenn ich sage, dass man in der Entdeckung vernünftiger und betrachtender Erkenntnisse schnellere Fortschritte machen würde, wenn man sie in der Quelle selbst, d.h. in der Beobachtung der Dinge suchte und das eigene, nicht fremdes Denken zu deren Auffindung benutzte. Es ist ebenso verkehrt, mit Anderer Augen sehen, wie mittelst Anderer Verstände erkennen zu wollen. Kur so weit man selbst betrachtet und selbst die Wahrheit und Vernunft auffasst, besitzt man eine wahre und wirkliche Erkenntniss. Wenn Anderer Meinungen in unserm Gehirn umherziehen, so macht uns dies um kein Jota klüger, selbst, wenn sie wahr sind. Was bei Jenen Wissenschaft ist, ist dann bei uns nur ein Meinen; man giebt die Zustimmung dann nur berühmten Namen, aber gebraucht nicht, wie Jene, seine Vernunft, um diese Wahrheiten, welche Jene berühmt gemacht haben, zu verstehen. Aristoteles war sicherlich ein kenntnissreicher Mann; aber Niemand hielt ihn dafür, weil er etwa die Meinungen Anderer blind angenommen hatte und vertrauensvoll weiterverkaufte. Ist er durch Annahme der Grundsätze Anderer ohne eigene Prüfung kein Philosoph geworden, so wird es auch schwerlich ein Anderer auf diesem Wege werden. In den Wissenschaften besitzt Jeder nur so viel, als er wirklich weiss und versteht; was er nur glaubt und in Vertrauen annimmt, sind blos Schnitzel; wenn sie auch einzeln sich noch so gut ausnehmen, so vermehrt doch der, der sie sammelt, sein Vermögen damit nur wenig. Solch geborgter Reichthum wird, gleich der Zaubermünze, in der Hand, aus der man sie empfängt, für Gold gehalten, aber er wird zu Spreu und Dunst, wenn man ihn gebrauchen will.
§ 24. ( Wie ist die Meinung von angeborenen Grundsätzen entstanden? ) Wenn man allgemeine Sätze auffand, die sofort mit ihrem Verständniss auch einleuchteten, so war es leicht und einfach, sie für angeboren zu halten. Mit dieser Annahme wurde der Träge aller Mühe des Suchens enthoben, und der Zweifler liess von der Untersuchung Alles dessen, was als angeboren erklärt worden, ab. Für die, welche sich als Meister und Lehrer aufwarfen, war es kein kleiner Vortheil, dass sie zum Grundsatz aller Grundsätze den erhoben, dass Grundsätze nicht angezweifelt werden dürfen. Nachdem sie einmal den Satz aufgestellt hatten, dass es angeborene Grundsätze gebe, so waren ihre Anhänger genöthigt, gewisse Lehren als solche anzunehmen. Damit waren diese der Prüfung ihrer eigenen Vernunft und ihres Urtheils enthoben, und sie mussten sie auf Treu und Glauben ohne weitere Untersuchung annehmen. In diesem Zustande blinder Gläubigkeit wurden die Schüler dann leichter geführt und von jener Klasse Menschen ausgenutzt, die das Geschick und den Auftrag hatten, sie zu führen und zu belehren. Es ist keine kleine Macht über Andere, die man durch das Ansehen eines Diktators von Grundsätzen und eines Lehrers unangreifbarer Wahrheiten erlangt, wo die Schüler das als angeborene Grundsätze hinunterschlucken, was dem Vortheile des Lehrenden dient. Hätte man dagegen die Wege erkannt, auf denen der Mensch zu allgemeinen Wahrheiten gelangt, so würde man gefunden haben, dass sie in der Seele sich bilden, wenn diese die daseienden Dinge mit Aufmerksamkeit betrachtet, und dass jene Wahrheiten nur durch den Gebrauch jener Vermögen entdeckt worden sind, die von Natur zu deren Aufnahme und Prüfung geeignet waren, sobald man sie in rechter Weise gebrauchte.
§ 25. ( Schluss .) Es ist der Zweck der folgenden Abhandlung, zu zeigen, wie der Verstand hierbei verfährt. Zu dem Ende musste ich vorweg den Weg frei machen, der zu den Grundlagen führt, auf denen allein nach meiner Ansicht die Begriffe über die Natur unseres Wissens gestützt werden können. Deshalb habe ich die Gründe aufzählen müssen, die mich an den angeborenen Grundsätzen zweifeln lassen. Manche meiner Gründe sind den allgemein geltenden Ansichten entnommen; deshalb habe ich manche Sätze für zugestanden ansehen müssen; es kann dies nicht wohl vermieden werden, wenn die Falschheit oder die Unwahrscheinlichkeit eines Satzes dargelegt werden soll. Es verhält sich mit solchen Streitfragen, wie mit dem Angriff auf Festungen; wenn nur der Grund und Boden, auf dem die Batterien errichtet sind, fest ist, so fragt man nicht, wer ihn geliehen hat, oder wem er angehört, sofern er nur einen passenden Angriff für den vorliegenden Zweck gestattet. In dem weitem Verlauf dieser Abhandlung will ich eben ein Gebäude errichten, was einfach mit sich selbst übereinstimmt, und ich werde es deshalb, so weit meine Erfahrung und Beobachtung reicht, auf einer Grundlage errichten, die keiner solchen Stützen und Pfeiler für sich bedarf, welche auf erborgtem oder bittweisem Grunde ruhen. Selbst wenn mein Werk mir ein Luftschloss werden sollte, soll es doch zusammenhängend und aus einem Gusse sein. Der Leser möge aber deshalb keine unbestreitbaren und zwingenden Beweisführungen erwarten; man müsste mir denn das Vorrecht, was Andere nicht selten sich anmassen, gestatten, dass ich meine Grundsätze für zugestanden ansehen dürfte; denn dann will auch ich strenge Beweise führen. Alles, was ich in Bezug auf die Grundsätze, von denen ich ausgehe, sagen kann, ist, dass ich mich lediglich auf eigene unbefangene Erfahrung und Beobachtung eines Jeden rücksichtlich ihrer Wahrheit berufe; dies genügt für einen Mann, der offen und frei nur seine eigenen Ansichten über einen Gegenstand darlegen will, der noch etwas im Dunklen liegt, und dessen Zweck nur auf die unparteiische Erforschung der Wahrheit gerichtet ist.
Zweites Buch.
Von den Vorstellungen
Inhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel.
Von den Vorstellungen im Allgemeinen und deren Ursprunge
Inhaltsverzeichnis
§ 1. ( Vorstellungen sind der Gegenstand des Denkens .) Jedermann weiss, wenn er auf sein Denken achtet, dass das, womit seine Seele während des Denkens befasst ist, die darin enthaltenen Vorstellungen sind; deshalb haben unzweifelhaft die Menschen in ihrer Seele mancherlei Vorstellungen, wie dergleichen z.B. mit den Worten: Weisse, Härte, Süssigkeit, Denken, Bewegung, Mensch, Elephant, Armee, Trunkenheit und anderen bezeichnet werden. Es gehört zu den wichtigsten Fragen, wie die Seele zu ihnen gelangt. Es ist, wie ich weiss, ein angenommener Satz, dass den Menschen Vorstellungen angeboren, und ursprüngliche Zeichen gleich mit dem Beginn ihres Daseins eingeprägt seien. Ich habe diese Meinung in dem vorgehenden Buche bereits untersucht, und ich hoffe, dem dort Gesagten wird noch leichter beigestimmt werden, wenn ich gezeigt haben werde, woher der Verstand alle seine Vorstellungen entnimmt, und auf welchem Wege und in welchem Maasse sie in ihn eintreten. Ich rechne dabei auf die Beobachtungen und Erfahrungen eines Jeden.
§ 2. ( Alle Vorstellungen kommen von der sinnlichen und Selbst-Wahrnehmung .) Wir wollen also annehmen, die Seele sei, wie man sagt, ein weisses, unbeschriebenes Blatt Papier, ohne irgend welche Vorstellungen; wie wird sie nun damit versorgt? Woher kommt sie zu dem grossen Vorrath, welche die geschäftige und ungebundene Phantasie des Menschen darauf in beinah endloser Mannichfaltigkeit verzeichnet hat? Woher hat sie all den Stoff für die Vernunft und das Wissen? Ich antworte darauf mit einem Worte: Von der Erfahrung . All unser Wissen ist auf diese gegründet, und von ihr leitet es sich im letzten Grunde ab. Unser Beobachten, entweder der äussern wahrnehmbaren Dinge oder der innern Vorgänge in unserer Seele ist es, was den Verstand mit dem Stoff zum Denken versieht. Sie sind die beiden Quellen des Wissens, aus der alle Vorstellungen, die wir haben oder natürlicherweise haben können, entspringen.
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